Schmiergeldaffäre Interne Korruptionsbekämpfung stößt bei MAN an Grenzen

In Deutschlands Vorstandsetagen herrscht tiefe Verunsicherung, wie mit der Korruptionsabwehr umzugehen ist. Vertrauliche Papiere von MAN, aber auch die jüngsten Datenskandale zeigen die Grenzen der unternehmensinternen Korruptionsbekämpfung.

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Korruptionsexperte Salvenmoser: Zielkonflikt zwischen Datenschutz und Korruptionsabwehr

Steffen Salvenmoser war früher Staatsanwalt in Stade. Seit zehn Jahren ist er Partner der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und einer der führenden Korruptionsexperten Deutschlands. Er nennt es „Wahnsinn, was im Moment passiert“. Eigentlich, sagt der Ex-Strafverfolger, müssten Unternehmen in der Krise besonders intensiv darauf achten, dass Mitarbeiter nicht mit unlauteren Methoden um dringend benötigte Aufträge kämpfen. Tatsächlich aber fallen viele Manager „in alte Strategien zurück: totstellen, verschweigen, wegducken“.

In Deutschlands Vorstandsetagen grassiert tiefe Verunsicherung, wie mit der Korruptionsabwehr umzugehen ist. Immer mehr Manager sorgen sich, über das Ziel hinauszuschießen und mit dem Datenschutz in Konflikt zu geraten. Auslöser des Wankelmuts ist die Deutsche Bahn, wo in großem Stil Geschäfts- und Mitarbeiterdaten abgeglichen ("gescreent"), aber auch Festplatten von Mitarbeitern kopiert und E-Mails gesichtet wurden, um Schmiergeldzahlungen und auffällige Kontoverbindungen aufzudecken. Im Frühjahr musste deswegen Vorstandschef Hartmut Mehdorn gehen, mit ihm und weiteren Top-Managern waren der Compliance-Beauftragte der Bahn, Ex-Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, Revisionschef Josef Bähr und der Leiter der Konzernsicherheit, Jens Puls, ihre Jobs los. „Damit ist der Begriff Datenscreening verbrannt“, klagt Experte Salvenmoser, „zwischen Geschäfts- und Personendaten wird gar nicht mehr differenziert.“

MAN im Visier der Staatsanwälte

Andere Unternehmen zögern viel zu lange, korruptionsanfällige Zahlungsströme radikal zu unterbinden. Den Fehler beging der Nutzfahrzeughersteller MAN. Anfang Mai wurden in der Münchner Konzernzentrale und in rund 60 weiteren Büros und Wohnungen Beweismittel konfisziert. Die federführende Staatsanwaltschaft München hat Dutzende von MAN-Mitarbeitern im Verdacht, den Verkauf von MAN-Bussen und -Lkws mit illegalen Zahlungen gefördert zu haben, und vermutet ein „System zur Förderung des Absatzes“. MAN-interne Dokumente, die der WirtschaftsWoche vorliegen, belegen nun, dass die Crew um Vorstandschef Hakan Samuelsson das Provisionssystem als korruptionsanfällige Schwachstelle erkannt hatte, lange bevor es ins Visier der Staatsanwälte geriet. Regeln wurden ab 2001 ständig verschärft, Rundschreiben immer umfangreicher. Verhindert hat das die fragwürdigen Zahlungen aber nicht.

Eigentlich müsste der Fall MAN dafür sorgen, dass die Compliance-Abteilungen die Schrauben strammer anziehen. Tatsächlich aber passiert in vielen Unternehmen das Gegenteil – weil eine Datenaffäre die nächste jagt. Lidl, Deutsche Telekom und nun die Deutsche Bank füllen mit tatsächlichen oder vermuteten Bespitzelungsskandalen die Schlagzeilen. Kein Unternehmen will als Stasi-Verein dastehen. Was eigentlich bei der Bahn legal war oder nur unerlaubterweise am Betriebsrat vorbei lief, tritt in den Hintergrund. Hängen bleibt, dass Mehdorns anerkannt kompromisslose Haltung gegenüber Korruption ihm und anderen Verantwortlichen am Ende schadete.

Die Folgen sind gravierend. In den Unternehmen werden Revisionschefs deutscher Top-Konzerne, die Daten computergestützt checken, plötzlich zurückgepfiffen. Einer klagt, es sei „aktuell schwierig, im Unternehmen zu sagen, dass Daten überprüft werden, auch wenn es nur um Geschäftsdaten und nicht um Mitarbeiterdaten geht“.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 100 Beschuldigte

Die Hüter über Gesetz und Ordnung im Konzern agieren ungewollt in einer Grauzone sagt PwC-Experte Salvenmoser: „Im Datenschutzgesetz ist von Interessenabwägung die Rede, und wer zwischen Unternehmensinteresse und Datenschutzanspruch abwägt, gerät in unsicheres Terrain.“ Zudem sei nicht alles rechtlich Zulässige im Umgang mit Daten „den Beschäftigten und der Öffentlichkeit vermittelbar“.

Volker Hampel, Führungsmitglied des Deutschen Instituts für Interne Revision (DIIR) und früher Berater für Interne Revision bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, warnt: „Man darf den Revisionsabteilungen nicht die Chance nehmen, ihrer Kontrollaufgabe gerecht zu werden.“ Hampel entwickelte kürzlich „Handlungsempfehlungen beim Datenabgleich zur Aufdeckung wirtschaftskrimineller Handlungen durch die Interne Revision“. Um Grauzonen zu vermeiden, solle die Revision den „Umfang der Datenanalyse vorab eindeutig definieren“ sowie die geplanten Prozeduren intern abstimmen und dokumentieren. Bei Mitarbeiterdaten solle sie, was allgemein Standard ist, Rechts- und Personalabteilung, Datenschutz und Betriebsrat einbeziehen, um klare Spielregeln zu haben. Werden notwendige Datenscreenings nicht zugelassen, so Hampels Tipp, sollten sich Revisionsmitarbeiter dies schriftlich geben lassen – zur eigenen Absicherung.

Wer bei MAN das Versagen der Korruptionsabwehr verantwortet, ist noch offen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehr als 100 Beschuldigte, ein Drittel davon MAN-Leute. Es geht zwar nicht wie bei Siemens im Jahr 2006 um Milliarden, sondern nach derzeitigem Ermittlungsstand um einen zweistelligen Millionenbetrag. Konkret geht es unter anderem darum, dass bei Lkw- und Busverkäufen in Deutschland Freunde und Verwandte der Käufer zu Unrecht Provisionen kassierten.

MAN-Chef Samuelsson: Das korruptionsanfällige Provisionssystem reglementier, aber nicht gestoppt Quelle: Martin Hangen für WirtschaftsWoche

Die Schwachstelle war der MAN-Spitze seit mindestens sieben Jahren bekannt, wie bisher unbekannte Unterlagen zeigen. Ein Rundschreiben der Geschäftsführung des Nutzfahrzeuge-Vertriebs vom 22. Oktober 2002 an die Verkaufsmitarbeiter definierte Provisionsobergrenzen, die noch heute gelten: Bei Fahrzeugen mit bis zu 15,9 Tonnen Gesamtgewicht dürfen maximal 1000 Euro, bei schwereren Fahrzeugen 1500 Euro Vermittlungsgebühr fließen. Es gehe um „ein Entgelt für tatsächlich geleistete Vermittlertätigkeit“. Die Worte „tatsächlich geleistete“ sind fett hervorgehoben. Unterschrieben ist der zweiseitige Text vom heutigen Vorstand der MAN-Nutzfahrzeugsparte, Peter Erichreineke, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt und der sein Amt ruhen lässt.

Trotzdem waberte offenbar so viel Unbehagen über die Interpretierbarkeit „tatsächlich geleisteter“ Vermittlungstätigkeiten durch das Unternehmen, dass 2003 ein weiteres Schreiben zum Thema Provisionen folgte: Die Konzernführung verbot ihrem Vertrieb nun „ausdrücklich“, Preisnachlässe „verdeckt in Form von Vermittlerprovisionen zu gewähren“. 2006 legte das Management noch mal nach und hielt doch Hintertüren offen: „Provisionen an Gelegenheitsvermittler“ seien „grundsätzlich zu vermeiden“, hieß es – Ausnahmen aber in „begründeten Einzelfällen“ möglich. Im selben Jahr wurde aus dem Vier-Augen- ein Sechs-Augen-Prinzip: Eine Provisionszahlung muss seitdem neben dem Abteilungsleiter auch der zuständige Geschäftsführer für Deutschland oder für die jeweilige Auslandsregion genehmigen. 2008 dann wurde daran erinnert, bei „Provisionen für verkaufsunterstützende Berater“ sei ein von der Zentrale genehmigter Beratervertrag Voraussetzung – offenbar nicht immer gängige Praxis.

Samuelssons Saubermann-Image bekommt unschöne Kratzer

MAN sieht es als Erfolg, durch die Vorschriften das Volumen der gesamten Provisionszahlungen in Deutschland von rund zwei Millionen Euro pro Jahr auf einen sechsstelligen Betrag gedrosselt zu haben. Trotzdem muss sich MAN-Chef Samuelsson den Vorwurf gefallen lassen, nicht konsequenter durchgegriffen zu haben. Rund 20 von der internen Revision festgestellte Provisionsmissbrauchsfälle hat MAN selber geregelt und die Übeltäter entlassen. Nur ein Ex-Mitarbeiter wurde aber vom Unternehmen angezeigt und 2008 in Augsburg verurteilt: Wer ihm Wartungsaufträge gab, bekam als Dankeschön Kühlschränke, Fernseher und andere Elektrogeräte geschenkt.

Samuelssons Bild vom Saubermann, der „keine Form der Bestechung“ duldet, wie er sagte, bekommt unschöne Kratzer. Widersinnig wirkt etwa eine interne Anweisung „zur Bekämpfung von Korruption“ vom Februar 2007. Darin warnt die MAN-Revision zwar, unzulässige Zahlungen würden in Deutschland und in der EU streng geahndet. In anderen Ländern aber lässt sie Spielraum: Dort sei eine Zuwendung „in jedem Fall dann unzulässig, wenn dadurch der deutsche Wettbewerb beeinträchtigt wird“. Nur der deutsche Wettbewerb? Der Revisionschef eines Dax-Konzerns hält die Direktive für „definitiv falsch“. Zu beachten seien auch Gesetze anderer Länder: „Und seit 2002 verbietet das Strafgesetzbuch Korruption auch im Ausland.“

MAN lockt Mitwisser mit Kronzeugenregelungen

Suboptimal wirkt die Verpflichtung des Münchner Rechtsanwaltes Jan-Olaf Leisner als Ombudsmann bei MAN im Jahr 2007. Wer dem Juristen keine Briefe schreiben will, muss per E-Mail oder Telefon mit ihm Kontakt aufnehmen. Ist Leisner nicht da, bittet die Sekretärin zwecks Rückruf um die Nummer des Anrufers. Whistleblower, wie diskrete Tippgeber heißen, verlassen sich aber nicht auf die Schweigepflicht des Anwalts, sondern wollen Anonymität, bevor sie ihr Wissen preisgeben.

Technisch ist das kein Problem. Eine Software des Potsdamer Anbieters Business Keeper etwa ermöglicht Anzeigen via Internet – garantiert anonym. Das Landeskriminalamt Niedersachsen setzt das System seit 2003 ein, im Januar installierte der Flughafenbetreiber Fraport die Software, auch bei der Bahn und einigen Krankenkassen können Mitarbeiter Korruption online melden. Den Nachteil, dass dank der niedrigen Hemmschwelle unbrauchbare Meldungen eingehen, nehmen die Nutzer in Kauf. Das LKA Niedersachsen etwa erhielt den Hinweis: „Meine Frau ist mir untreu.“

Auch Kronzeugenregelungen können Mitwisser aus der Deckung locken – wie sie jetzt MAN anbietet. Der Konzern hat Informanten zugesichert, sie nicht rauszuwerfen oder auf Schadensersatz zu verklagen. Strafrechtliche Konsequenzen drohen dennoch, weil das nicht Sache des Arbeitgebers, sondern der Staatsanwaltschaft ist. Die rollt nun alle Fälle noch einmal auf, die Samuelsson diskret ad acta gelegt hatte.

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