Pommes frites aus Belgien Delikatesse aus der Tüte

Preiswert und doch eine Gaumenschmaus: Das „Maison Antoine“ in Brüssel pflegt das Rezept für die perfekten Pommes frites seit drei Generationen.

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Die Fritten singen. Genau genommen surren sie, aber Antonio Del Vecchio spricht lieber von Gesang. Wenn er das charakteristische Geräusch hört, ist es an der Zeit, die Kartoffeln aus dem Fett zu heben.

Vier, fünf Minuten wurden sie im heißen Fett gegart, anfangs brodelte es im Kessel so sehr, dass sich eine weiße Schaumkrone bildete. Nun weichen die Fettbläschen zur Seite, und die Kartoffelstückchen steigen an die Oberfläche. Del Vecchio schöpft sie mit einer handtellergroßen Kelle aus Metalldraht ab und schaufelt sie in eine Ablage über der Fritteuse, wo sie mindestens zehn Minuten ruhen werden, bevor sie im zweiten Fettbad ihre goldene Kruste bekommen.

Del Vecchio macht die Garprobe mit Daumen und Zeigefinger, flaumiger Brei quillt aus Kartoffelstäbchen. „Im Inneren sind sie jetzt gar“, sagt er über sein Produkt. Der Gesang hatte es ihm ohnehin schon verraten.

Del Vecchio kostet nie. Während seiner elfstündigen Schichten im „Maison Antoine“ mag er in keine seiner „Frites“ beißen, wie er sie kurz nennt. Seine Arbeitstage an der Fritteuse vertreiben den Heißhunger auf Fettgebackenes, was er so allerdings nie sagen würde. Er ist mit einer Enkelin des Firmengründers verheiratet, und da käme er nicht auf die Idee, auch nur im Entferntesten schlecht über Frites zu sprechen.

Der stämmige Mann mit dem Kurzhaarschnitt ist wohl einer der wenigen, der den Fritten von „Maison Antoine“ widerstehen kann. Die Bude am Brüsseler Place Jourdan, die vor 60 Jahren vom Namensgeber Antoine Desmet gegründet wurde, serviert die besten Pommes Belgiens. Was heißt Belgiens, wahrscheinlich die besten der Welt. Denn welches Volk versteht mehr von Frites als die Belgier?

Selbst die Franzosen, die sich mit ihren nördlichen Nachbarn streiten, wer denn nun als Erster auf die Idee kam, Kartoffeln in heißem Fett herauszubacken, erkennen die belgische Frites-Kompetenz neidlos an. Der französische Comic-Held Asterix darf in seiner Episode bei den Belgiern der Geburtsstunde der Fritte beiwohnen. Das ist natürlich reine Fiktion, weil die Kartoffel zu Zeiten der Gallier noch längst nicht in Europa heimisch war – und trotzdem ein nettes Kompliment.

Wahre Kenner kehren allerdings nicht hier ein, sondern in einer Frittenbude mit viel Andrang. „Ein großer Absatz ist Voraussetzung für perfekte Frites“, erklärt Thierry Willaert, Enkel von Antoine-Gründer Desmet, der heute gemeinsam mit seinem Bruder Pascal die berühmte Bude in Brüssel führt. Willaert erklärt, dass das Frittierfett nach dem Abkühlen nicht noch einmal erhitzt werden darf. „Das schmeckt man sofort“, sagt Willaert und schüttelt sich noch in der Erinnerung an eine Portion, » die er kürzlich in Charleroi im Süden des Landes gegessen hat. Der Imbiss hatte mangels Kundschaft das Fett nicht heiß genug gehalten.

Bei Antoine kommt nur Rindertalg in die Fritteuse

Überhaupt, das Fett! Bei Antoine kommt nur Rindertalg in die Fritteuse. In Blöcken wird es angeliefert, in der Hitze der Kessel schmilzt es. „Öl ist neutral im Geschmack, Rindertalg verleiht den Frites dagegen ein Aroma, das an Haselnuss erinnert“, begründet Willaert die Tradition des Hauses. Früher wurde in Belgien auch gerne Pferde- und Lammfett zum Frittieren verwandt, doch das ist heute kaum mehr auf dem Markt. „Wir könnten viel Geld sparen, wenn wir mit Öl kochen würden“, sagt Willaert, „doch das kommt für uns nicht infrage.“

Die Belgier datieren die Erfindung der Pommes frites auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Ein schmales Bändchen mit dem Titel „Curiosité de la table dans les Pays Bas Belges“ aus dem Jahr 1781 berichtet, wie die Anwohner der Maas im Winter, wenn sie wegen des Eises nicht im Fluss die gewohnten Fischchen fangen konnten, ersatzweise Kartoffeln in derselben Größe in heißem Fett garten.

Die Franzosen behaupten, ungefähr zur selben Zeit denselben Einfall gehabt zu haben. Solche Ansprüche weist Pierre Wynants, der erste belgische Koch, der von Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet wurde, energisch zurück: „Die Fritte ist belgischen Ursprungs.“ Den Franzosen gesteht er immerhin die erste Kommerzialisierung zu. In Frankreich etablierten sich schon sehr früh Frittenbuden auf Jahrmärkten.

Wenn Amerikaner heute noch von „French Fries“ sprechen, beruht das auf einem Missverständnis aus dem ersten Weltkrieg. US-Soldaten und Kanadier lernten Pommes frites kennen, als sie damals in Westflandern rund um Ypern kämpften. „Die Sprache der belgischen Armee war zu dieser Zeit ausschließlich Französisch“, erklärt Wynants den Irrtum.

Die Vorliebe für die Pommes frites eint bis heute alle Belgier. So politisch zerstritten Flamen und Wallonen sind – auf ihre Pommes lassen sie nichts kommen. Und kein Belgier ist zu jung, sie zu genießen. „Auf belgischem Staats-gebiet von Geburt an zu konsumieren“, schreibt der Koch Eric Boschman in seinem Standardwerk über belgische Vorlieben „Le goût des Belges“.

Fritten begleiten Belgier ein Leben lang, unabhängig von der Herkunft. Als der belgische König Albert II. vor vier Jahren seinen 70. Geburtstag feierte, servierte er seinen Gästen bei der Gala in Schloss Laeken: Fritten, zubereitet von einem mobilen Team von „Maison Antoine“.

Kaum hatten die Vereinten Nationen 2008 zum Jahr der Kartoffel ausgerufen, eröffnete Sammler Eddy van Belle in Brügge das weltweit erste Museum für Fritten. In einem denkmalge-schützten Gebäude aus dem 15. Jahrhundert wird dort auf zwei Stockwerken die Geschichte der Kartoffel und der belgischen Fritte erzählt. Aus dem Keller wabert der Geruch von Frittieröl. Das Museumscafé serviert: Fritten. Was sonst?

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