Produktionsprobleme "Deutsche Wirtschaft betroffen"

In fast jedem Auto stecken japanische Zulieferteile, 40 Prozent der weltweit benötigten Technologiekomponenten kommen aus Japan. Wie die Katastrophe dort die deutsche Wirtschaft trifft, erklärt Unternehmensberater Gerd Kerkhoff.

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Gerd Kerkhoff

Herr Kerkhoff, weil in Japan nach Erdbeben, Tsunami und Atom-Katastrophe viele Industrieunternehmen ihre Produktion unterbrechen mussten, fehlen hierzulande wichtige Zulieferteile. Können Sie uns das erklären?

Kerkhoff: Die wirtschaftliche Bedeutung Japans für den Weltmarkt ist groß. Das Land liefert zum Beispiel 40 Prozent der weltweit benötigten Technologiekomponenten. Die drei weltweit größten Hersteller von Glas für Flachbildschirme sitzen in Japan. Japan ist der größte Veredler von Silizium, was für Photovoltaikanlagen und die Computerchip-Industrie notwendig ist. Japanische Zulieferteile finden sich in fast jedem Auto, darum leidet jetzt vor allem die Automobilindustrie unter Lieferengpässen. Ein weiteres Problem ist derzeit die Logistik: Viele große Häfen in Japan sind zerstört, auch bei der Luftfracht gibt es Einschränkungen.

Und was bedeutet das für deutsche Industrieunternehmen?

Kerkhoff: Das kann im Moment noch niemand so genau sagen. Inwieweit durch diese vielschichtigen Probleme deutsche Unternehmen betroffen sind oder noch werden, ist ganz schwer abschätzbar. Sicher ist nur: Die deutsche Wirtschaft wird betroffen sein.

Warum haben japanische Zulieferer diese herausragende Stellung bei kritischen Schlüsselprodukten?

Kerkhoff: Die japanische Industrie war schon immer sehr technologiegetrieben und exportorientiert, insofern sind die Hersteller weltweit etabliert und genießen aufgrund hoher Qualitätsstandards eine exzellente Reputation. Auch die hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung haben das Land bei vielen Hightech-Erzeugnissen zur Weltmarktführerschaft verholfen. Die große Zahl japanischer Schlüsselprodukte hängt aber vor allem damit zusammen, dass die dortige Industrie besonders im IT-Bereich sehr spezialisiert ist.

Und darum droht jetzt bei uns ein Stillstand der Fließbänder?

Kerkhoff: Nicht sofort – das volle Ausmaß unserer Abhängigkeit werden wir erst mit Verzögerung spüren: Viele Produkte aus Japan haben lange Vorlaufzeiten, da werden die Engpässe erst in einigen Monaten sichtbar. Um so wichtiger ist es für die Unternehmen hierzulande, sich jetzt nach Alternativen umzusehen und – wo immer möglich – auf andere Lieferanten auszuweichen.

Wo findet man die?

Kerkhoff: Zum Beispiel in Südkorea. Dessen Industrie weist eine sehr ähnliche Produktpalette wie die in Japan auf.

Welche Branchen in Deutschland sind in besonderem Maße betroffen und warum?

Kerkhoff: Für langfristige Einschätzungen ist es noch zu früh – aber erste Firmen spüren bereits die Folgen des Unglücks. In Frankreich hat ein Automobilhersteller bereits Kurzarbeit angekündigt, ein deutscher Hersteller diskutiert dies gerade. Selbst die Japaner wissen derzeit noch nicht, wie stark die Schäden im eigenen Land sind. Die deutschen Firmen haben noch einiges zu tun, bevor sie im Detail wissen, wieviel Japan in ihren Produkten steckt. Sicher ist aber: Viele Industrien stehen vor der Herausforderung, fehlende Lieferungen aus Japan sehr kurzfristig substituieren zu müssen.

Ein Toyotahändler in Quelle: REUTERS

Wie sind die Chancen der Unternehmen, dass sie das schaffen?

Kerkhoff: Auch das ist allgemein schwer zu beantworten. Unternehmen, die über ein Risikomanagementsystem für ihren Einkauf verfügen und die schon mal Szenarien für den Komplettausfall bestimmter Lieferanten durchgespielt haben, sind auf jeden Fall besser dran, als die, die von den Ereignissen unvorbereitet überrascht wurden. Funktionsfähige Risikomanagementsysteme haben nach unserer Erfahrung aber nur wenige Unternehmen. Nach einer Untersuchung, die wir gemeinsam mit dem Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt haben, verfügen gerade mal 29 Prozent der deutschen Unternehmen über ein umfassendes Risikomanagementsystem für den Einkauf. In der Automobilindustrie, die oft als Vorreiter gilt, sind es auch nur 36 Prozent. Mit anderen Worten: Nur rund ein Drittel der Unternehmen sind auf Krisen wie die im Moment halbwegs umfassend vorbereitet.

Zum Beispiel wer?

Kerkhoff: Als Berater nennen wir grundsätzlich keine Namen oder kommentieren öffentlich Unternehmen. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel aus unserem Projektgeschäft: Wir haben vor der Wirtschafts- und Finanzkrise, die durch drohende Insolvenzen teilweise ähnliche Probleme verursachte, für einen indischen Fahrzeughersteller ein Konzept entwickelt, mit dem die Basis der Alternativlieferanten stark erweitert werden konnte. Dieser Hersteller hat vorher fast ausschließlich in Niedriglohnländern Teile für seine Fahrzeugproduktion eingekauft, um die Kostenvorteile mitzunehmen. Wir sollten prüfen, ob osteuropäische Zulieferer zu Alternativlieferanten aufgebaut werden können – mit höherer Qualität als in Asien aber niedrigeren Kosten als im Westen. Wir haben dann hunderte von Lieferanten in Osteuropa untersucht. Das Ergebnis: Bei vielen Teilen gibt es sehr gute Alternativen zu den Lieferanten aus Asien. Unser Kunde hat viele davon in sein Lieferantenportfolio integriert. Dadurch hat er seine Lieferrisiken deutlich reduziert – seine Lieferkette ist nicht mehr einseitig von einer Region abhängig .

Was raten Sie den jetzt betroffenen Unternehmen?

Kerkhoff: Unsere Empfehlungen sind ähnlich wie nach der Wirtschaftskrise: Die Unternehmen müssen den Weltmarkt sehr schnell nach Alternativlieferanten durchforsten. Das Problem: Unternehmen, die kein Risikomanagementsystem haben, kennen die Alternativen nur selten. Da es jetzt vor allem darauf ankommt, schnell einen Ersatz zu finden, kann die Suche häufig nicht als strategischer Prozess aufgesetzt werden. Damit die Liefersicherheit aufrecht erhalten werden kann, müssen die Verträge mit den neuen Lieferanten schnell unterschrieben werden. Eine langfristig ausgerichtete Mehrlieferantenstrategie zu entwickeln, die dann auch unterschiedliche Wirtschaftsräume abdeckt, braucht Zeit.

Und wenn es keine Alternativlieferanten gibt?

Kerkhoff: Ersatzlieferanten lassen sich grundsätzlich für jedes Produkt finden. Das ist aber ein Prozess, der Zeit kostet – ohne Vorbereitung verlangt die Suche einen hohen Einsatz und in aller Regel auch höhere Kosten.

Wieso gibt es überhaupt noch Unternehmen, die sich auf nur einen Zulieferer verlassen – nach Wirtschaftskrise und den Lieferproblemen durch die Vulkanasche im vergangenen Jahr?

Kerkhoff: Die meisten Unternehmen haben ihre Lektion aus der Finanzkrise gelernt. Es gibt aber immer noch viele, die das verschlafen haben, vor allem im Mittelstand. Für viele ist Mittelständler ist Multi-Sourcing...

...also die Verteilung des Einkaufsvolumens für bestimmte Teile auf mehrere Lieferanten ...

Kerkhoff: ...noch immer ein Fremdwort. Wer sich auf einen einzigen Lieferanten verlassen hat, also Single-Sourcing nutzt, riskiert jetzt Produktionsengpässe. Zwar beobachten wir seit etwa fünf Jahren in allen Branchen einen Trend zur Oligopolbildung bei den Lieferanten, aber es gibt große Unterschiede. Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern sind nur zu 59 Prozent strategische Partnerschaften mit ihren wichtigsten Lieferanten eingegangen. Große Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern sind da deutlich weiter, da haben schon 74 Prozent solche Partnerschaften. Dass der Mittelstand bei seiner Einkaufsstrategie Nachholbedarf hat, zeigt auch ein weiteres Ergebnis einer unserer aktuellen Studien: Nur knapp zwei Drittel der Mittelständler kontrollieren ihre Lieferanten systematisch.

Welche langfristigen Folgen hat der Ausfall japanischer Lieferanten für die Wettbewerbsfähigkeit?

Kerkhoff: Es kann durchaus passieren, dass japanische Lieferanten ins Hintertreffen geraten, die Gefahr sehe ich durchaus. Viele Unternehmen müssen sich nach Alternativlieferanten umsehen – und sei es nur rein vorsorglich, weil sie gesehen haben, wie schnell sonst Probleme entstehen können. Das könnte japanische Unternehmen langfristig Marktanteile kosten.

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