Presseschau „Bitte mehr Respekt für Angela Merkel“

Die Beschlüsse des EU-Gipfels stoßen auf geteiltes Echo. Während die deutsche Presse Kanzlerin Merkel zunehmend den Rücken stärkt, zeigen sich britische Medien wenig begeistert von den Ergebnissen. Die Presseschau.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
„Die Welt“ meint, die Deutschen müssten der Kanzlerin vertrauen. Quelle: handelsblatt.com

Nach stundenlangen Verhandlungen haben sich die Euro-Staaten auf einen Plan zur Lösung der Schuldenkrise geeinigt. Die Banken müssen auf die Hälfte ihrer griechischen Schulden verzichten und mit über 100 Milliarden Euro rekapitalisiert werden. Die Euro-Staaten steuern an Sicherheiten für neue Anleihen 30 Milliarden Euro bei. Der Euro-Krisenfonds EFSF soll seine Mittel künftig auf bis zu einer Billion Euro vervielfachen können.

Selten sei auf einem europäischen Gipfel mit Vertretern des Bankenverbandes IIF so hart verhandelt worden, rekapituliert die Financial Times Deutschland. Dabei seien die Banken erpresst worden: Nach Mitternacht hätten Nicolas Sarkozy, Angela Merkel, Jean-Claude Juncker und andere gesagt: Wenn Ihr keinen freiwilligen Schnitt macht, werdet ihr eben gezwungen – die vereinbarten 50 Prozent Schuldenschnitt seien laut Merkel „das einzige Angebot“ gewesen, das auf Ebene der Regierungschefs unterbreitet worden sei. „Es war wie im schönsten Mafia-Film ein Angebot, dass man nicht ablehnen kann.“ Unter dem Strich seien die EU-Regierungschefs „ein ganzes Stück weitergekommen“. Seit dem Chaos-Treffen vor einer Woche in der Alten Oper in Frankfurt seien viele Streitpunkte erst einmal ausgeräumt worden. Dennoch sei die Euro-Krise nicht vorbei.

Der britische Guardian geht davon aus, dass die Aufstockung des Euro-Krisenfonds EFSF nicht ausreichen werde. Das Ergebnis des Gipfels in diesem Punkt sei weit von dem entfernt, was auf den Märkten erhofft worden sei. Die europäische Bankenaufsicht EBA habe erklärt, dass rund 70 größere Banken in Europa zusätzliches Kapital benötigten. Die Hilfe für die Banken sei laut EBA notwendig, um ihre Ausleihmöglichkeiten 2012 fortzusetzen und eine Spirale von Entschuldung und einer anschließenden Kreditklemme zu verhindern. Dies würde sonst auch die Realwirtschaft negativ treffen. Bei den Bankern selbst werde das Gipfel-Ergebnis für Frustration sorgen, da sie nach dem Willen der EU notfalls auch auf Dividenden und Boni verzichten sollen, bis dass genug Kapital aufgebracht wurde.

Die Welt fordert von den Deutschen mehr Respekt für die Kanzlerin, „die Tag und Nacht ohne Schonung der eigenen Physis versucht, mit der Währung die Fundamente unseres Wohlstands zu retten.“ Hierzulande habe sich in die Kritik an Angela Merkel und ihrer Regierung ein „raunziger Ton“ eingeschlichen, der etwas Anmaßendes habe. Dass viele Bürger „fast kindlich Ansprüche stellen, ohne Maß und Mitte zu kennen“, führt die Welt auf eine „paternalistische Sorglosgesellschaft“ zurück. Schlusswort der Welt: Die Deutschen müssten der Kanzlerin vertrauen, dass sie die deutschen Interessen, die von den europäischen nicht zu trennen seien, listig vertrete.

„Der Merkel-Clan hat die Schlacht gewonnen, nicht den Krieg“

Auch die Süddeutsche Zeitung nimmt Merkel gegen „Schlaumeier im Parlament, in den Universitäten und den Zeitungsredaktionen“ in Schutz, die davon lebten, dass sie stets mit dem Wissen von heute die Beschlüsse von gestern bewerteten. Den „Scharlatanen“, die beispielsweise im Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone das Patentrezept erkennen würden, halten die Münchner entgegen, dass die Lösung der Krise nicht banal sei. Sie beruhe ungeachtet der vielen Zahlen nicht auf Mathematik, sondern auf Psychologie. „Ob etwa Italien seine Schuldenlast tragen kann und auf Dauer kreditwürdig bleiben wird, ist keine rechnerische Frage. Entscheidend ist vielmehr allein, ob die Gläubiger dem Land dies zutrauen und ob sie erwarten, dass die Euro-Partner Rom notfalls zu Hilfe eilen werden.“

„Katastrophe“, kommentiert die Zeit den Freibrief zum „Hebeln“. Mit der „Teilkaskoversicherung von Staatsschulden“ habe man das Risiko von Verlusten mit einem Schlag massiv erhöht und so die Eurokrise verschärft. Besser wäre es gewesen, dem Fonds einen Zugang zur EZB zu verschaffen. So wäre der EFSF immer liquide geblieben und hätte theoretisch jede denkbare Menge Geld erhalten können. „Je mehr finanzielle Kraft der EFSF hat, desto glaubwürdiger kann er Marktpaniken entgegen treten und desto unwahrscheinlicher wird er in Anspruch genommen.“

„Der Merkel-Clan hat die Schlacht um einen kleinen Satz gewonnen, aber nicht den Krieg“, kommentiert La Tribune aus Frankreich das Veto der deutschen Bundeskanzlerin gegen eine Aussage zur Rolle der EZB im Abschlusskommuniqué des Euro-Gipfels. Der Satz, in dem es hieß, dass die EZB bei der weiteren Anwendung ihrer unkonventionellen Methoden - z. B. der Ankauf von Staatsanleihen - unterstützt werden soll, habe Angela Merkel nicht geschmeckt. „Er wurde wie ein politischer Wink mit dem Zaunpfahl wahrgenommen.“ Und doch sei die deutsche Intervention nur ein „Schlag ins Wasser“, denn den Krieg gewonnen habe wohl der künftige EZB-Chef Mario Draghi. Dieser habe bereits angekündigt, dass die EZB weiterhin Staatsanleihen aufkaufen und Liquiditätsspritzen gewähren werde.

Der Daily Express aus Großbritannien zeigt sich wenig begeistert von den Gipfel-Ergebnissen: Nach dem Zusammentreffen müsse die britische Regierung schnellstmöglich eine Volksabstimmung zur Frage einberufen, ob das Land in der EU bleiben solle. „Wir haben nicht zwei Jahre lang gekämpft, um Europa vor Diktatoren zu bewahren, um am Ende mit anzusehen, wie auf unserer Eigenständigkeit herumgetrampelt wird.“ Der Schuldenschnitt für die Steuer hinterziehenden Griechen plus anschließendem multimilliardenschwerem Bailout sei „ökonomischer Wahnsinn“. Fazit: „In der gesamten Weltgeschichte gab es keinen korrupteren, undemokratischeren und verrückteren Turm von Babel als die Europäische Union.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%