Spezial Law Firms Vormarsch der Großkanzleien treibt Anwälte in die Selbstständigkeit

Der Boom der Großsozietäten treibt Anwälte dazu, sich in eigenen Kanzleien Nischen zu suchen.

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Anwälte suchen sich in Quelle: dpa

Einmal Partner, immer Partner – diese ungeschriebene Regel galt in deutschen Anwaltskanzleien von der Nachkriegszeit bis in die Neunzigerjahre hinein. Wer sich als Nachwuchsjurist einige Jahre in einer Sozietät engagierte, konnte sicher sein, dass seine Mühen eines Tages mit dem Angebot einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung belohnt würden, die dann meist über ein ganzes Berufsleben hielt. Doch seit um die Jahrtausendwende englische und amerikanische Sozietäten mit deutschen Kanzleien fusionierten, steht die bis dahin eher beschauliche Kanzleiwelt hierzulande auf dem Kopf.

Der harte internationale Wettbewerb zwingt die führenden Wirtschaftskanzleien zu mehr Professionalität. Und sie sind zum Wachstum verdammt: Teure Büros in besten Innenstadtlagen, der Ausbau nationaler und internationaler Niederlassungen und ein hoher Personalbedarf bei den grenzüberschreitenden Unternehmenskäufen treiben die Kosten hoch.

Die Folge: In den großen Law Firms wird kaum noch ein Nachwuchsjurist Partner. Zwar bemühen sich die Kanzleien darum, auch unterhalb der Partnerebene attraktive Posten zu schaffen, um die Personalfluktuation einzudämmen. Doch viele hoffnungsvolle Nachwuchskräfte zieht es nach zwei, drei Jahren in die Industrie, um dort als Hausjuristen zu arbeiten. Oder komplette Teams spalten sich ab und segeln von heute auf morgen unter eigener Flagge im Rechtsmarkt.

Vorreiter dieser Spin-off-Welle waren unter anderem Michael Kliemt und Oliver Vollstädt, die sich 2002 von Clifford Chance verabschiedeten und binnen weniger Jahre eine renommierte Spezialkanzlei für Arbeitsrecht mit fast 30 Anwälten an drei Standorten aufgebaut haben. Seither zeigen zahlreiche Kanzleigründer und Nischenanbieter, dass es sich durchaus lohnen kann, den Dinosauriern der Branche den Rücken zu kehren. Denn jenseits der großen Industriemandate gibt es ein breites Betätigungsfeld für die wirtschaftsrechtliche Beratung mittelständischer Unternehmen. Und einige Spin-offs wie die Hamburger Kanzlei Rittstieg zeigen sogar, dass man auch große Transaktionen mit wenigen Beratern erfolgreich durchziehen kann. Mit nur sieben Anwälten um Gründer Andreas Rittstieg schafft es die Kanzlei konstant, namhafte Mandanten zu gewinnen und große Deals zu begleiten – darunter den Börsengang von Tognum oder den Verkauf von Becks an Interbrew.

Viele Anwälte entdecken ihren Unternehmergeist

Eine ganze Reihe ehemals in einer Großkanzlei tätiger Anwälte, darunter gestandene Partner, haben Unternehmergeist entdeckt und Kanzleigründungen hingelegt, so Greenfort, Heymann & Partner oder Nordhues & Cie. Dem Druck an der Spitze, die hohen Umsatzvorgaben zu erfüllen, ist nicht jeder Anwalt gewachsen oder will sich das auf Dauer nicht antun.

Aus dem Markt heißt es immer wieder, einzelne Partner fühlten sich zu sehr von Businessplänen und straffen Hierarchien eingeengt, weil sie entweder nicht mehr in den Rechtsgebieten beraten können, die ihren persönlichen Neigungen entsprechen, oder potenzielle Mandate wegen bestehender Interessenkollisionen nicht übernehmen dürfen. Dazu kommen kulturelle Unterschiede zwischen deutschen, englischen und amerikanischen Anwälten, die die Integration nicht eben erleichtern. So jüngst geschehen bei Shearman & Sterling, das ein komplettes Büro in Mannheim verlor.

Auch Linklaters gab vergangenes Jahr den traditionsreichen Kölner Standort auf. Als die Düsseldorfer Ralph Wollburg und Achim Kirchfeld von Marktführer Freshfields zu Linklaters wechselten, nutzte Linklaters die Chance, mit den prominenten Neuzugängen am boomenden Düsseldorfer Industriestandort ein neues Büro zu eröffnen und dafür die Kölner Niederlassung fallen zu lassen. Einige Kölner Partner folgten dem Ruf nach Düsseldorf. Die in Köln verbliebene Riege von etwa 45 Partnern spaltete sich ab und firmiert nun unter Oppenhoff & Partner. „Wir sind zwar einerseits Neugründung, andererseits feiern wir dieses Jahr 100-jähriges Bestehen in der mittlerweile fünften Sozietät“, beschreibt Namenspartner Michael Oppenhoff die wechselvolle Geschichte der Kanzlei.

Eine andere Anwaltspersönlichkeit, die das Wechselbad der Gefühle beim Kanzlei-Hopping kennt, ist Wolfgang von Meibom. Der heutige deutsche Chairman der Sozietät Bird & Bird wechselte 2001 mit 14 weiteren auf das IP-Recht (gewerblichen Rechtsschutz) spezialisierten Anwälten von Wessing zum Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen. Doch der Ansatz von Andersen, Beratung und Prüfung zu verbinden, scheiterte ein Jahr später mit Prüfungsversagen von Andersen bei der Enron-Pleite in den USA.

Von Meibom und seine Leute schlossen sich daraufhin mit der englischen Kanzlei Bird & Bird zusammen und gründeten in Düsseldorf und kurze Zeit später in München und Frankfurt Büros. Mit 120 Anwälten und „fast 40 Millionen Euro Umsatz“ zählt sich Bird & Bird nach Worten Maiboms zu den „Marktführern“ beim gewerblichen Rechtsschutz in Deutschland.

Sein Rezept beschreibt Meibom so: „Wir machen alles rund um Technik.“ Die IP-Praxis erwirtschafte zwar immer noch über 50 Prozent des Umsatzes. Aber neben der Anmeldung von Marken und Patenten berate Bird & Bird mittlerweile namhafte Blue Chips auch im Kartell- und Transaktionsgeschäft. Zu den Klienten von Bird & Bird gehören etwa Sanofi und die Deutsche Telekom. Auch Banken zählen zum Mandantenkreis, die vor allem in Fragen des IT-Outsourcings beraten werden.

Auf die starke Verankerung in den einzelnen regionalen Jurisdiktionen setzt die weltweit größte Kanzlei DLA Piper mit über 3700 Anwälten seit Ende 2004 auch in Deutschland. Mittlerweile haben sich 114 deutsche Anwälte an vier Standorten der Sozietät angeschlossen. Für Ulrich Jüngst, den deutschen Managing Partner, ist damit aber das Ende der Fahnenstange längst noch nicht erreicht. „Bis 2010 wollen wir bis auf eine Stärke von 200 bis 250 Anwälten wachsen, um in Deutschland in allen wesentlichen Jurisdiktionen zu den ersten zehn zu gehören“, kündigt Jüngst an. „In zehn Jahren“, prognostiziert Jüngst, „kann eine normale mittlere Kanzlei ohne internationale Anbindung nicht mehr existieren.“ Davon ausgenommen seien allein kleine Nischenanbieter, die ausschließlich in Spezialrechtsgebieten wie zum Beispiel dem Steuer- oder Insolvenzrecht beraten.

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