Schmuckriese Stern Brasiliens Herr der Ringe

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Inspiration vom Pflasterstein

Boboli Ring

Roberto lässt sich inspirieren von Flusskieseln, Federn, getrockneten Samen oder den Pflastersteinen der Strandstadt Búzios – aber auch von Tanzbewegungen wie der Ginga, der Kreisbewegung des Kampftanzes Capoeira, bei der vom harmlosen Tanz blitzschnell in den Angriff gewechselt wird. Alles dient als Vorlage für neue Schmucklinien. „Wir drücken die brasilianische Identität im Design aus“, sagt Stern, „die ist subtil, elegant, erotisch – aber eben nicht exotisch oder bunt. Wir machen diskreten Luxus.“

Für den Familienkonzern ist das faktisch ein Relaunch. Denn mit der Design-Orientierung verabschiedet sich Roberto Stern vom ursprünglichen Geschäftsmodell. H. Sterns Erfolg in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts basierte auf dem Edelsteinverkauf an Touristen in Brasilien und in Geschäften weltweit, aber kaum an Brasilianer.

Firmengründer Hans Stern, der vor den Nazis aus Deutschland nach Rio de Janeiro flüchtete, erkannte als Erster die Standortvorteile Brasiliens für eine eigene Schmuckindustrie. Denn in den Böden finden sich nicht nur Gold und Diamanten, Brasiliens Minen liefern die meisten Farbedelsteine, die weltweit gehandelt werden: hellblaue Aquamarine, grüne Smaragde, honiggelbe Zitrine, violette Amethyste, aber auch seltene rötliche Edeltopase und blaue Tansaniten.

Stern spürte früh, dass die Steine mit den im Orient gefundenen Klassikern Rubin, Saphir und Smaragd mithalten konnten. Am Zuckerhut stellte er aus Europa emigrierte Goldschmiede und Schleifer ein. Stern senior sah im Entwicklungs- und später meist Krisenland Brasilien nur ausländische Touristen als stabil kaufkräftige Kundengruppe. Die Basis des Erfolgs lag zum einen im Verkauf geschliffener Steine an Touristen, ohne Fassung und jedes Design. Zum anderen bot er Schmuckstücke an. Dabei galt das Motto: Je teurer und edler der Stein, umso weniger Design ist nötig, denn es geht darum, den Stein in den Mittelpunkt zu stellen.

Zu Beginn empfing Hans Stern persönlich an den Hafenkais in Rio die Kunden von den Kreuzfahrtschiffen. Bald gab es H. Stern-Boutiquen in allen großen Hotels, Flughäfen und luxuriösen Shoppingmalls Brasiliens. Dazugekommen sind die 80 eigenen Läden im Ausland.

Am Firmensitz in Rios Edel-Stadtteil Ipanema, zwei Blocks vom legendären Traumstrand entfernt, werden heute noch täglich Touristen durch die Werkstätten geführt. Chinesen und Koreaner in großen Gruppen, alle mit den gleichen Sonnenhüten, amerikanische Ehepaare in Hawaiihemden. „In diesem Marktsegment können wir nur begrenzt wachsen“, sagt Roberto Stern und eilt unerkannt an den Gruppen vorbei, „wir sind zu abhängig von den Besucherströmen aus dem Ausland.“

Mit der Design-Offensive und den dazu passenden modernen Läden peilt Stern nun eine viel breitere Kundengruppe von Schmuckkäufern an. Die gepanzerten BMWs und Audis im Eingang zu Sterns Verkaufsimperium zeigen deutlich, dass auch die brasilianische Hautevolee zunehmend bei Stern vorbeischaut. Die Kaufkraft ist da: In wenigen Ländern ist die Zahl der Millionäre in den vergangenen Jahren so stark gestiegen wie in Brasilien.

Hautvolee schaut vorbei

Mit der neuen Stabilität Brasiliens hat sich der Strategiewechsel bewährt: Während Sterns Verkäufe in den USA 2009 etwa um die Hälfte einbrachen, blieben sie in Brasilien konstant. Die Nachfrage durch die Konsumenten von der gehobenen Mittelschicht an aufwärts kompensierten in den vergangenen zwei Jahren die Ausfälle in der krisengeschüttelten Nordhalbkugel.

Dennoch verlief die Umsetzung des neuen Kurses im Familienunternehmen nicht geradlinig. Schon einmal war Roberto Stern von Mitte der Neunzigerjahre an fast eine Dekade lang Kreativdirektor gewesen – doch unter dem mitregierenden Senior kam es nicht zum vollständigen Wechsel des Geschäftsmodells. „Für meinen Vater war es schwierig, zu verstehen, dass ein Kunde nicht unbedingt einen perfekten Stein will.“

Die Design-Ideen des Sohnes fand Hans Stern teilweise „fürchterlich“. Für einen Fotoband „The Lost Diary“ mit ästhetisch-schockierenden Bildern des US-Fotografen Albert Watson entschuldigte sich Hans Stern sogar schriftlich bei seinen langjährigen Kunden. Das Werk wurde wie alle Bildbände zu neuen Design-Linien an wichtige Käufer verschickt. Um den Bruch mit dem Vater zu vermeiden, zog sich Roberto von 2005 bis 2008 weitgehend aus dem Konzern zurück.

„Ein Familienkonzern wie unserer hat einen Vorteil“, sagt er heute, und lächelt dabei sogar leicht. „Wenn man ihm ein bisschen Rock‘n’Roll zumutet, sind die Fundamente stark genug, dass das Haus nicht zusammenfällt.“

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