Schmuckriese Stern Brasiliens Herr der Ringe

Beim Generationswechsel im brasilianischen Schmuckimperium mit deutschen Wurzeln bleibt kein Stein auf dem anderen. Edeldesign statt Edelsteinverkauf soll nun Gewinne bringen.

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H.Stern Quelle: Foto: Paolo Fridman

Roberto Stern wirkt nicht wie ein Revolutionär. Für jemanden, der beim brasilianischen Schmuckkonzern H. Stern gleichzeitig Kreativchef, Präsident und Miteigentümer ist, macht der 50-Jährige einen überraschend unprätentiösen Eindruck: Er spricht langsam und leise, lächelt selten, antwortet in kurzen Sätzen. Dabei wirkt er jedoch nicht arrogant, eher introvertiert. Der Herr über eines der weltweit führenden Schmuckimperien trägt außer einer Uhr keinen Designer-Chic. Das einzig Auffällige sind seine intensiv blauen Augen.

Dennoch hat dieser fast scheue Mann den Edelsteinriesen aus Rio de Janeiro mit seiner 65-jährigen Tradition grundlegend verändert. Vor drei Jahren hat er nach dem Tod seines Vaters die Führung des Familienkonzerns übernommen. Unter Roberto Stern setzt der Schmuckhersteller, der weltweit vor allem für seine Farbedelsteine bekannt war, nun auf eigenes kreatives Schmuckdesign. Statt wie früher mit Gold und nicht in Schmuck verarbeiteten Edelsteinen macht die Schmuckkette heute mehr als zwei Drittel ihres Umsatzes mit selbst entworfenen Preziosen.

Glamour bei Oscarverleihung

Wie viel das ist – das behält der verschwiegene Familienkonzern für sich. 1000 bis 5000 Dollar kosten die meisten Schmuckstücke, aber in jedem Flughafenshop von H. Stern in Brasilien gibt es auch Colliers für 30.000 Dollar, die sich gut verkaufen. Die Schätzungen in der Branche gehen von einem Jahresumsatz von 150 bis 200 Millionen Dollar aus. Das wäre weniger als ein Zehntel im Vergleich zum US-Branchenriesen Tiffany. „Wir zählen zu den zehn weltweit bekanntesten Schmuckmarken“, sagt Roberto Stern – und fügt fast trotzig hinzu: „Pro Kunde machen wir jedoch einen weit höheren Umsatz als Tiffany oder Cartier.“

Denn die verkaufen immer öfter einfachen Modeschmuck in glänzenden Schachteln mit dem Luxusnamen. „Ich bewundere Tiffany für ihre Logistik“, sagt Stern, und es klingt fast ein bisschen snobistisch, wie er den glamourösen Konkurrenten aus New York ausgerechnet für Lagerhaltung und Transportkapazität lobt.

Stern will seine Position in der Top-Liga langfristig sichern. Bei der Oscar-Verleihung tragen Stars den Schmuck aus Rio – zum Beispiel ein zehn Millionen Dollar teures Collier am Hals von Angelina Jolie. 2009 glänzten „Desperate Housewives"-Darstellerin Eva Longoria und der britische Star Cate Blanchett mit Schmuck von Stern.

Sie schätzen vermutlich, dass Stern inzwischen auf Avantgarde-Design setzt. Die Kataloge der neuen Schmucklinien finden sich auch in Galerien und Kunstausstellungen. „Ich bin ein Verwalter von Kreativität“, sagt der Unternehmer, „ich nehme von den Künstlern die Ideen und verwandele sie in etwas Neues.“

Anregungen für Design-Linien holt er sich bei so unterschiedlichen brasilianischen Kreativen wie dem Musiker und Performer Carlinhos Brown, der Ballettgruppe Corpo, dem Surf-Unternehmer Oskar Metsavaht oder den Möbeldesigner-Brüdern Campana, die aus Sperrmüll ihre Stücke kreieren, „vom Müll zu Luxus“ – auf Brasilianisch „do lixo ao luxo“. Gerade hat Stern weltweit eine neue Linie gemeinsam mit dem Architekten Oscar Niemeyer lanciert, dem legendären Entwickler der Hauptstadt Brasília.

Inspiration vom Pflasterstein

Boboli Ring

Roberto lässt sich inspirieren von Flusskieseln, Federn, getrockneten Samen oder den Pflastersteinen der Strandstadt Búzios – aber auch von Tanzbewegungen wie der Ginga, der Kreisbewegung des Kampftanzes Capoeira, bei der vom harmlosen Tanz blitzschnell in den Angriff gewechselt wird. Alles dient als Vorlage für neue Schmucklinien. „Wir drücken die brasilianische Identität im Design aus“, sagt Stern, „die ist subtil, elegant, erotisch – aber eben nicht exotisch oder bunt. Wir machen diskreten Luxus.“

Für den Familienkonzern ist das faktisch ein Relaunch. Denn mit der Design-Orientierung verabschiedet sich Roberto Stern vom ursprünglichen Geschäftsmodell. H. Sterns Erfolg in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts basierte auf dem Edelsteinverkauf an Touristen in Brasilien und in Geschäften weltweit, aber kaum an Brasilianer.

Firmengründer Hans Stern, der vor den Nazis aus Deutschland nach Rio de Janeiro flüchtete, erkannte als Erster die Standortvorteile Brasiliens für eine eigene Schmuckindustrie. Denn in den Böden finden sich nicht nur Gold und Diamanten, Brasiliens Minen liefern die meisten Farbedelsteine, die weltweit gehandelt werden: hellblaue Aquamarine, grüne Smaragde, honiggelbe Zitrine, violette Amethyste, aber auch seltene rötliche Edeltopase und blaue Tansaniten.

Stern spürte früh, dass die Steine mit den im Orient gefundenen Klassikern Rubin, Saphir und Smaragd mithalten konnten. Am Zuckerhut stellte er aus Europa emigrierte Goldschmiede und Schleifer ein. Stern senior sah im Entwicklungs- und später meist Krisenland Brasilien nur ausländische Touristen als stabil kaufkräftige Kundengruppe. Die Basis des Erfolgs lag zum einen im Verkauf geschliffener Steine an Touristen, ohne Fassung und jedes Design. Zum anderen bot er Schmuckstücke an. Dabei galt das Motto: Je teurer und edler der Stein, umso weniger Design ist nötig, denn es geht darum, den Stein in den Mittelpunkt zu stellen.

Zu Beginn empfing Hans Stern persönlich an den Hafenkais in Rio die Kunden von den Kreuzfahrtschiffen. Bald gab es H. Stern-Boutiquen in allen großen Hotels, Flughäfen und luxuriösen Shoppingmalls Brasiliens. Dazugekommen sind die 80 eigenen Läden im Ausland.

Am Firmensitz in Rios Edel-Stadtteil Ipanema, zwei Blocks vom legendären Traumstrand entfernt, werden heute noch täglich Touristen durch die Werkstätten geführt. Chinesen und Koreaner in großen Gruppen, alle mit den gleichen Sonnenhüten, amerikanische Ehepaare in Hawaiihemden. „In diesem Marktsegment können wir nur begrenzt wachsen“, sagt Roberto Stern und eilt unerkannt an den Gruppen vorbei, „wir sind zu abhängig von den Besucherströmen aus dem Ausland.“

Mit der Design-Offensive und den dazu passenden modernen Läden peilt Stern nun eine viel breitere Kundengruppe von Schmuckkäufern an. Die gepanzerten BMWs und Audis im Eingang zu Sterns Verkaufsimperium zeigen deutlich, dass auch die brasilianische Hautevolee zunehmend bei Stern vorbeischaut. Die Kaufkraft ist da: In wenigen Ländern ist die Zahl der Millionäre in den vergangenen Jahren so stark gestiegen wie in Brasilien.

Hautvolee schaut vorbei

Mit der neuen Stabilität Brasiliens hat sich der Strategiewechsel bewährt: Während Sterns Verkäufe in den USA 2009 etwa um die Hälfte einbrachen, blieben sie in Brasilien konstant. Die Nachfrage durch die Konsumenten von der gehobenen Mittelschicht an aufwärts kompensierten in den vergangenen zwei Jahren die Ausfälle in der krisengeschüttelten Nordhalbkugel.

Dennoch verlief die Umsetzung des neuen Kurses im Familienunternehmen nicht geradlinig. Schon einmal war Roberto Stern von Mitte der Neunzigerjahre an fast eine Dekade lang Kreativdirektor gewesen – doch unter dem mitregierenden Senior kam es nicht zum vollständigen Wechsel des Geschäftsmodells. „Für meinen Vater war es schwierig, zu verstehen, dass ein Kunde nicht unbedingt einen perfekten Stein will.“

Die Design-Ideen des Sohnes fand Hans Stern teilweise „fürchterlich“. Für einen Fotoband „The Lost Diary“ mit ästhetisch-schockierenden Bildern des US-Fotografen Albert Watson entschuldigte sich Hans Stern sogar schriftlich bei seinen langjährigen Kunden. Das Werk wurde wie alle Bildbände zu neuen Design-Linien an wichtige Käufer verschickt. Um den Bruch mit dem Vater zu vermeiden, zog sich Roberto von 2005 bis 2008 weitgehend aus dem Konzern zurück.

„Ein Familienkonzern wie unserer hat einen Vorteil“, sagt er heute, und lächelt dabei sogar leicht. „Wenn man ihm ein bisschen Rock‘n’Roll zumutet, sind die Fundamente stark genug, dass das Haus nicht zusammenfällt.“

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