Spionage Der unsichtbare Wirtschaftskrieg

Mit jedem neuen Handy, Kopiergerät oder Laptop wächst die Gefahr für die Unternehmen, ausgespäht zu werden. Doch die wenigsten wollen wahrhaben, wie einfach sie es allen voran chinesischen und russischen Spionen machen. Der Feind surft schneller durch geheime Datenschätze, als viele Manager denken.

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Airbus-Montage Quelle: Laif/Peter Rigaud

Die Aktionäre wollten zum gemütlichen Teil der Hauptversammlung übergehen. Der Vorstand war entlastet, die Kürzung der Dividende auf 6,90 Euro pro Aktie beschlossen. Da ruft Wolfgang Kirsch, der Aufsichtsratsvorsitzende der genossenschaftlich organisierten R+V Versicherung, als nächsten Hauptredner einen gewissen Götz Schartner auf.

Ein jugendlich wirkender Mann tritt vor die 200 Anteilseigner, die im Wiesbadener Dorint-Hotel zusammengekommen sind. Er baut vier Laptops auf der Bühne auf und beginnt eine Live-Demonstration, wie sie die Vertreter der Anteilseigner, meist Vorstände von Volks- und Raiffeisenbanken, noch nicht erlebt haben.

Der Mann da vorn, das merken die Zuhörer sofort, ist keiner von ihnen. Er ist, wie sie später erfahren, Geschäftsführer der 8com GmbH & Co. KG aus Ludwigshafen und auf besonderen Wunsch des Vorstands angereist. Denn Schartner besitzt die Lizenz zum Spionieren. Als staatlich autorisierter Hacker gewährt er ganz offiziell, im Auftrag von Unternehmen und Bundesbehörden, Top-Managern und -beamten Einblick in tief Verborgenes: in die neuesten und gefährlichsten Methoden ausländischer Geheimdienste.

Schock für die Bankmanager

Alles geht rasend schnell im Wiesbadener Dorint-Hotel. Für Schartner ist es ein Kinderspiel, mithilfe einer Schnüffelsoftware auf einem seiner Laptops die Zugangskodes der iPhones, Blackberrys und anderer Handys im Raum zu knacken und deren E-Mails auszulesen. Vor aller Augen zieht Schartner die Kontakte aus den elektronischen Telefonbüchern der Anwesenden, fängt E-Mails ab und drückt auf den Auslöser der Handykamera. Der unfreiwillige Fotograf kann sein unfreiwillig geschossenes Bild auf der Leinwand bewundern, auf die Schartner den Monitor seines Laptops projiziert.

Für die meisten der Bankmanager ist das ein Schock. Bis gerade, sagt einer, dachten sie noch: „Wir sind doch sicher, weil wir eine professionelle IT-Abteilung haben, weil wir viel Geld für hochwertige Firewalls ausgeben und unsere Systeme durch Anti-Viren-Programme schützen.“ Jetzt zeigt ihnen Schartner, dass sie alle einem Trugschluss erlegen sind.

Die spektakuläre Aufklärungsaktion am 6. Mai, sagen Experten, würde wohl bei den meisten deutschen Unternehmen auf ähnliche Reaktionen stoßen. In fast jedem Betrieb finden sich Sicherheitslücken, die Spione und Geheimdienste so leicht wie Schartner als Einfallstor nutzen. Die Folgen können für Unternehmen existenzbedrohend sein. Ohne dass die Betroffenen davon etwas mitbekommen, fließen interne Informationen ab und landen bei der Konkurrenz.

Leichtfertig und arglos

Die meisten Unternehmen ignorieren das Risiko, weil sie sich zu leichtfertig und zu arglos mit vermeintlichen hohen Sicherheitsstandards zufriedengeben, die in der Praxis aber viel zu löchrig sind. „Stellen Sie sich vor: Es werden 100 Schuss aus einer großkalibrigen Waffe abgegeben“, sagt Schartner. „Sie kommen zu der Bewertung: 99-mal konnte der Mensch ausweichen, 99-mal hat der Mörder danebengeschossen. Also konnte ich 99 Prozent der Angriffe abwehren.“ In solchen Fällen gäben fast alle Unternehmen ihren Sicherheitssystemen eine gute Note.

Für Schartner ist dies jedoch eine grundsätzlich falsche Bewertung: „Das heißt doch, eine Kugel kommt durch und tötet“, sagt er und schlussfolgert: „Also gibt es eine nicht tolerierbare Schwachstelle.“ Übersetzt auf die Situation im Unternehmen heißt das: Schon nach wenigen Minuten Dauerangriff können Firmengeheimnisse auf einem Rechner der Konkurrenz liegen – und dem Unternehmen der mühsam erarbeitete Know-how-Vorsprung verlorengehen.

Der 39-jährige Sicherheitsprediger aus der Pfalz trifft mit Aufklärungsaktionen wie diesen wohl einen der sensibelsten Punkte der deutschen Unternehmen. So sehr das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auch Sensibilisierungsgespräche mit Managern und Forschungseinrichtungen führt, die Spitzentechnologien entwickeln, so unterentwickelt scheint das Bewusstsein für die Gefahren selbst im banalen Alltag.

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