Saudi-Arabien Saudischer Chemiekonzern Sabic wird zum Problem für BASF

Saudi-Arabien züchtet sich mit Sabic ein Chemiekonglomerat, das immer mehr zum Problem für die deutsche Konkurrenz wird – auch für BASF.

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Sabic-Chef al-Mady. Enormer Wettbewerbsvorteil durch billiges Öl und Gas aus der Heimat.

Mitten am Tag hängt der pompöse Lüster hell erleuchtet von der Decke – spiegelt sich wie die vier Säulen um ihn herum im Marmorboden. Gemächlich schlurfen Saudis in blütenweißen Gewändern sowie Europäer und Amerikaner zu den Aufzügen. Zwischendrin fegen pakistanische Putzkräfte den Wüstensand auf, den Besucher und Mitarbeiter an ihren Schuhen in den Prunkbau schleppen. Die Lobby der Saudi Basic Industries Corporation, kurz Sabic, macht Besuchern schnell klar: Das Unternehmen, das im Norden der saudischen Hauptstadt Riad sein Hauptquartier hat, schwimmt im Geld. Dabei hatte der frühere König Khaled den Chemiekonzern 1976 nur gründen lassen, damit bei der Ölförderung anfallende Gase nicht länger ungenutzt abgefackelt werden.

Heute gilt Sabic, das von Ethylen bis zum Düngemittel die ganze Palette eines Chemiekonzerns aufbietet und nicht zuletzt den Kunststoff für das Gehäuse von Apples Musikspieler iPod liefert, im arabischen Raum als das profitabelste Unternehmen jenseits der Ölförderung. Nach Marktwert ist Sabic mittlerweile sogar der größte Chemiekonzern der Welt – mit 100 Milliarden Dollar Börsenwert fast doppelt so teuer wie der deutsche Vorzeigekonzern BASF. Und beim Umsatz legt Sabic rasant zu – im vergangenen Jahr stieg er um 46 Prozent auf umgerechnet 23 Milliarden Euro.

Wachstum dank Öl und Gas zum Billigtarif

Das Tempo verdankt der Konzern vor allem einem Fakt: Sabic kauft die zwei wichtigsten Grundstoffe der Chemie-Industrie, Öl und Gas, in der Heimat zum Billigtarif – schließlich ist Saudi-Arabien mit 264 Milliarden Barrel Ölreserven nicht nur der Welt wichtigster Ölförderer. Das Land sitzt auch auf acht Billionen Kubikmeter Gas, den viertgrößten Reserven der Erde.

Dieser Heimvorteil sorgt wesentlich dafür, dass Sabic viele Produkte auf dem Markt fast konkurrenzlos günstig anbieten kann. Inzwischen treibt der Konzern so allen voran Deutschlands Chemiebranche in die Enge – verstärkt durch die derzeit hohen Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt. Noch ist BASF bei Umsatz und Zahl der Mitarbeiter die Nummer eins der Branche – doch die Ludwigshafener auch hier vom Thron zu stoßen ist erklärtes Ziel von Sabic-Chef Mohammed al-Mady. Vergangenen Monat sorgten Aktienhändler gar mit dem Gerücht für Unruhe, Sabic wolle BASF kaufen.

BASF beschwert sich über Wettbewerbsverzerrung

Seit Jahren versuchen BASF & Co. bei der Welthandelsorganisation WTO per Lobbyarbeit gegen Sabics Einkaufsvorteil vorzugehen – bisher ohne Erfolg. Die westlichen Konzerne fühlen sich machtlos. Ein BASF-Aufsichtsrat, der nicht namentlich genannt werden will, schimpft über „Wettbewerbsverzerrung“, und René van Sloten, Lobbyist des europäischen Chemieverbands Cefic, nennt das Geschäftsgebaren der Saudis „sehr schädlich“. Die jährlichen Einsparungen entsprächen Hunderten Millionen Euro Subventionen, schätzt er. Europa verliere seine Attraktivität als Chemiestandort. „In den letzten zehn Jahren gab es hier keine nennenswerten Neuinvestments der Branche mehr“, beklagt van Sloten.

Sabics Einkaufsvorteil bei Öl und Gas ist schon auf den ersten Blick sichtbar: Für eine Million British Thermal Units Erdgas (28,3 Kubikmeter) zahlt das Unternehmen offiziellen Angaben zufolge nur 75 US-Cent. Der Marktpreis in New York liegt um die sieben Dollar. Bei den Flüssiggasen Butan and Propan erhält Sabic 30 Prozent Rabatt zum Weltmarktpreis. Ähnlich günstig dürfte der Konzern an Öl gelangen, sagen Experten, denn das kommt wie Gas vom staatlichen Ölförderer Saudi Aramco. So ergeben sich Einkaufsvorteile, die Sabic gerade bei simplen Chemieprodukten an Käufer weitergibt und dennoch dicke Gewinne einstreicht.

Ausweg in hochkomplizierten Chemie-Bereichen?

Kritikern entgegnen die Saudis, dass auch westliche Unternehmen Vorzugspreise erhalten, wenn sie in Saudi-Arabien produzieren. Der US-Konzern ExxonMobil, der seit den Achtzigern ein Joint Venture mit Sabic im früheren Fischerort Yanbu am Roten Meer betreibt, erweiterte den Komplex 2001, um dort Polyethylen und Polyprophylen herzustellen. Auch BASF hatte Konzern-insidern zufolge vor einiger Zeit den Aufbau einer eigenen Produktion in Saudi-Arabien geprüft. Das Projekt sei aber verworfen worden, weil der deutsche Konzern „nicht dieselben Konditionen wie die saudischen Unternehmen“ bekommen hätte, heißt es. Zudem seien Öl- und Gaspreis damals nicht auf dem heutigen Niveau gewesen – der Druck damit weniger groß.

Stattdessen flüchtet sich Deutschlands Chemiebranche in immer kompliziertere Bereiche der Chemie. BASF hatte erst vor wenigen Wochen für das US-Spezialchemie-Unternehmen Rohm & Haas geboten, war aber vom US-Konkurrenten Dow Chemical, den ähnliche Probleme plagen wie die Deutschen, ausgestochen worden. Rohm & Haas stellt Chemikalien zum Polieren von Waffen und zur Produktion von Mikrochips her. Nun interessiert sich BASF offenbar für den US-Katalysator- und Bauchemiehersteller Grace. BASF-Chef Jürgen Hambrecht hatte erst kürzlich eine steigende Zahl von Übernahmen in der Branche prophezeit.

Im Produktportfolio der Deutschen machen einfache Massenchemikalien wie Styrol-Butadien-Block-Copolymer, aus dem etwa Lebensmittelverpackungen hergestellt werden, mehr und mehr Spezialitäten wie dem biologisch abbaubaren Kunststoff Ecoflex Platz. Vom Geschäft mit Polyolefin-Kunststoffen, die etwa die Autoindustrie einsetzt, hatte sich BASF schon 2005 getrennt – die Ludwigshafener verkauften es für 4,4 Milliarden Euro an die US-Industrieholding Access, hinter der der russisch-amerikanische Milliardär Leonard Blavatnik steht.

Demnächst soll Access auch Teile des Polystyrol-Geschäfts übernehmen, das besonders ölintensiv ist: „Um ein Kilogramm Polystyrol herzustellen, braucht man zwei Kilogramm Erdöl“, sagt ein BASF-Sprecher. Das Öl dient als Rohstoff, ist aber auch für die chemische Reaktion notwendig. An der eigenen Basischemie-Sparte hält BASF dagegen noch fest, betreibt weiter Crackeranlagen in Ludwigshafen, China und den USA, die Rohbenzin in Ethylen, Propylen und weitere Kohlenwasserstoffe aufspalten. 95 Prozent der dort hergestellten Zwischenprodukte verarbeitet BASF aber selbst weiter.

Sabic-Chef al-Mady macht Druck: Als das Unternehmen 1981 die Produktion startete, bestand die hauptsächlich darin, bei der Ölförderung frei werdendes Ethan in Ethylen und andere simple Chemikalien aufzuspalten. Inzwischen erwirtschaftet Sabics Basis-chemie nur noch 40 Prozent vom Umsatz. Die Produktpalette, die der Konzern heute an 54 Standorten weltweit fertigt, reicht von Düngemitteln bis zu High-Tech-Kunststoffen, wo auch Degussa, BASF und Bayer aktiv sind. So lieferten die Saudis das Material für die Thermoplastik-Dächer von vier Stadien der jüngsten Fußball-EM in Österreich und der Schweiz. Und al-Mady will die Spezialchemie weiter ausbauen: „Die Europäer arbeiten an immer komplizierteren Produkten, das tun auch wir“, kündigte er im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos an.

Starke Rückendeckung für seinen Kurs erhält al-Mady vom saudischen Staat. Dem gehören 70 Prozent am börsennotierten Chemieriesen – den Rest halten Anleger meist aus der Golf-Region. König Abdullah will in den nächsten Jahrzehnten sein von der Ölförderung abhängiges Reich in eine Industrienation verwandeln. Die Chemie-Industrie sieht er als treibende Kraft. Um schneller zu wachsen, kauft auch Sabic zu: 2002 die Petrochemiesparte des niederländischen Pharma- und Chemiekonzerns DSM. Im einstigen DSM-Ableger Gelsenkirchen stellt Sabic nun jährlich eine Million Tonnen Polyethylen und Polypropylen her. Und vergangenes Jahr zahlte das Unternehmen zwölf Milliarden Dollar für die Kunststoffsparte des US-Riesen General Electric (GE).

Sabic-Verwaltungsratschef Prinz Saud bin Thunayan al-Saud ließ es sich nicht nehmen, in seine Dischdascha gehüllt, Journalisten den Deal in Riad persönlich vorzustellen. Die hohen Rohstoffpreise hatten GE Plastics, wo nicht nur der Kunststoff für Ap-ples iPod, sondern auch für die Helmvisiere der NASA-Astronauten hergestellt wird, stark zugesetzt. Die Einkaufstour hat Folgen: Auf der chinesischen Kunststoffmesse Chinaplas im April, dem wohl wichtigsten Branchentreffen, war Sabic erstmals größter Aussteller. Zudem bauen die Saudis in Shanghai ein Entwicklungszentrum, das neue Kunststoffe für Laptop-Computer finden soll. Industrieexperten trauen Sabic zu, das einstige GE-Geschäft schnell wieder fit zu machen.

Es sei denn, der westlichen Konkurrenz gelingt ihr Coup bei der WTO. Bei Verhandlungen zum WTO-Beitritt Saudi-Arabiens 2005 stand das Thema Vorzugspreise schon einmal auf der Agenda, verschwand aber später in der Schublade. Grund: Auch Russland wollte der WTO beitreten, verfolgte aber eine ähnliche Rohstoff-Politik wie die Saudis. „Die WTO-Mitgliedschaft Saudi-Arabiens und Russlands galt als wichtiger als das Problem der Chemieindustrie“, sagt Reinhard Quick, der in Brüssel den Verband der Chemischen Industrie (VCI) vertritt.

Inzwischen haben EU und USA das Thema erneut auf den Plan gesetzt – diesmal in der Doha-Runde, die seit Jahren für liberalen Welthandel kämpft. In einem Papier an die WTO schreibt die von Handelskommissar Peter Mandelson geleitete EU-Delegation, eine „derartige Praxis verschafft einheimischen Nutzern einen eindeutigen Vorteil gegenüber ausländischen Wettbewerbern, die Rohstoffe zum höheren internationalen Preis kaufen müssen“. Man schlage vor, die Liste illegaler Subventionen zu erweitern, denn derzeit gebe es keine Mechanismen, die schädliche Praxis anzugreifen.

Doch mit einer schnellen Lösung können BASF & Co. nicht rechnen. Vor wenigen Wochen brach die Doha-Runde ihre Verhandlungen zum wiederholten Male ab – diesmal, weil die USA und Indien sich nicht über landwirtschaftliche Schutzzölle einigen konnten. Sinnvolle Gespräche sind nun erst wieder nach der US-Präsidentschaftswahl möglich, die im November stattfindet. Zudem ist unsicher, ob die Runde die Vorzugspreise tatsächlich als illegal einstufen wird. „Hier ist noch nichts in trockenen Tüchern“, sagt VCI-Vertreter Quick.

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