Smog in Neu Delhi Gift für den Standort Indien

Während China im Kampf gegen die Luftverschmutzung Erfolge erzielt, wird das Problem in Indien immer drastischer. Wegen der Gesundheitsgefahren läuft den Unternehmen hochqualifiziertes Personal davon.

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In der Hauptstadt Indiens ist die Luftverschmutzung so hoch wie in kaum einer anderen Metropole der Welt. Quelle: dpa

Neu Delhi Im Bürokomplex Paharpur, im Süden von Indiens Hauptstadt Neu Delhi, können die Angestellten beruhigt durchatmen. Während Messstationen im Freien gesundheitsgefährdende Feinstaubwerte melden, zeigt ein Monitor in der Lobby: alles im grünen Bereich. Die Verwalter des sechsstöckigen Gebäudes bewerben ihre Immobilie als einen der gesündesten Arbeitsorte der Metropole. Verantwortlich dafür seien Luftreiniger und mehr als 1200 Pflanzen – verteilt auf die Büros und ein Treibhaus auf dem Dach. Das Resultat seien Luftverhältnisse auf dem Niveau des Schweizer Bergdorfs Davos.

In der Stadt, deren Luftverschmutzung so hoch ist wie in kaum einer anderen Metropole der Welt, finden solche Versprechen Gehör: Internationale Konzerne wie Amazon, Intel und Sony haben laut den Paharpur-Betreibern in der Vergangenheit bereits Büroräume in dem Gebäude gemietet. Die Nachfrage nach den wenigen Oasen unter Indiens Smogglocke dürfte künftig noch weiter steigen: Eine Studie amerikanischer Forscher führt den Indern vor Augen, wie gefährlich ihr Feinstaubproblem wirklich ist.

Die Untersuchung, die das Health Effects Institute (HEI) aus Boston diese Woche vorlegte, ist für den Subkontinent der jüngste Weckruf in einer zunehmend dramatisch werdenden Situation. Dass China mit Abstand die größten Probleme durch Luftverschmutzung erleidet, war lange Zeit eine unverrückbare Tatsache. Doch laut dem HEI wird das nicht mehr lange so sein. „Indien holt China bei der Zahl der durch Feinstaub verursachten Todesopfer ein“, heißt es in dem Bericht. In beiden Staaten starben der Studie zufolge zuletzt 1,1 Millionen Menschen im Jahr an den Folgen der Luftverschmutzung. Doch während in China diese Zahl seit 2005 stabil geblieben ist, gab es in Indien in dem Zeitraum einen Anstieg von mehr als 20 Prozent.

Unternehmer auf dem Subkontinent halten den Trend für untragbar. Der Verwaltungsratschef des Automobilherstellers Maruti Suzuki fand deutliche Worte, als die Feinstaubwerte in Delhi vor einigen Monaten den höchsten Wert seit 17 Jahren erreichten: Die Luftverschmutzung sei extrem beklagenswert, sagte R. C. Bhargava. „Wenn nicht spürbar etwas dagegen unternommen wird, kann das neue Investitionen beeinträchtigen.“ Denn für Firmen entwickelt sich die dicke Luft auch zum unternehmerischen Problem: Hochqualifizierte Manager und Expats sind immer seltener bereit, unter den gesundheitsgefährdenden Bedingungen zu arbeiten.


Mieten in den Citys sinken zum Teil drastisch

Einer der bekanntesten Smog-Flüchtlinge Indiens ist Vijay Shekhar Sharma, Gründer des mit fünf Milliarden Dollar bewerteten Online-Bezahldienstes Paytm. Wegen der besonders schlechten Luftverhältnisse in Neu Delhi, dem Hauptsitz seines Unternehmens, zog er in Indiens Süden und arbeitet seither von Bangalore aus. Durch Delhis Smog zu fahren sei deprimierend, schrieb er vergangenen November auf Twitter. „Als ich vor fünf Jahren in Peking war, konnte ich keine 500 Meter weit sehen. Inzwischen passiert mir das gleiche auch hier.“

Auch ausländische Fachkräfte entscheiden sich offenbar immer öfter gegen einen Umzug in die Smog-Metropole. Der auf Expats spezialisierte Wohnungsmakler Mak Realtors berichtet von um 30 Prozent sinkenden Mieten in dem Segment, weil sich die Zielgruppe wegen der Luftverschmutzung lieber außerhalb der Stadt niederlässt – oder Indien ganz fernbleibt. Der Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle beobachtet ebenfalls eine größere Zurückhaltung bei seinen Klienten, sich für den Standort Delhi zu entscheiden: Wegen der Luftverschmutzung seien die Firmen dort mit zusätzlichen Kosten konfrontiert.

Denn von großen Unternehmen wird es inzwischen erwartet, dass sie ihre Mitarbeiter zumindest während der Arbeitszeit vor dem gefährlichen Feinstaub schützen. Konzerne wie Google, LG Electronics und Panasonic haben ihre lokalen Büros mit Luftreinigern ausgestattet. Coca-Cola hat eine Richtlinie erlassen, die Mitarbeitern erlaubt, bei besonders starken Smogwerten von zuhause zu arbeiten. Der chinesische Elektronikhersteller Huawei gibt in solchen Fällen Atemschutzmasken an Mitarbeiter und deren Familienangehörige aus.

Die Hersteller der Anti-Smog-Maßnahmen profitieren indes stark von dem wachsenden Bewusstsein für die Gesundheitsgefahren. Hersteller von Luftreinigern berichteten im vergangenen Jahr in Indien von einer Vervierfachung der Nachfrage. Das in Delhi gegründete Start-up SmartAir will mit einem angeblich besonders massentauglichen Reiniger punkten, der mit umgerechnet rund 40 Euro weniger als die Hälfte der meisten Konkurrenzmodelle kostet. Der Unternehmer Jai Dhar Gupta setzt auf modischen Atemschutz: Er etablierte Gesichtsmasken unter der Marke Vogmask in Indien, die statt der weißen Einheitsdesigns stilvolle Muster bieten. Der Anbieter Airveda entwickelte günstige Geräte für den indischen Markt, mit denen Kunden die Feinstaubbelastung in ihrem Zuhause messen können.

Paytm-Gründer Sharma hält es für dringend nötig, die Anti-Smog-Start-ups zu unterstützen. „Ich investiere in solche Firmen – und zwar nicht mit Gewinnabsicht.“ Die Geschwindigkeit, mit der die Verschmutzung zunehme, sei beunruhigend. Der Kampf dagegen sollte seiner Meinung nach deshalb ganz oben auf der wirtschaftlichen Agenda stehen: „Was hat man schon von Wachstum und Entwicklung, wenn man seinen Kindern nicht einmal saubere Luft bieten kann?“

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