Rechtsform Wie Unternehmen die Mitbestimmung aushebeln

Um der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat zu entgehen, wählen immer mehr Unternehmen in Deutschland eine ausländische Rechtsform, zeigt eine neue Studie.

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Trend nach unten Quelle: Hans-Böckler-Stiftung

Air Berlin hat es getan, die Drogeriekette Müller, das Logistikunternehmen Dachser und die schwedische Textilkette H&M ebenso: In den vergangenen vier Jahren hat sich in Deutschland die Zahl der Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die eine ausländische Rechtsform wählen, mehr als verdoppelt. Mittlerweile gehen 37 Unternehmen dieser Größenklasse ihren Geschäften als amerikanische Incorporated (Inc.), britische Limited (Ltd.), niederländische B.V. oder in juristischen Mischformen wie der Ltd.&Co. KG nach. Dies hat eine neue Studie* der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) in Düsseldorf ergeben.

Die gewerkschaftsnahen Forscher glauben dabei nicht an das Argument, mithilfe einer ausländischen Rechtsform könnten global agierende Konzerne ihre internationalen Aktivitäten besser koordinieren. Sie wittern vielmehr eine Umgehungsstrategie, denn durch die Wahl einer ausländischen Rechtsform lassen sich die deutschen Mitbestimmungsgesetze aushebeln.

Noch keine Massenbewegung

In einer deutschen Aktiengesellschaft oder GmbH mit mehr als 2000 Beschäftigten erhalten Arbeitnehmervertreter die Hälfte der Aufsichtsratsmandate, in Betrieben mit 500 bis 2000 Mitarbeitern gilt die sogenannte Drittelparität. Nach mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofes zur Niederlassungsfreiheit gelten diese Auflagen aber nicht für ausländische Kapitalgesellschaften.

Diese Unternehmen könnten, so heißt es in der Studie, „in ihrer ursprünglichen Rechtsform in Deutschland unter Anwendung des ausländischen Gesellschaftsstatus tätig werden“. Und im Ausland sind so weitreichende Mitspracherechte wie in Deutschland eben unbekannt.

Studienautor Sebastian Sick, Unternehmensrechtler der HBS, sieht angesichts der bisherigen 37 Fälle zwar noch keine Massenbewegung weg von der Mitbestimmung. „Angesichts von 694 (quasi-)paritätisch mitbestimmten und von circa 1500 drittelbeteiligten Unternehmen lassen diese Zahlen nicht auf eine weit verbreitete Flucht, die die deutsche gesetzliche Mitbestimmung infrage stellen könnte, schließen“, schreibt der Forscher. Das freilich könnte sich schnell ändern. Sick fordert daher ein Eingreifen der Politik: „Durch eine Erstreckung der Mitbestimmungsgesetze auf Auslandsgesellschaften könnte verhindert werden, dass dieser mitbestimmungsfreie Raum weiter wächst.“

* Sebastian Sick: Mitbestimmungsrelevante Unternehmen mit ausländischen/kombiniert ausländischen Rechtsformen, Hans-Böckler-Stiftung, Januar 2010

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