Rohstoffe Weltmacht der Rohstoffkonzerne

Chinas Erzhunger und internationale Minenkonzerne machen den Kampf um Rohstoffe zur Überlebensfrage der deutschen Industrie. Jetzt gibt es Zeichen einer Entspannung. Doch um den High-Tech-Standort zu retten, müssen sich Unternehmen und Politik grundlegend ändern.

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Natürliche Abhängigkeit

Es war bislang kein schönes Jahr für Hans-Joachim Welsch. Natürlich freut sich auch der Chef der Rogesa Roheisengesellschaft Saar in Dillingen wie alle deutschen Industriellen über den aktuellen Aufschwung, aber mehr als Privatmann. Denn auch wenn Welschs Hütte unter Volllast läuft, der Boom kommt bei den Saarländern bestenfalls gedämpft an.

Über den Hochöfen, von deren Spitze man einen schönen Blick über den Naturpark Saar-Hunsrück ins nahe Frankreich hätte, hängt schweres Wetter. Seit Jahresbeginn haben sich die Preise der wichtigsten Rohstoffe Eisenerz und Kohle mehr als verdoppelt. Das trifft Welschs Hütte ins Mark, weil diese Vorprodukte zusammen mit Energiekosten wie dem – ebenfalls immer teureren – Strom 80 Prozent der Kosten ausmachen.

Mit den Problemen steht Rogesa nicht allein. „Rohstoffklemme und steigende Preise betreffen inzwischen fast alle Branchen der deutschen Wirtschaft“, sagt Joachim Rotering, Rohstoffexperte der Unternehmensberatung Booz & Company.

Standort Deutschland ist gefährdet

Industriemetallindex

Das ist für Deutschland eine Überlebensfrage. „Kommen die Rohstoffe nicht mehr zu uns, wird am Ende dort produziert, wo es Rohstoffe gibt“, sagt Rainer Thieme, Aufsichtsratschef des Stahlkonzerns Salzgitter, der auch im Kupfergeschäft aktiv ist. Und das gefährdet den Standort Deutschland, fürchtet Ulrich Grillo: „Wenn wir nichts tun, schrumpft unsere Industrie mit Millionen von Arbeitsplätzen und damit unser Wohlstand“, sagt der Miteigentümer des Duisburger Zinkherstellers Grillo-Werke. Im Nebenberuf leitet er den Rohstoffausschuss beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin, der diese Woche einen Kongress zu dem Thema veranstaltet.

Zwar gibt es erste Anzeichen einer Besserung, weil dank neuer Minen in wenigen Jahren das Angebot wieder steigen dürfte. Zudem spielen die Minenkonzerne bereits jetzt wegen des wachsenden politischen Gegenwinds ihre Macht weniger stark aus. Für eine Entwarnung ist es aber noch zu früh: „Um den High-Tech-Standort Deutschland langfristig zu retten, müssen sich die Unternehmen und die deutsche Politik grundlegend ändern und Abhilfen wie Recycling und Ersatzstoffe fördern“, fordert Stahlmanager Thieme.

Peak-Metall Ist Unsinn

Am Mangel haben deutsche Unternehmen eine Mitschuld. Viele besaßen wie ThyssenKrupp lange eigene Erzminen. „Doch im Vertrauen, dass es mit der zunehmenden Globalisierung keinen Mangel an Rohstoffen mehr geben werde, haben sich alle davon getrennt“, sagt Berater Rotering.

Geschmiedet haben die Bedrohung aber vier Männer, deren Schreibtische bis zu zwölf Flugstunden voneinander entfernt stehen. Der bekannteste ist Chinas Premierminister Wen Jiabao, der für seine wachsende Industrie und den Bau von Straßen oder Wohnungen immer mehr Rohstoffe braucht und bereits gut die Hälfte der weltweit gehandelten Menge an Eisenerz und Kohle importiert.

Ebenso wichtig sind die weniger bekannten Chefs der weltgrößten Minenkonzerne: Roger Agnelli von Vale aus Brasilien, Marius Kloppers vom britisch-australischen Minengiganten BHP Billiton und Tom Albanese von der ebenfalls britisch-australischen Rio Tinto. Weil aus den Gruben des Trios zwischen Amazonas und Australien rund drei Viertel der erz-roten oder kohle-schwarzen Lebenselixiere der Erde stammen, können sie Mengen und Preise fast nach Belieben bestimmen.

Eisenerz

Bedrohlich wird der Mangel bei Metallen weniger, weil wie beim Erdöl der Peak-Oil genannte Höhepunkt der Reserven überschritten wäre. „Das Gerede vom Peak-Metall ist Unsinn, weil die Erde nur zu einem kleinen Teil auf mögliche Lagerstätten erforscht ist“, sagt Peter Buchholz, Arbeitsbereichsleiter Rohstoffwirtschaft der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hamburg. Gefährlich wird die Klemme, weil sie häufig künstlich herbeigeführt wird.

Größter Übeltäter ist China. Während deutsche Unternehmen sich selbst um ihre Rohstoffe kümmern müssen, betätigt sich China für seine Betriebe als Zentraleinkäufer. Den Bedarf, der je nach Rohstoff um bis zu 80 Prozent im Jahr klettert, sichert die Regierung mit Hamsterkäufen zu Kampfpreisen. Peking verknüpft in Afrika oder Lateinamerika Entwicklungshilfe mit Liefergarantien für Metalle.

Gleichzeitig sichert China aber eigene Mineralien und Halbfertigwaren im Land: Durch offene Verstöße gegen den Freihandel wie Exportsteuern oder Ausfuhrverbote wie auf die seltenen Erden, auf die das Land fast ein Monopol hat (siehe WirtschaftsWoche 48/2009). „Die Liste der Verstöße hat 450 Posten“, rügt Hüttenchef Welsch.

Weltweit bis zu 100 Grubenprojekte zu seltenen Erden

Der BDI hat seine Generalversammlung deutscher Rohstoffopfer vor allem einberufen, damit sie der Bundesregierung ins Gewissen redet, die aus Sicht vieler BDI-Mitglieder den Mineralmangel unterschätzt. „Da reden wir Wirtschaftsminister Rainer Brüderle vor seiner Chinareise Anfang des Monats fast manisch ins Gewissen, und dann bringt er das Thema Handelsfouls bestenfalls am Rande zur Sprache“, ärgert sich ein Manager.

Aber der BDI-Kongress ist auch Innenpolitik. Einigen Verbandsmitgliedern brennt das Thema weniger stark unter den Nägeln, weil sie die Lage derzeit weniger dramatisch erleben. Vielen füllt der Aufschwung die Kassen, sodass sie das Gefühl haben, sich die Preissprünge eher leisten zu können. Dazu rechnen viele in absehbarer Zeit mit einer Entspannung.

Dafür spricht einiges: „Angesichts der Rekordpreise lohnt es sich wieder, neue Gruben zu erschließen und jene wiederzubeleben, die vor allem von kleineren Minenkonzernen eingemottet wurden, als mit dem Konjunkturabschwung vor zwei Jahren die Preise fielen“, sagt Experte Buchholz von der Rohstoff-Bundesanstalt. Das dürfte in zwei, drei Jahren bei fast allen Mineralien den Mangel deutlich lindern, selbst bei den seltene Erden genannten Metallen, die für High-Tech-Produkte vom Smartphone bis zum Laptop unverzichtbar sind. Dort gibt es weltweit bis zu 100 neue Grubenprojekte, die bis 2015 wieder fördern könnten.

Auch bei den mächtigen Grubenkonzernen erkennen Stahlmanager erste Anzeichen des Umdenkens und Milde bei den Preisverhandlungen. „Sie sehen, dass sie allmählich den Ast absägen, auf dem sie sitzen“, sagt Berater Rotering.

Kupfer

Die Minenkonzerne wissen: Zu hohe Preise ermuntern ihre Abnehmer nicht nur dazu, neue Lieferanten zu suchen, künftig weniger knappe Ersatzstoffe zu nutzen oder sparsamere Verfahren zu entwickeln, bei denen etwa Stahlkonzerne auch aus Zutaten geringerer Güte Stahl höchster Qualität kochen. Sie sorgen am Ende gar dafür, dass die Hütten mit der Autoindustrie und anderen Stahlkunden eine mächtigere Einheitsfront bilden und die Erzherzöge leichter gegeneinander ausspielen können. „Die ersten Ansätze gibt es bereits“, berichtet Stahlmanager Thieme.

Zudem treten die Minenkönige auch in der Öffentlichkeit anders auf. „Fast alle suchen wieder eine stärkere Nähe zur Politik und zu ihren Heimatländern“, sagt Lars Immerthal, Rohstoffexperte der Supply- Chain-Management-Beratung Brainnet. Konzernchefs wie Cynthia Carroll von der britisch-südafrikanischen Anglo American wollen ihre Unternehmen als verantwortungsbewusste Spieler darstellen. „Unser Beitrag für Entwicklungsländer ist größer als die Entwicklungshilfe vieler OECD-Länder“, sagt die einzige Frau an der Spitze eines Rohstoffriesen.

Neue Nähe zur Politik

Ob BHP, Rio und Vale sowie die – über die Tochter De Beers – bei Diamanten führende Anglo und der mit in diesem Jahr wohl rund 170 Milliarden Dollar Umsatz schwere Verbund des Schweizer Rohstoffhändlers Glencore und seiner Beteiligung Xstrata: Sie alle wirken heute wie die neuen Herren der Welt. Doch sie brauchen dringender denn je ein gutes Image und den Rückhalt der Regierungen ihrer wichtigsten Förder- und Abnehmerländer wie Australien, Südafrika oder die EU, damit sie Übernahmen und neue Minen ohne erdrückende Auflagen genehmigen. Jede neue Grube ist hoch riskant und rechnet sich meist frühestens in zehn Jahren, zum Beispiel das Projekt Serra Sul im Amazonasgebiet, in das Vale 11,3 Milliarden Dollar für Erschließung und Infrastruktur sowie eine Eisenbahnlinie steckt.

Abschied vom Ex-Kumpel

Gleichzeitig brauchen die Grubenherren Hilfe, wenn ihnen Länder wie China ins Handwerk pfuschen. Beispiel Rio Tinto: Das Reich der Mitte wollte 2009 über den Staatskonzern Chinalco einen größeren Anteil erwerben. Als das nicht klappte, wurden Rio Tintos führende Mitarbeiter in China wegen Korruption und Spionage verhaftet und in einem undurchsichtigen Verfahren zu hohen Strafen verurteilt.

Bisher ist das Bild der Rohstoffriesen in der Öffentlichkeit negativ. Umweltschützer kritisieren, dass die Minenbetreiber mit ihren Gruben die Landschaft verschandeln und häufig vergiften sowie in Gegenden ohne ausreichendes Trinkwasser große Mengen davon verbrauchen.

Den Regierungen ist der Bergbau inzwischen zu mächtig. Noch vor zehn Jahren bestand die Branche vor allem aus kleinen Buddlern. Doch ab 2001 ersetzte als Erster BHP die im Management bis dahin üblichen grobschlächtigen Ex-Kumpel mit den schaufelgroßen Händen durch dealhungrige Ex-Berater wie den heutigen Chef Kloppers mit jugendlichem Charme und einem Blick am Rand eines ironischen Grinsens. Kloppers und sein Vorgänger Chip Goodyear formten die 1860 im niederländischen Den Haag gegründete Billiton durch Zukäufe vom Eisenstaubschaufler zum diversifizierten Erzkonzern. Das Engagement in vielen Mineralien macht BHP weniger anfällig, wenn die Konjunktur schwankt oder eine neue Grube bestreikt oder später fertig wird.

Zinn

Das Wohlwollen der Kartellbehörden verdarben sich die Konzerne, als sie nach einem Jahrzehnt von Zusammenschlüssen im Wert fast einer Billion Dollar ihre Marktmacht zu massiven Preiserhöhungen nutzten. So scheiterten zuletzt fast alle großen Fusionsprojekte wie BHP / Rio, -Vale / Xstrata oder Anglo / Xstrata nicht zuletzt an den Wettbewerbshütern.

Doch die größere Zurückhaltung der Minenkonzerne und neue Rohstoffquellen sind für die deutsche Industrie noch kein Grund zur Entwarnung. Erze bleiben knapp, weil mit dem weltweiten Wachstum die Nachfrage steigt und besonders China auch künftig fast alles tun wird, um seinen Bedarf zu decken.

Zwar zeigt sich das Land flexibel, wenn der Druck zu hoch wird. So konnte jüngst der Rest der Welt eine kleine Aufwertung der Landeswährung Renminbi durchsetzen. Doch bei den Rohstoffen ist nicht zu erwarten, dass China das Hamstern lässt.

Denn hinter der Strategie steckt weder reine Bosheit noch der Wille, den Westen herauszufordern, sondern eine Überlebensstrategie. China kann politisch und wirtschaftlich nur stabil bleiben, wenn es durch Wachstum neue hochwertige Jobs in Zukunftsbranchen schafft.

Illegale Bergwerke

Um die nötigen Rohstoffe zu sichern, kümmern sich die Chinesen kaum um Menschenrechte oder Umweltstandards in afrikanischen Ländern – „und schon gar nicht um fairen Welthandel“, sagt ein deutscher Industriemanager. Er hat sogar Verständnis. „Die arbeiten im Grunde wie Deutschland beim Aufbau der Industrie bis in die Fünfzigerjahre.“

Selbst wenn China sich an internationale Standards hält, fördert das nicht selten die Knappheit, etwa bei den seltenen Erden. Die High-Tech-Metalle kommen heute oft aus kleinen illegalen Bergwerken ohne Rücksicht auf Natur und Sicherheit. Beim Aufräumen der Schäden steht China vor gewaltigen Herausforderungen, weil das begehrte Metall nicht selten mit hochgiftigen Substanzen wie Blausäure aus den Erzen gewaschen wird. In der Inneren Mongolei, wo sich nach chinesischen Medienberichten rund 450 der illegalen Bergwerke befinden sollen, sind ganze Landstriche unbewohnbar. Darum will Peking viele Bergwerke nach und nach schließen, verknappt aber damit das Angebot.

Vorbild Autobatterie

Um den deutschen Rohstoffbedarf langfristig zu sichern, kommen Unternehmen und Politik an grundlegenden Änderungen nicht vorbei. Dazu zählt neben Sicherungsgeschäften gegen die schwankenden Preise wie beim Öl vor allem ein aktives Rohstoffmanagement.

Berater wie Immerthal raten Unternehmen zu eigenen Kompetenzzentren, die nicht nur die Trends der Rohstoffmärkte kennen. Diese Stellen erforschen auch, welche Lieferanten Probleme bekommen könnten, wie Produkte mit weniger kritischen Rohstoffen auskommen und wie sich die am Ende unverzichtbaren Mineralien absichern lassen. „Das senkt die Rohstoffkosten im Schnitt um fünf bis zehn Prozent“, sagt Immerthal.

Zweiter Ausweg aus der Klemme ist mehr Wiederverwertung. „Das ist bei vielen Metallen von Kupfer bis zu den seltenen Erden fast ohne Verluste möglich“, sagt Stahlmanager Thieme.

Hungrige Riesen

Bisher scheiterte dies bei High-Tech-Metallen am fehlenden Angebot. Die gut 20 Millionen Handys und fünf Millionen Computer, die deutsche Konsumenten und Unternehmen jährlich ausmustern, landen selten bei Recyclingspezialisten wie Umicore aus Hanau, sondern im Hausmüll oder werden von abgebrühten Händlern in andere Länder geschafft, wo die wertvollen Inhalte unter hohen Umweltbelastungen herausgezogen werden – und oft in China landen. Der Export ist zwar illegal, wird jedoch in der Praxis oft als Spende deklariert, und wenn er auffliegt, kaum geahndet.

Darum fordert der BDI hier striktere Kontrollen und staatliche Regelungen, etwa ein Gerätepfand wie bei Autobatterien. „Wenn alte Sachen Geld bringen“, sagt Christian Hagelüken, Strategiechef der Recyclingabteilung bei Umicore, „schafft sie immer einer zur Sammelstelle.“

Alleinstellung auf dem Weltmarkt

Den Job übernehmen würde gerne Gerd Slotta, Chef der auf Wertstoffsammlungen spezialisierten Reverse Logistics Group. Die Münchner sammeln bereits pfandpflichtige Autobatterien, alte Katalysatoren oder leere Druckerpatronen ein und bauen gerade ein Sammelsystem mithilfe von Expressdienstleistern und namhaften europäischen Postgesellschaften auf.

Langfristig bester Ausweg ist aber die Forschung nach Technologien, die mit weniger kritischen Metallen oder alternativen Werkstoffen auskommen. Damit sinkt nicht nur die Abhängigkeit von Importen, „das gibt Deutschland auch eine Alleinstellung auf dem Weltmarkt“, sagt Berater Immerthal „und eine starke Währung in Verhandlungen mit Rohstoffländern“.

Denn während vor allem China einem Land wie Bolivien nur Geld anbieten kann für seine Vorräte an Lithium, das in den Batterien der Elektroautos steckt, vermag Deutschland eben auch Technologie zu liefern. Die hilft den Ländern, neben dem Bergbau auch Industrie mit hochwertigeren Jobs aufzubauen. „Dazu müsste die deutsche Außenpolitik etwas selbstbewusster auftreten“, sagt Immerthal.

Entsprechende Gedanken macht sich in der Bundesregierung zumindest Peter Ramsauer. „Die deutsche Politik und die Wirtschaft haben die gesamte Rohstoffversorgung zu sehr als eine absolute Selbstverständlichkeit betrachtet“, sagte der Verkehrsminister vorige Woche, als er in der Mongolei die Kupfermine Oyu Tolgoi besuchte. „Man kann nie genug dafür tun, die Rohstoffversorgung zu sichern.“

So besteht die Hoffnung, dass deutsche Unternehmen vielleicht nicht die Herren der Welt werden, aber auch nicht mehr die Knechte sein müssen.

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