Russland Schmerzhafte Lektion für Volkswagen

Erfolge lassen sich nicht einfach exportieren. Diese Erfahrung macht Volkswagen gerade in Russland - ein Kampf an allen Fronten.

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Mitarbeiter von VW-Russland in Quelle: dpa

Arbeiter sind ehrlich. „Das, was hier wirklich läuft, ist ein Witz“, sagt ein Monteur und blickt spöttisch in die sterile Montagehalle. Männer in grauen Overalls schrauben an Fahrzeugen die Reifen an, füllen Benzin ein und klopfen auf die Innenverkleidung. Hunderte von Gästen, die VW zum Teil aus ganz Europa nach Russland geflogen hat, sollen eine Fabrik auf Hochtouren sehen, die der Konzern in 13 Monaten auf eine grüne Wiese hat stampfen lassen.

Doch was die Angereisten von nah und fern auf dem 400 Hektar großen Werksgelände in der russischen Stadt Kaluga, rund 190 Kilometer südwestlich von Moskau, im vorigen November erlebten, war Blendwerk – und bis heute läuft es nicht rund. Knapp neun Monate nach der Inbetriebnahme der insgesamt 500 Millionen Euro teuren Montagefabrik sind die Anlaufschwierigkeiten alles andere als witzig. Offiziell gibt VW an, der Hochlauf der Fabrik liege voll im Plan. Dennoch macht der deutsche Vorzeigeautobauer gerade die schmerzhafte Erfahrung, wie schwierig der Export heimischer Erfolgsrezepte in ein Schwellenland wie Russland sein kann. Die Deutschen kämpfen in Kaluga an allen Fronten: Personalsorgen, Logistikprobleme, unsichere Stromversorgung, strittiger Vertrieb, teure Aufpasser aus Deutschland. „Volkswagen hat die Probleme vor Ort einfach unterschätzt“, sagt ein Moskauer Manager, der den Konzern von innen kennt. „So ein Werk funktioniert in Wolfsburg reibungslos, vermutlich auch in Rumänien, aber nicht in Russland.“

Der Schlamassel beginnt beim Personal. Die 350.000-Einwohner-Stadt Kaluga, zwei Autostunden von Moskau entfernt, ist gegenwärtig nicht in der Lage, den schlagartig gestiegenen Bedarf an Personal zu befriedigen, den ein 3500-Mitarbeiter-Werk wie das von VW erfordert. Gute Leute fehlen an allen Ecken – vom Automonteur bis zum Logistiker, vom Kfz-Zulieferer bis zum Hotelier. Volkswagen habe große Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, gibt ein leitender Personaler des Konzerns hinter vorgehaltener Hand zu. Händeringend werden Facharbeiter wie Elektriker, Mechaniker und Schlosser, aber auch Ingenieure gesucht. Nicht einmal ein Koch für die Kantine fand sich auf Anhieb. VW versuchte, den Küchenmeister der deutschen Botschaft in Moskau abzuwerben – ohne Erfolg.

Mitarbeiter verschwinden manchmal fast über Nacht

Sind Leute gefunden, suchen viele auch schon wieder das Weite, wenn sie etwas Besseres haben. Viele derer, die ein paar Wochen am Band gearbeitet haben, verschwinden manchmal fast über Nacht – das liberale russische Arbeitsrecht mit Kündigungsfristen von 14 Tagen macht’s möglich.

Das alles hätten sich die VW-Strategen bei ihrer Entscheidung für den Standort Kaluga eigentlich denken können. Denn extrem hohe Fluktuation gibt es auch in anderen Schwellenländern, etwa in Indien oder in den Küstenregionen Chinas.

In Kaluga kam erschwerend hinzu, dass die Fabriken der Region zu Sowjetzeiten fast ausschließlich für den militärisch-industriellen Komplex fertigten, Pistolen oder Panzermotoren bauten. In den Neunzigerjahren ging der größte Teil der Waffenschmieden Pleite, einige wenige stellten auf Autoradios oder Haushaltsgeräte um. Die meisten der überzähligen Arbeiter verdingten sich im Einzelhandel, fuhren Taxi oder gingen in die Verwaltung. Jetzt, da die Industrieregion Kaluga ihr Comeback feiert, finden die produzierenden Betriebe ein Heer an Mitarbeitern, die irgendwann einmal Schlosser oder Elektriker gelernt, aber seit 15 Jahren keine Fabrik mehr von innen gesehen haben. Ein deutscher VW-Arbeiter bringt es überspitzt auf den Punkt: „Die können hier alle keine Autos bauen.“ Ein anderer legt nach: „Der Aufbau Ost ist nichts dagegen.“

Diejenigen, die es jetzt richten müssen, sitzen abends in der Lobby des Hotels Kaluga, der einzigen vernünftigen Herberge am Platz, und trinken Bier aus Halbliter-Krügen. Fast 100 aus der Heimat Abkommandierte, sogenannte Expats, beschäftigt Volkswagen inzwischen in Kaluga, meist aus Deutschland und aus Tschechien, wo der Konzern Skodas produziert.

Die Zahl 100 spricht Bände, am Tag der Werkseröffnung am 29. November 2007 waren es erst 17 Spezialisten. Gemessen an einer Belegschaft von bislang rund 1000 Mitarbeitern, zeigt die hohe Anzahl an Legionären, wie schwer es VW fällt, in Russland eine Produktion nach deutschen Maßstäben aufzuziehen. Fast in allen Bereichen der Montage wachen erfahrene deutsche Facharbeiter und Ingenieure darüber, dass Standards eingehalten, die richtigen Schrauben in die passenden Löcher gedreht werden. Russische Arbeiter, so heißt es unter den Expats, neigen zur Eigeninitiative.

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