Rauchverbot Abschied vom Absacker

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Trotz Raucherräumen haben Quelle: AP

Rauchen, das wusste schon der Triestiner Schriftsteller Italo Svevo, stellt eine „gesellschaftliche Beziehung auch unter Unbekannten her, wie bei den Hundehaltern“. „Smirting“ heißt der Begriff, der den Flirtfaktor Rauchverbot umschreibt. Man plaudert über dies und das, vor allem über das Rauchen und dass man eigentlich aufhören wolle und dass es ganz leicht sei, weil man es schon 100-mal gemacht habe.

In allen Münchner Szenevierteln stehen Grüppchen draußen vor der Tür, über denen Rauchzeichen aufsteigen. Drinnen lichten sich so mit fortschreitendem Abend die Tischreihen. Die meisten Gäste gehen, seit es das Rauchverbot gibt, nach der ersten Flasche Wein und trinken ihren Grappa um die Ecke im Raucherclub. Oder sie leben ihre Alkohollaunen in der Disco aus. Zum Beispiel im „P1“, wo unlängst öffentlich wurde, dass die Schickeria macht, was ihr passt. Im Münchner Nobelclub, hieß es, werde trotz Bußgeldwarnung ungeniert geraucht. Geschäftsführer Klaus Gunsch-mann dementierte sofort. Geraucht werde nur bei Kundenveranstaltungen. Gäste, die sich nach drei, vier Wodka eine Zigarette anzünden, würden freundlich auf die Terrasse gebeten, wo das „P1“ eine chillige Liegelandschaft für Raucher geschaffen hat.

Dabei weiß jeder Szenekenner, dass nicht nur in Nobelclubs ab vier, fünf Uhr morgens eigene Regeln herrschen. Plötzlich breitet sich Undergroundstimmung aus, und es wird hemmungslos gepafft und getrunken wie zu Zeiten der Prohibition. Das Nachtleben reizt zur Illegalität. Kontrollen werden bisher eher lässig gehandhabt. „Hat hier jemand geraucht?“, fragen die Polizisten in der Eckkneipe und drücken Augen und Nasenlöcher zu. Dabei kann in den meisten Bundesländern, wenigstens in Nebenräumen ohne Barausschank, ganz offiziell geraucht werden. Im Berliner „Bangaluu Club“ etwa gehen die Raucher auf die Dachterrasse oder in den Raucherraum im zweiten Stock, in dem die Luft trotz Klimaanlage zum Schneiden ist. Und in Frankfurts Renommier-Club „Cocoon“ in der Carl-Benz-Straße steht eine separate Raucherbar für die Restaurantgäste kurz vor der Eröffnung. Gourmets, die das Clubgewitter meiden, ziehen sich demnächst in die exklusive Lounge zurück, trinken ihren Whisky und geben sich dem Nikotinbehagen hin. Bei Weihnachtsfeiern und Firmenevents, dritte Domäne des „Cocoon“, können Raucher und Nichtraucher künftig friedlich koexistieren.

Der Raver indessen muss sich weiterhin im Freien herumquetschen, wenn er sich eine anstecken will. Dutzende stehen draußen zusammen, während drinnen mächtig geschwitzt wird. Früher hat der Zigarettenrauch die Körpergerüche gnädig verdeckt, heute riecht es in den Diskos wie in der Turnhalle. „Es stinkt nach Mensch“, sagt eine Raverin. Kein Zweifel, das Rauchverbot schärft den olfaktorischen Sinn – sowohl für feine Küchengerüche als auch unangenehme Körperausdünstungen, für das betörende Parfüm und den Gestank verqualmter Räume. So bietet die Frankfurter „Piper Red Lounge“ in der Bleichstraße einen verrucht anmutenden, mit roten Stofftapeten ausgeschlagenen Rauchersalon, der ab elf Uhr so verraucht ist wie ehedem die Raucherabteile der Bahn. Und in der gemütlichen „Mosaiic Bar“ in der Töngesgasse, wo man oben rauchfrei unter einem Beduinenzelt auf Kissen lagern kann, heizen sich im Keller die Zigaretten- und Shisha-Raucher gegenseitig ein. Die erste Frage der Gäste ist immer: „Können wir rauchen?“

Trotz Raucherräumen haben, nicht anders als die niedersächsischen, brandenburgischen oder baden-württembergischen, auch die hessischen Gastronomen seit Oktober vergangenen Jahres Gäste verloren. Vor allem Einraumgaststätten, aber auch Bars mit mehreren Räumen. Um 20 Prozent sei sein Umsatz gesunken, sagt Wolfgang Stiesch, Geschäftsführer der „Paris’ Bar“ im Frankfurter Literaturhaus am Mainufer. Die Tür zum hohen, geräumigen Raucherraum verbindet nicht nur. Sie trennt das Lokal in zwei Parallelgesellschaften, die lose durch einen Pendlerverkehr zusammengehalten werden, der das Gefühl des Abgeschlossenseins noch verstärkt. Das verunsichere die Gäste, sagt Stiesch: „Sie bleiben nicht mehr so lang. Den Absacker trinkt man lieber zu Hause.“

Umsatzverluste von durchschnittlich 13 Prozent in der „getränkegeprägten Gastronomie“ Hessens hat das Statistische Landesamt in Wiesbaden dieser Tage festgestellt. Es können im Einzelfall deutlich mehr sein. Armin Braun, Chef der Wiesbadener „Pudel Bar“ in der Wilhelmstraße, registrierte im Oktober gar 50 Prozent weniger Gäste, „auch wegen des Rauchertourismus“. Die Raucher wichen über den Rhein nach Mainz aus; in Rheinland-Pfalz gibt es erst seit Mitte Februar dieses Jahres ein Rauchverbot. Und die Nichtraucher, vor allem die Frauen, vermissten plötzlich das Fluidum, die flirrende Stimmung. Heute lohnt nur noch für die Nachbarländer von Nordrhein-Westfalen der Rauchertrip, hier tritt erst am 1. Juli das Rauchverbot in Kraft.

Der „Nassauer Hof“, Wiesbadens erste Hoteladresse, hat inzwischen Konsequenzen aus dem Rauchverbot gezogen: Bisher konnte man nur abseits der Lobby vor den Meistersälen rauchen, was bei arabischen Gästen für Kopfschütteln sorgte. Jetzt gibt es aufgrund drastischer Umsatzeinbußen wieder eine Raucherbar. Die Gäste kommen ab elf Uhr, nach Konzert- oder Casinobesuch.

„60 Prozent der Spieler sind Raucher“, sagt der Chef der Wiesbadener Spielbank Thomas von Stenglin. Sie wollen auf die beruhigende Wirkung des Nikotins nicht verzichten. Seit Oktober sind von den Tischen des sogenannten klassischen Spiels der Wiesbadener Spielbank mit Roulette, Poker und Black Jack die Aschenbecher verschwunden. Der Umsatz, so der Spielbankchef, ist hier um 20 Prozent zurückgegangen. Noch weichen die Raucher ins Automatenspiel aus, von Mai an können sie wieder klassisch rauchen. Die Kurhausgastronomie von „Käfer’s“ wird eine zusätzliche separate Raucherbar in der Rotunde einrichten.

Für Nichtraucher sind Rauchverbote natürlich höchst erfreulich. Mütter können mit ihren Kindern wieder unbesorgt in Cafés einkehren und der Pullover duftet nach dem Barbesuch immer noch wunderbar nach „Perwoll“. Nur der starke Raucher kommt sich verloren vor. Durch die neue Raucherpolitik sind seine Gewohnheiten durcheinandergeraten. „Die „Süddeutsche“, der Espresso, die Zigarette und das nette Lächeln der Kellnerin gehörten zu meinem täglichen Lebensrhythmus“, sagt der Wiesbadener Kameramann Johannes Knauf. Dieser Rhythmus sei „empfindlich gestört“. Ausgehen in Zeiten des Rauchverbots, das bedeute für ihn, ständig auf der Suche zu sein nach einem Platz, wo er als Raucher willkommen ist. Das lässige „En passant“ eines Bistrobesuchs, die schnelle Zigarette am Tresen sei dahin.

Knauf erinnert sich, wie seine Eltern, die Nichtraucher waren, ihren Gästen aus Aufmerksamkeit Zigaretten ihrer Lieblingssorte aus der Silberschale anboten. Das ist lang her. Wenn er heute zu einer Party eingeladen ist, freut er sich, wenn ein Aschenbecher zu sehen ist, fragt höflich, ob er rauchen dürfe, oder geht gleich auf den Balkon. Aber eigentlich geht er kaum noch aus. Warum auch? Zu Hause ist es viel schöner. Neben seiner Bibliothek hat er sich eine gemütliche Leseecke eingerichtet, mit Sessel, Beistelltisch und einem „ausgesprochen schönen Aschenbecher von Ricard“.

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