Siedle: Vom Mittelständler zum Großunternehmer

Horst Siedle hat sein Unternehmen zum Marktführer für Gebäudekommunikation gemacht. Der Marktführer schreibt sich in der korrekten und für die schnelle Verständigung ungeeigneten Langform S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke Stiftung & Co., ist in der Branche und am Unternehmenssitz im südbadischen Furtwangen indes nur als “der Siedle” bekannt.

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ALS ERZLIBERALER sieht sich der freidemokratische Stadt- und Kreisrat Siedle – mit freilich ganz anderen Werten als die Anhänger moderner Kapitalismustheorien und dem Shareholdervalue-Denken. “Das führt”, sagt Horst Siedle, zu “kurzfristigem Profitstreben, dem gleich ist, wo der Mensch bleibt.” Dem setzt er Nachhaltigkeit und Nähe entgegen: “Ich bin ein Siedlerianer wie alle meine Mitarbeiter, und ich bin ein Glied in der langen Kette meiner Familienfirma.” Die beginnt 1750, als der Landwirt Mathäus Siedle seinen Bregenbachhof in der Nähe von Furtwangen um eine Gießhütte erweitert, die der aufstrebenden Uhrenindustrie Gussteile für Uhren, Glocken und Glöckchen, Räder und Gewichte zuliefert. Enkel Salomon Siedle steigt in der Gründerzeit in die Produktion von elektrotechnischen Artikeln ein und gründet die S. Siedle & Söhne mit den Arbeitsfeldern Telegrafie und Telefonie. Schon 1902 wird der erste Türlautsprecher gebaut. Nachdem Elektrogiganten die Telefonie zu dominieren beginnen, konzentriert sich Siedle auf den Nischenmarkt Hauskommunikation. Als Horst Siedle, siebter in der Generationenfolge, 1970 Geschäftsführer wird, setzt das Unternehmen mit 135 Mitarbeitern am Stammsitz in Furtwangen neun Millionen Mark um. Im Jahr 2000 sind daraus 195 Millionen Mark Umsatz geworden, erzielt mit 555 Mitarbeitern. Einschließlich der Kunststoff- und Elektrotechnik GmbH, die im benachbarten Mönchweiler Präzisionsteile für Siedle-Geräte und Fremdkunden herstellt, der italienischen Tochter Bitron Video sowie der beiden Sensorfabriken Novotechnik mit Sitz in Ruit bei Stuttgart und Contelec im schweizerischen Biel bringt es die Gruppe auf rund 350 Millionen Mark Umsatz und 1200 Mitarbeiter. Was unterm Strich übrig bleibt, ist Chefsache: “Ich will nicht, dass meine Bilanz am Stammtisch diskutiert wird.” Um der Publizitätspflicht zu entgehen, ist Siedle in die Rechtsform der Stiftung ausgewichen. Die sitzt zwar in Liechtenstein, aber Siedle beteuert: “Ich transferiere keinen Pfennig. Ich lebe in Furtwangen, hier arbeite ich, hier zahle ich Steuern.” Das dürfte nicht eben wenig sein, denn seine angestrebte Gewinnmarke umschreibt Siedle schließlich doch mit der Bemerkung, man müsse im Schnitt schon vor Steuern “zehn Prozent Umsatzrendite erwirtschaften”, um langfristig den Erfolg zu sichern. Das Erfolgsrezept des Mannes, der nie studiert hat, steht in keinem Lehrbuch. Wie “ein Hirtebub”, der seine Lebensweisheiten der Umgebung von Wald und Feld ablauscht, fühlt sich Siedle. “Man lernt von der Natur, einfacher zu sehen. Manager denken oft viel zu kompliziert.” Systementwicklung beim Produkt, Konzentration des Vertriebsweges auf das Elektrohandwerk und vorbildliche Logistik werden zum Schlüssel für Siedles Marktstärke. KLARE GESTALTUNG, die beinah zeitlos wirkt, ist nicht zu vergessen. Sie stammt vom mehrmals ausgezeichneten Hausdesigner Eberhard Meurer, der viele Jahre dabei ist wie die meisten der Siedlerianer. Der Wirt vom Fallenbengel, einer alten Kneipe im Ort, kennt das Engagement des Chefs und die Betriebstreue der Mitarbeiter: “Die Leut wissen, dass es ihnen gut geht beim Siedle Horst,” wie er im Dialekt genannt wird. Am Gewinn werden die Beschäftigten mit Prämienzahlungen beteiligt, für die Stadt ist Siedle ein großzügiger Sponsor. Alle Betriebswirtschaftslehre reduziert er auf sein menschliches Maß: “Man muss lieben und sich ärgern, es muss Spaß machen und auch mal weh tun.” Denn so gern und lang der Siedle Horst auch erzählt – zur Sache gehts immer. Und dann kann zuweilen auch “brutal der Hammer kommen”, wie er selber zugibt. Siedle ist zweifellos der Erfolgsmotor seines Unternehmens – und keine Selbstzweifel scheinen ihn zu peinigen, die Erfolgssträhne könne auch mal abreißen oder gar die Familienfirma ernsthaft in ihrer Substanz bedroht sein. Dabei sieht auch der erfolgsgewöhnte Unternehmer die Grenzen des Wachstums. Die Baukonjunktur ist längst erlahmt und überdies ein einheimischer Marktanteil von 50 Prozent kaum noch zu steigern. Im Inland wird daher das hochpreisige Produktprogramm forciert und gleichzeitig versucht, über den Eisenwaren- und Beschlagshandel einen zweiten Vertriebskanal zu öffnen – rund um den Briefkasten als zentralem Verkaufsobjekt. Im Exportgeschäft, das bisher erst knapp 20 Prozent vom Umsatz ausmacht, gelten die USA als Hoffnungsträger, nachdem ein neuer Vertriebschef angeheuert worden ist. Doch bis sich dort die wahre Siedle-Kommunikationskultur durchgesetzt hat, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Da wird es auch im laufenden Jahr mit dem schon längst anvisierten Umsatzsprung über die 200-Millionen-Marke nichts werden. Der Druck auf den Ertrag wächst. Gespart werden soll daher auch bei Siedle – allerdings nicht auf Kosten der Mitarbeiter, wie immer wieder betont wird. Regelmäßig schlägt Horst Siedle “jede Menge Kaufangebote” aus. Und ein Börsengang wäre selbst in den Boomzeiten des Neuen Marktes nicht für ihn infrage gekommen. Da hält er es wie Großvater Robert Siedle, der bereits 1914 in seiner Firmenchronik bemerkte: “Durch Heranziehung fremden Kapitals hätte zwar eine erhebliche Ausdehung des Geschäftes erzielt werden können, aber nur auf Kosten der von den Geschäftseigentümern hoch geschätzten Selbstständigkeit.” Eigentum und Führung sollen in der Familie bleiben. Denn von angestellten Geschäftsführen hält Horst Siedle wenig. Manager beschreibt er gern kalauernd als Ma-Nager: “Die nagen an der Kultur des Unternehmens.” Der studierte Betriebswirt Thomas Bank, der die von Einheimischen als etwas exzentrisch beschriebene Siedle-Tochter Evi geheiratet hat und seit 1999 im Unternehmen arbeitet, gilt als Nachfolgekandidat, muss sich aber – wie sein Schwiegervater sagt – erst einmal bewähren. Der Firmenpatriarch macht ohnehin nicht den Eindruck, als wolle er sich so schnell aufs Altenteil zurückziehen. Politische Ämter, die über den Heimatkreis hinausgehen, will er zwar ebensowenig annehmen wie Aufsichtsratposten in anderen Unternehmen. Aber im eigenen kleinen Konzern wird er nicht müde, zwischen den Werken in Furtwangen und Ruit, Biel und Turin, zwischen Elektrotechnik, Kunststoffproduktion und Sensorfertigung hin- und herzupendeln. Das eine – nämlich die Hauskommunikation – hat mit dem anderen – nämlich der Produktion von hoch empfindlichen Messgeräten beispielsweise für Medizin und Motoren – nichts zu tun. Synergien besonderer Art sieht nur Horst Siedle selber: “Wenn man sich nicht verzettelt, verkalkt man”, sagt er lachend und scheint gleich jeden Gedanken an die Regelung eines Ernstfall für Firma und Familie zu verdrängen. Ehefrau Gabriele meint hingegen: “Man muss natürlich über diese Themen nachdenken. Wir sprechen auch schon mal darüber. Aber das ist ein Prozess, der seine Zeit braucht.”

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