Rumänien Die deutsche Autoindustrie entdeckt Siebenbürgen

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Dafür, dass noch mehr Unternehmen kommen, sorgt Viktor Späck. Der Deutsch-Rumäne, der lange in Frankfurt lebte, erschließt derzeit ein 52-Hektar-Grundstück für Hermannstadts nächsten Industriepark namens Zios. Für ein Drittel der Fläche interessieren sich bereits Investoren – „und ich habe noch nicht einmal Werbung gemacht“, sagt Späck.

Wegen des Andrangs auf Hermannstadt sehen sich deutsche Unternehmen auch anderswo um. Der Wälz- und Gleitlagerhersteller INA Schaeffler aus dem fränkischen Herzogenaurach etwa baut derzeit sein Werk bei Kronstadt aus. Ende 2008 sollen hier 3500 Menschen arbeiten.

Die Bürgermeister von Städten wie Kronstadt wetteifern um solche Großinvestitionen. Spätestens seit seinem Erfolg bei Nokia gilt Klausenburg als der Aufsteiger. Mit 100.000 Studenten bietet die viertgrößte Stadt Rumäniens eigentlich schon seit Jahren gute Voraussetzungen für Industrieansiedlungen. Aber Klausenburg hatte ein Problem: Sein nationalistischer Bürgermeister legte mehr Wert auf den Anstrich der Parkbänke in den rumänischen Nationalfarben als auf neue Unternehmen. Jetzt leitet ein neuer Bürgermeister die Stadtgeschäfte, und er ist voller Tatendrang: „Wir setzen voll auf High Tech und Dienstleistung, Finanzwirtschaft und Medizin, wir bauen Ringstraßen und ein Nahverkehrssystem“, sprudelt es aus Emil Boc heraus. In weniger als einem Jahr habe seine Stadt 6000 neue Arbeitsplätze geschaffen „Im Wettbewerb mit Sibiu, Timisoara und Brasov gehen wir in Führung.“ Entscheiden sich Daimler oder General Motors tatsächlich für die Stadt in Nordsiebenbürgen, könnte ihr energischer Bürgermeister recht behalten. „Ich weiß von Daimler“, orakelt Boc, „aber ich kann noch nichts darüber sagen.“

Vage bleibt auch der Geschäftsführer des Klausenburger Industrieparkbetreibers Tetarom. Nein, mit ihm habe noch niemand von Daimler gesprochen, sagt Viorel Gavrea, ein ruhiger Mann Mitte 50, mit borstigem, grau meliertem Haar. Betont entspannt sitzt er in seinem hohen Ledersessel. Ihm ist anzumerken, dass Großes im Gange ist. Auf das 200 Hektar große Areal neben Nokia haben es vier Konzerne abgesehen. Einer ist aus Deutschland und einer – so viel steht fest – ist General Motors. „Unser Problem ist“, sagt Gavrea, „jeder von ihnen will das ganze Gelände.“

Gavreas Pläne für Tetarom III, den größten und jüngsten der drei Klausenburger Industrieparks bei Jucu, sind beeindruckend: Zusätzlich zum Nokia Village soll für 50 Millionen Euro ein 20 Hektar großer Service-Park mit Bildungsstätten, Wohnungen für Studenten und Professoren, Tennisplätzen, Restaurants, einem medizinischen Zentrum, einer Polizeistation und einer Feuerwache entstehen – dort draußen auf den Feldern wird kein Industriepark geboren, sondern eine neue Stadt.

Auch Deutsche hat Gavrea in seine Gewerbegebiete gelockt. Von seinem Büro im kleineren Park Tetarom I aus blickt er auf zwei Hallen von Siemens. Siemens übernahm dort einen rumänischen Industriedienstleister und führt ihn auf forsche Art: Die Manager drängen Tetarom, die Straße vor dem Werk in „Siemens-Straße“ umzutaufen. Gut möglich, dass bald ein weiteres großes deutsches Unternehmen sich von Männern wie Materna Produktionshallen in Nordsiebenbürgen aus dem Boden stampfen lässt. Gut möglich auch, dass dabei – wie im Fall Nokia – Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet werden. Ob deutsche Politiker einander dann wieder in heller Empörung überbieten?

Die Manager in Siebenbürgen waren verblüfft von dem Aufruhr um Nokias Produktionsverlagerung von Bochum nach Jucu: „Das war peinlich und eine Demonstration der Inkompetenz“, sagt Peter Hochmuth, Präsident des Deutschen Wirtschaftsclubs Temeswar, „wer eine Massenproduktion von Mobiltelefonen in Deutschland noch vor zehn Jahren mit 40 Millionen Euro subventioniert hat, der gehört geohrfeigt.“ Zumal Deutschland nicht zum ersten Mal eine Handyfertigung an Rumänien verliert: Schon Motorola verlagerte Ende der Neunzigerjahre einen Teil seiner Produktion zu dem US-Auftragsfertiger Solectron in Temeswar. Damals hielt sich die Erregung in Grenzen. Das Solectron-Werk baute – wer sonst – Materna.

Seit zehn Jahren hetzt er nun kreuz und quer durchs Land. Seine Bilanz: Industriegebäude im Wert von 190 Millionen Euro für 13 000 Mitarbeiter. Nachdenklich sitzt er in der Lobby des Ramada von Hermannstadt. Manager in maßgeschneiderten Anzügen drängen sich an der Rezeption. Die meisten sprechen Deutsch. Materna beobachtet den Boom in Rumänien mit gemischten Gefühlen: „Wenn hier alles klar ist, ziehe ich weiter in die Ukraine oder nach Kasachstan“, sagt er. Und kratzt getrocknete Spritzer von siebenbürgischem Schlamm von seinem Laptop.

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