Russische Autos Dienstwagen für Patrioten

Mit seiner neuen Limousine Siber will Gaz, der Autokonzern des Oligarchen Oleg Deripaska, die Renaissance der russischen Autoindustrie einleiten und den Vormarsch der ausländischen Marken bremsen.

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Chrysler Sebring Quelle: AP

Seine härteren Federn und die höhere Bodenfreiheit schützen ihn vor den Tücken der sibirischen Landstraße. Die Frontschürze ist kantiger als die seines amerikanischen Bruders, seine Scheinwerfer wirken schmaler und aggressiver. Dennoch sind dem Siber die Gene des Chrysler-Modells Sebring deutlich anzusehen.

Seit wenigen Wochen läuft das neue russische Automodell Siber bei Gaz, dem zweitgrößten Autohersteller Russlands, vom Band. Mit der ersten großen Limousine unter russischer Marke seit Jahren will Gaz, zu 50 Prozent im Besitz der Holding Basic Element des Oligarchen Oleg Deripaska, auf dem heimischen Pkw-Markt verlorenes Terrain zurückerobern. Mehr noch: Der Siber  – sein Name soll Assoziationen mit Sibirien wecken – tritt an, der gesamten technisch zurückgefallenen russischen Autoindustrie im eigenen Land und auf der Welt wieder zu Ansehen zu verhelfen.

An Chancen mangelt es nicht: Gaz schickt das in Lizenz gebaute Sebring-Derivat auf einem der wachstumsstärksten Automärkte der Welt ins Rennen. Der Neuwagen-Absatz in Russland legte im vergangenen Jahr um 37 Prozent zu, das Land ist inzwischen der drittgrößte Automarkt Europas. 36 Milliarden Euro gaben die Russen 2007 für Autos aus. Doch davon profitierten vor allem ausländische Hersteller wie General Motors, Ford, Toyota, Hyundai und in jüngster Zeit auch der chinesische Russland-Neuling Chery. Sogar der setzte im vergangenen Jahr mehr Autos ab als Gaz mit seinem alten und bisher einzigen Passagiermodell, dem robusten, aber seit 1970 kaum veränderten Wolga.

Und die Ausländer sind noch nicht zufrieden. Um die hohen russischen Importzölle zu umgehen, produzieren sie zunehmend im Lande: Ford montiert in einer Fabrik bei Sankt Petersburg, General Motors bei dem russischen Gaz-Konkurrenten Avtovaz, Mitsubishi und Toyota eröffnen eigene Werke, Volkswagen produziert seit Kurzem in Kaluga, 150 Kilometer südlich von Moskau.

Der Siber soll dem Vormarsch der Ausländer Einhalt gebieten – mit ausländischer Hilfe: Gaz hat bei Chrysler nicht nur die Lizenz für die Sebring-Plattform JR-41 eingekauft, sondern auch gleich eine alte Sebring-Produktionsstraße aus Michigan in das Gaz-Werk in Nischni Nowgorod, 400 Kilometer östlich von Moskau, schaffen lassen. Die wichtigsten Baugruppen kommen aus den USA und Mexiko, Produktions-Knowhow und Teile liefert auch der kanadische Autozulieferer Magna, an dem die Gaz-Muttergesellschaft Basic Element seit 2007 mit 20 Prozent beteiligt ist. Gaz-Eigner Deripaska vertraut auf ausländisches Management: Der Gaz-Chef und ehemalige Volvo-Manager Erik Eberhardson ist Schwede, die in Großbritannien ansässige Gaz-Tochter Gaz International leitet der ehemalige Ford-Europachef Martin Leach.

Ein amerikanischer Straßenkreuzer in russischer Verpackung? Eberhardson und Leach haben keine andere Wahl. Sie können nicht warten, bis Gaz einen eigenen Nachfolger für den traditionellen Dienstwagen russischer Beamter, den Wolga, entwickelt hat. Der Absatz des schweren, wenig Fahrkomfort bietenden Modells mit der altertümlichen Optik bricht dramatisch ein. Ein Nachfolger muss her, und zwar schnell. Sieben Jahre bräuchte Gaz für eine eigene Neuentwicklung, sagt ein mit dem Siber befasster Gaz-Manager in Nischni Nowgorod. Für die Weiterentwicklung des Chrysler brauchte Gaz nur ein Jahr. Der Limousine sollen eine Kombi-Version und eine Crossover-Variante folgen. Mit anderen internationalen Herstellern – darunter ist der mit seinen Opel-Modellen in Russland erfolgreiche General-Motors-Konzern – verhandelt Gaz über ähnliche Kooperationen und kündigt auch einen neuen Wolga an. Gaz habe „weit reichende Pläne für die Marke Wolga“, sagt ein Konzernsprecher.

Helfen soll ein Deutscher: Der frühere Europa-Chef des amerikanischen Autozulieferers Delphi, Volker Barth, leitet Basic Elements Autozuliefersparte RM Systems – einen Bauchladen teilweise kaum wettbewerbsfähiger Zulieferbetriebe der Gaz-Gruppe. Barth sei „nicht zu beneiden“, sagt ein Kenner der russischen Autobranche. Er soll die Zulieferer in Joint Ventures  mit modernen ausländischen Unternehmen führen – laut Gaz-Muttergesellschaft Basic Element kommen dafür auch deutsche Unternehmen in Frage. Einige liefern bereits, und deutsche Beratungsunternehmen wie das Kölner Forum Russland wittern ihre Chancen und organisieren Kontaktbörsen und Unternehmerreisen zu Standorten der russischen Autoindustrie.

Erfahrungen, die ihm in seinem schwierigen Job helfen, sammelte Barth auf anderen Aufbruchsmärkten der Welt, etwa in der brasilianischen Autoindustrie in den Neunzigerjahren. Vom technischen Niveau des russischen Zuliefersektors ist der Veteran alles andere als begeistert, aber mit Hilfe von Magna, sagte Barth im vergangenen Jahr, sei bei Gaz eine Modernisierung „machbar“. Darauf vertrauen, dass ausländische Zulieferer ihr wertvolles Knowhow den Russen aus eigenem Antrieb überlassen, mag Gaz-Eigner Deripaska indes nicht:“ Zu glauben, dass sie kommen, wenn wir die Bedingungen dafür schaffen, ist naiv“, sagte Deripaska in einem Interview. „Sie werden nicht kommen.“

Also muss Barth sie locken. Jenen, die sich auf das Russland-Abenteuer einlassen, winken günstige Vertriebsbedingungen. Offenbar sichert Gaz Zulieferern feste Abnahmegarantien zu – ungewöhnlich in der harten, dem Preisdruck der großen Autokonzerne ausgesetzten Zulieferindustrie. „Dieses Zugeständnis zeigt, unter welchem Druck die russischen Autobauer stehen, ihren eigenen Wertschöpfungsanteil zu senken“, sagt der deutsche Branchenkenner. Die Gaz-Gruppe produziert noch wesentlich mehr Komponenten selbst als ihre westlichen und asiatischen Konkurrenten, die vom Wettbewerb unter ihren spezialisierten Zulieferern profitieren.

Und sollte das Werben um Kooperations- und Joint-Venture-Partner nicht ausreichen, wird eben gekauft. In Italien verhandelt Gaz nach Informationen aus Branchenkreisen über einen Einstieg bei dem Dieselmotoren-Hersteller VM Motori, der sich auf Antriebsaggregate für leichte Nutzfahrzeuge spezialisiert hat.

Nutzfahrzeuge sind mit 94 Prozent des Umsatz wegen des bröckelnden Wolga-Absatzes das Kerngeschäft der Gaz-Gruppe. Seinen größten Erfolg landete das Unternehmen mit dem Modell Gazel, einem als Sammeltaxi in Moskau allgegenwärtigen Kleinbus. Aber die meisten Gazellen fahren noch mit Benzinmotoren und deshalb mit hohen Spritkosten. „Wir müssen die Ausstattung unserer Nutzfahrzeuge mit Dieseltechnik beschleunigen“, mahnte Deripaska im vergangenen Jahr. Der Diesel-Anteil liege erst bei sechs Prozent, „dabei sollten es 90 Prozent sein.“ Vielleicht treiben bald italienische Dieselmotoren Gaz-Nutzfahrzeuge an.

Um im lukrativen Kleinbus-Markt an ausländisches Knowhow zu kommen, übernahm Basic Element vor zwei Jahren den angeschlagenen britischen Nutzfahrzeughersteller LDV. Dessen Bus- und Lieferwagenmodell Maxus soll nun bald auch in Nischni Nowgorod vom Band laufen und Gaz’ Führungsposition im Russland sichern.

Doch mit Bussen, Lastwagen und Baumaschinen allein wird der Patriot Deripaska den Wunsch seines neuen Premierministers und früheren Präsidenten Wladimir Putin kaum erfüllen können. Putin will eine starke russische Autoindustrie  für die Massen unter russischer Marke aufbauen.

Mit dem Siber versucht Gaz einen neuen Anlauf im Pkw-Segment, das im kommenden Jahr schon 13 Prozent des Gesamtumsatzes des Autokonzerns ausmachen soll. Der Siber sei „preiswerter und komfortabler“ als vergleichbare ausländische Wagen, sagt ein Gaz-Sprecher. Den Erfolg garantiert das noch nicht. Entscheidend dürfte sein,  ob die russischen Kunden den runderneuerten Sebring als russisches Produkt annehmen und mit seiner Qualität zufrieden sind. Gaz müsse den Käufern klar machen, „dass dies ein robustes, hier hergestelltes Auto ist“, sagte im vergangenen Herbst der Chef der Gaz-Pkw-Sparte, Leonid Dolgow.

Keine leichte Aufgabe. Schon ein anderes Modell, dessen Marketiers an den  russischen Nationalstolz appellierten, fielen bei den Kunden durch: Der SUV- Geländewagen Patriot des zur Severstal-Gruppe gehörenden Autoherstellers UAZ etwa musste beißendes Gespött aus dem Volksmund über sich ergehen lassen: „Um einen Patrioten zu kaufen“, lautete ein Witz, „muss man selbst einer sein.“

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