RWE-Chef Atomsaurier Jürgen Großmann kämpft um sein Erbe

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Großmann ist 59 Jahre alt, seit 26 Jahren verheiratet, er hat zwei erwachsene Töchter, einen erwachsenen Sohn, sein Vermögen wird auf 1,4 Milliarden Euro geschätzt. Er lebt mit seiner Frau Dagmar Sikorski, die einen Musikverlag besitzt und finanziell unabhängig ist, in einem Haus in Hamburg. Es gibt eine Wohnung in Mülheim an der Ruhr, ein Haus am Tegernsee, eines in Frankreich, eines in London, ein Hotel in der Schweiz. Großmann besitzt ein Weingut in Australien, ein Zwei-Sterne-Restaurant in Osnabrück, aber all das ist nicht mehr entscheidend. Denn Deutschland hat ihn über Nacht ins Museum gestellt. Das ist das Problem, das er mit sich herumschleppt. Bleibt die Frage: Soll er zum Frühstück noch ein Atomkraftwerk schlucken?

In England, wo RWE Geschäfte macht, könnte er das Kraftwerk aufstellen lassen, das ihm der Japaner hier anbietet, das wäre eine Idee. Aber als Großmann aus dem Restaurant kommt, sagt er: "Die wollen nicht ins Risiko gehen." Die britische Regierung, das hat der Japaner durchblicken lassen, müsse schon einen Teil des Risikos übernehmen, RWE einen weiteren. Mit Risiko ist die große Investition gemeint, das Risiko der Kernspaltung erwähnt Großmann nicht.

Großmann hasst es, wenn ihn jemand warten lässt

Schon länger hatte er vor, sich mit dem Japaner zu treffen. Vor ein paar Monaten hatte der Asiate mit Großmann einen Termin in Deutschland vereinbart, die Verabredung dann aber platzen lassen. Wegen Fukushima. Die japanische Regierung wollte Krisengespräche führen, der Firmenchef blieb deshalb in Tokyo, und Großmann ärgerte sich. Großmann konnte nicht begreifen, dass ihn jemand bloß wegen Fukushima versetzt hatte. Beim nächsten Treffen würde er den Japaner dafür strafen und ihn warten lassen, das war Großmanns Plan. Warten bedeutet, dass ein anderer über die eigene Zeit bestimmt. Warten heißt: sich unterordnen. Großmann hasst es, wenn ihn jemand warten lässt.

Nach der Bundestagswahl im September 2009 wollte Großmann den neuen Umweltminister Norbert Röttgen von der CDU kennenlernen, er fuhr nach Berlin. Damals schien noch alles offen, Röttgen und Großmann sprachen noch miteinander. Es hätte ein harmloses Treffen werden können, aber es wurde der Auftakt zu einer Serie von Konflikten. Der Minister hatte Großmann vor der Tür warten lassen, eine Viertelstunde. Für Großmann war es ein Signal.

"Einen Moment noch!", ruft Jürgen Großmann in die Hotellobby in Tokyo und eilt nach dem Frühstück in sein Zimmer. Er braucht einen frischen Anzug, gleich werden die Gespräche mit anderen japanischen Investoren beginnen. Großmann ist für eine Roadshow nach Japan gereist, das machen Vorstandschefs von Aktiengesellschaften öfter. Sie treffen Fondsmanager und Analysten, sie reden ihre Aktien schön. Die RWE-Aktie ist abgestürzt. Bei einer Roadshow geht es darum, neues Geld zu heben, das Geld der anderen. Jürgen Großmann liebt Roadshows, weil er es liebt, Menschen etwas zu verkaufen. "Ich weiß, wie das Geschäft läuft", sagt er. Was er nicht sagt, ist, dass vieles hier anders läuft, als er gehofft hat.

Keine Zeit für den Atommanager aus dem Land des Atomausstiegs

Noch vor wenigen Wochen hatte er keinen Zweifel daran, dass ihn das Management der japanischen Firma Tepco, die das Atomkraftwerk in Fukushima betreibt, empfangen werde. Ihm wurde abgesagt. Tepco hält an diesem 28. Juni die Hauptversammlung für seine Aktionäre im Ballsaal eines Hotels in Tokyo ab, für Großmann ist keine Zeit. Den Aufsichtsratschef von Tepco nennt Großmann einen Freund, aber auch der Freund konnte nichts für ihn tun.

In Deutschland beschäftigt Großmann eine kleine Schar von Sekretärinnen damit, seine Termine hin- und herzuschieben, Lücken im Kalender zu suchen. Aber der Tag seiner Ankunft in Japan ist leer geblieben. Etwas Erstaunliches ist geschehen: Jürgen Großmann hat keine Termine. Investoren, die auf ihn neugierig waren, haben abgesagt. Ein Atommanager aus dem Land des Atomausstiegs, das klang nicht unbedingt nach einer überzeugenden Vorstellung. So saß er in der First Class des Lufthansa-Fluges LH 710 nach Tokyo, vertiefte sich nicht in Papiere, sondern schaute sich einen alten Western mit James Stewart an, Der Mann, der Liberty Valance erschoss. Danach war er bereit für ein Gespräch. Solange es um James Stewart ging, blieb er freundlich. Das änderte sich, als das Wort Fukushima fiel.

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