Spionageskandal Telekom: Kein Anstand unter dieser Nummer

Der Spionageskandal erschüttert die Deutsche Telekom bis ins Mark. Das Psychogramm eines zerrissenen Konzerns, der seine Glaubwürdigkeit verliert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Im Fokus des Medieninteresses: Quelle: dpa

Es sind solche Auftritte, die René Obermann so liebt. Die Menge tobt, um ihn herum scharen sich die besten Mitarbeiter – und dann poltert der Chef der Deutschen Telekom los. „Yes, we can change“, kopiert Obermann den demokratischen Bald-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama. Und schreit dann in die Menge, was er darunter versteht: „Ja, wir reformieren diese Firma. Ja, wir waren dabei und haben diese Erfolgsgeschichte mitgeschrieben.“ Gerade mal drei Monate ist es her, dass Obermann in bester Barack-Obama-Manier auf der Bühne in Halle 26 seine Mitarbeiter auf den Beginn der Computermesse Cebit einstimmte. „Innovationskraft“, „Servicekompetenz“ und der „beste Vertrieb“ sollten die Telekom aus der Krise führen.

Vergangene Woche holte Obermann die Realität wieder ein. Der Spionageskandal ist wenige Stunden alt – und Obermann lässt seiner Wut freien Lauf. „Das macht mich richtig sauer“, schreibt der Telekom-Chef an die lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im konzerneigenen Intranet. „In einer Phase, in der die Telekom langsam wieder auf Kurs kommt, gibt es solch einen Rückschlag. Das ist sicher nicht gut für das Ansehen unserer Firma.“

Obermann untertreibt. Die Deutsche Telekom steht am Abgrund. Und dieses Mal wird es noch schwerer, das ohnehin schon strapazierte Vertrauen zurückzugewinnen. Kein Anstand unter dieser Nummer – egal, welcher Skandal sich auftut, nach anfänglichen Dementis bewahrheiten sich in aller Regel die schlimmsten Befürchtungen: Erst sorgte eine überhöhte Bewertung des Immobilienbestandes vor dem ersten Börsengang dafür, dass die T-Aktionäre das Vertrauen in das Unternehmen verloren. Dann förderten die Geständnisse der Radprofis vom konzerneigenen Rennstall Team Telekom zu Tage, dass die prestigeträchtigen Siege von Jan Ullrich & Co. durch systematisches Doping erkauft waren. Und jetzt droht der Spionageskandal den verbliebenen Rest an Glaubwürdigkeit bei Kunden und Aktionären endgültig zu zerstören.

Obermann selbst kann keineswegs so überrascht von dem Spitzelsystem sein, wie er jetzt tut. Bereits im Sommer 2007 ging er Spionagehinweisen nach. Der Telekom-Chef räumte daraufhin in der gesamten Sicherheitsabteilung auf und setzte mehrere Mitarbeiter, darunter den damaligen Leiter Harald Steininger, vor die Tür. Hoffte er wirklich, den Skandal mit diesem Bauernopfer in den Griff zu bekommen?

Jahrelang hat die Deutsche Telekom ein Spionage- und Spitzelsystem unterhalten, das in der deutschen Industrie seinesgleichen sucht. Im Auftrag der Telekom wertete der Berliner Recherchedienst network.deutschland GmbH über Monate hinweg systematisch Hunderttausende Verbindungsdaten aus, um telefonische Kontakte zwischen Journalisten und Mitarbeitern des Unternehmens nachweisen zu können. Insider gehen davon aus, dass die Telekom auch ihre technischen Überwachungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat und wichtige Telefonate aufgezeichnet hat. Vergangenen Donnerstag durchsuchte die Bonner Staatsanwaltschaft die Konzernzentrale, stellte Beweismaterial sicher und eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen Ex-Chef Kai-Uwe Ricke, Ex-Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel und andere Führungskräfte. Ricke weist die Vorwürfe als „unwahr“ und „haltlos“ zurück. Zumwinkel ließ erklären, keinen persönlichen Auftrag und keinerlei Anweisungen gegeben zu haben.

Doch der Spionageskandal ist nur die Spitze des Eisberges. Denn im Umgang mit Journalisten pflegt die Deutsche Telekom traditionell eine ruppigere Gangart. Vor allem unter Ex-Chef Ron Sommer und seinem obersten Öffentlichkeitsarbeiter Jürgen Kindervater. Jahrelang wurden schwarze Listen mit missliebigen Redakteuren geführt, deren Interviewanfragen abgelehnt. Wen das nicht gefügig machte, der bekam die wirtschaftliche Macht der Telekom zu spüren. Immer wieder strafte der Konzern Verlagshäuser und Fernsehsender mit Anzeigenboykotten ab.

Die Vorwürfe scheinen in Rickes einstiger Führungsmannschaft wenig Erstaunen hervorzurufen. Dass die Konzernsicherheit die Telekom-Mitarbeiter auf mögliche unerlaubte Pressekontakte hin überprüft, „damit muss man in einem Konzern dieser Größenordnung immer rechnen“, sagt ein Top-Manager, der nicht genannt werden will. „Dass aber interne und externe Ermittler auf Aufsichtsräte, Betriebsräte und sogar konzernfremde Journalisten angesetzt wurden, ist ein klarer Tabubruch.“

Erschüttert sind langjährige Spitzenkräfte aber auch darüber, wie die vom einstigen Sicherheitschef Steininger geführte Kontrolltruppe die Auswertung der Daten organisierte. „Wer gibt eine derart brisante Angelegenheit an einen externen Dienstleister? Das muss doch früher oder später auffliegen“, rätselt ein intimer Kenner der Telekom. „Sollten Ricke oder Ex-Aufsichtsratschef Zumwinkel tatsächlich so unsagbar blöd gewesen sein?“

"Unsagbar sauer"

Eines waren sie mit Sicherheit: unsagbar sauer. „Erschreckend regelmäßig“, berichtet einer von Rickes einstigen Mitarbeitern, sei der Konzernchef in Vorstandssitzungen erbost gewesen. „Ich will endlich mal in diesem Laden etwas sagen können, ohne das das zehn Minuten vorher schon in der Zeitung gestanden hat“, habe Ricke getobt. Und „mehr als einmal“, berichtet der Manager, der Einsicht in Sitzungsprotokolle hatte, „haben die im Vorstand festgehalten, dass man gegen die Informationslecks vorgehen müsse“. Hinweise auf konkrete Handlungsaufträge an die Konzernsicherheit hätten sich aber in den Niederschriften nicht gefunden, so der Top-Manager.

„Gelegentlich hat der Vorstand auch beschlossen, bestimmte Diskussionspunkte gar nicht erst ins Protokoll aufzunehmen“, erinnert sich ein lange in Leitungsfunktionen beschäftigter Ex-Manager der Telekom. Und er ergänzt: „Solche Beschlüsse sind in der Regel im Konsens gefasst worden.“ Das heißt, eigentlich müsste auch der unter Ricke für das Mobilfunkgeschäft verantwortliche Vorstand Obermann über die blinden Flecken in den Vorstandsprotokollen informiert gewesen sein. Als Konzernchef gibt er sich nun ahnungslos.

Der Spionageskandal offenbart tiefgreifende interne Probleme, die den Konzern im Kern treffen. „Es gibt keine Unternehmenskultur“, sagt ein Mitglied des Top-50-Führungskreises, der schon bei anderen Großkonzernen gearbeitet hat. „Jeder macht sein Ding, stellt Kollegen in anderen Sparten gern ein Bein und sabotiert damit die übergreifenden Konzernziele.“

Dabei sei sowohl die Spionage als auch die Vielzahl der Informationslecks, die zu den Spitzeleien führten, wohl Ausdruck des gleichen Problems im T-Konzern, so ein Ex-Kollege von Ricke: „Die Telekom hatte weder eine gewachsene oder gelebte Unternehmenskultur noch eine starke, auch kulturprägende Führungskultur.“ Im Prinzip zeige sich hier, dass die Telekom im Kern noch die alte Telefonbehörde sei, aus der sie entstanden sei. „Ein Teamgeist, wie er Mitarbeiter und Manager über Jahre gewachsener Unternehmen zusammenschweißt, das geht der Telekom völlig ab – und das rächt sich jetzt.“

Bis heute hat es kein Telekom-Chef geschafft, dass die Mitarbeiter an einem Strang ziehen und sich mit den Konzernzielen identifizieren. Nach der Gründung einer eigenständigen Servicegesellschaft für die Anrufe im Callcenter und einer eigenständigen Vertriebsgesellschaft für die T-Shops (ehemals: T-Punkt) werden die Grabenkämpfe zwischen den drei Sparten T-Mobile (Mobilfunk), T-Home (Festnetz) und T-Systems (Geschäftskunden) nicht mehr vor den Augen der Kunden ausgetragen. Doch intern geht das Hauen und Stechen weiter.

Seilschaften gepflegt

Ricke gab den Geschäftsbereichen mehr Autonomie und forcierte den internen Wettbewerb. Jeder kämpft daher gegen jeden, denkt zuerst an seinen eigenen Vorteil und gönnt dem anderen nicht den Geschäftserfolg. Das bremst den Elan dort, wo er dringend gebraucht wird: bei der Entwicklung innovativer Produkte oder von besserem Service.

Lieber spielen selbst hochrangige Führungskräfte über Bande und streuen durch gezielte Indiskretionen an die Presse Sand ins Getriebe der Konzerngeschwister. „Die Konkurrenzsituation hat die Gräben im Konzern noch vertieft“, erinnert sich einer von Rickes einstigen Vorstandskollegen. Mehr noch: „Die Sache ist der Konzernspitze zunehmend entglitten.“

Viel Zeit nehmen sich die Manager für die Pflege ihrer Seilschaften, basteln an der nächsten Intrige und treffen wie zu alten Bundespost-Zeiten viele Entscheidungen politisch – also ganz im Sinne ihrer Vorgesetzten. Querdenken ist riskant. Denn die nächste Umstrukturierung kommt bestimmt, da braucht man starke Verbündete, um nicht aufs Abstellgleis zu geraten. Fazit des Managers: „Gut möglich, dass Ricke und Zumwinkel über die Spähaktionen auch versuchen wollten, wieder die Kontrolle zu übernehmen.“

In solch einer Atmosphäre gedeiht keine offene Kommunikation. Beschwerden und Verbesserungsvorschläge erreichen die zuständigen Vorstände oft gar nicht. Wie eine Betonschicht blockieren frustrierte Abteilungs- und Fachbereichsleiter aus der mittleren Führungsebene gute Ideen von der Basis und sorgen dafür, dass sie gar nicht erst nach oben dringen. In Chats und Sprechstunden ermuntern Konzernchef Obermann und andere Vorstände die Belegschaft, den Dienstweg nicht einzuhalten und sich mit ihren Anregungen direkt an den Vorstand zu wenden. Doch die Masse macht davon keinen Gebrauch.

In solch einem Milieu gedeihen Neid und Missgunst. Mitarbeiter und Manager suchen andere Wege, um sich Gehör zu verschaffen, und laden ihren Frust über Fehlentwicklungen und -entscheidungen in der Öffentlichkeit ab. Fälle wie den Münchner T-Systems-Mitarbeiter Erich Leitner, der sich auf der Telekom-Hauptversammlung vor zwei Wochen plötzlich ans Rednerpult stellte, gibt es zuhauf: „100.000 mittelständische Unternehmen bekommen künftig keine persönliche Betreuung mehr und werden mutwillig vertrieben“, schimpfte der Belegschaftsaktionär auf den neuen T-Systems-Vorstand. Ex-Henkel-Chef Ulrich Lehner, der als neuer Aufsichtsratschef die Hauptversammlung zum ersten Mal leitete, kennt solche mit Insider-Informationen gespickten Auftritte noch nicht. „Verwechseln Sie die Hauptversammlung nicht mit einer Belegschaftsversammlung“, fiel Lehner dem Mitarbeiter ins Wort. „Ihr Beitrag hat hier nichts zu suchen.“

Inhalt
  • Telekom: Kein Anstand unter dieser Nummer
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%