Starbucks Verschwundene Romantik bei US-Kaffeehauskette

Starbucks-Erfinder Howard Schultz fürchtet, dass die US-Kaffeehauskette zum freudlosen Fast-Food-Imperium verkommt. Eine berechtigte Sorge.

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Starbucks-Filiale: Die kryptische Bestell-Terminologie gehört zum Kult, AP

Es war als internes Memo gedacht, vom Chairman an seinen Vorstandschef, „für den strategischen Planungsprozess des Geschäftsjahrs 2008“ – nicht für die breite Öffentlichkeit. Doch irgendwie landete die am 14. Februar um 10.39 Uhr Pacific Standard Time von Howard Schultz an Jim Donald verschickte E-Mail, auf der elf weitere Führungskräfte des Kaffeehausimperiums Starbucks „cc“ standen, im Internet. Seitdem schlug der Aufgeregtheitspegel in der Zentrale in Seattle deutlich aus. „Wir haben eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die in der Rückschau dazu geführt haben, dass die Starbucks-Erfahrung verwässert wurde“, schreibt Schultz. Die Läden hätten ihre Seele verloren, es würde nicht mehr nach frisch gemahlenem Kaffee riechen, jeder Shop wirke immer mehr wie ein Laden einer Kette, Konkurrenten hätten das bereits ausgenutzt. Es sei Zeit, „zum Kern zurückzukehren“ und „das Erbe, die Tradition und die Leidenschaft für die wahre Starbucks-Erfahrung wieder hervorzurufen“. Zurückkehren? Erbe? Die Irritationen im Kaffeereich sind verständlich. Als Schultz und Donald vor wenigen Monaten die Parole für die nächsten Jahre ausgaben hörte sich das noch eher an wie: Vorwärts! Schneller! Größer! Die beiden wollten das Expansionstempo des Konzerns deutlich anziehen. Gleich um 10.000 neu zu eröffnende Läden schraubten sie ihr Ziel nach oben – in 40.000 Filialen soll rund um den Globus bereits in wenigen Jahren der Kaffee in den schlanken Pappbechern mit der Manschette verkauft werden. Nach dem Memo-Leck fragen sich nicht nur die Starbucks-Mitarbeiter, sondern auch Analysten und Aktionäre, wie das gehen soll: weiter wachsen, effizienter werden und gleichzeitig zurück zu den Wurzeln? Denn viele der Dinge, die Schultz in dem Memo anprangert, waren eine logische Konsequenz des rapiden Expansionskurses, der das Unternehmen so erfolgreich gemacht hat. Gegen den Strich gehen Schultz neuerdings etwa die automatischen Espressomaschinen, die die alte La Marzocca ablösten. Es ginge zwar jetzt alles flotter, „wir lösten ein großes Problem bezüglich der Geschwindigkeit des Service und der Effizienz“, konstatiert Schultz, um gleich darauf zu klagen, dass „die Romantik und das Schauspiel verschwunden sind“, das der Kunde vorher genossen habe, wenn er dem Barista – so nennt Starbucks seine grün beschürzten Mitarbeiter – beim Kaffee-Brühen und Milch-Schäumen zusah. Starbucks stieg binnen weniger Jahre zu einer der weltweit erfolgreichsten Gastronomieketten auf. Das Image als umweltbewusstes und sozial verantwortliches Unternehmen stützt den Wert der Marke, auch als Arbeitgeber genießt Starbucks einen erstklassigen Ruf. Doch die Latte liegt für den Kaffeeriesen mittlerweile deutlich höher. Auch, weil die Konkurrenz nicht mehr schläft. Vorsichtig testet das Starbucks-Führungsduo neue Konzepte, die über den reinen Verkauf von Kaffee hinausgehen, etwa Musikangebote. Doch diese Geschäfte laufen bisher eher schleppend an. Zudem ist die Expansion in einigen Ländern ins Stocken geraten – etwa in Deutschland, wo Starbucks von seinem Ziel von 200 Filialen immer noch weit entfernt ist.

Starbucks-Kaffeeduft an fast jeder Ecke. Das scheint die Vision des 53-jährigen Schultz zu sein. Rund 40 Millionen Kunden in aller Welt lassen sich jede Woche von einem der Barista einen Café Latte, Caramel Macchiato oder einen Double Chocolate Chip Frappuccino mixen. Zum Kult gehört auch die kryptische Bestellterminologie, mit der Neulinge oft Schwierigkeiten haben. Ein „Iced Decaf Triple Grande Vanilla Non-fat with whip latte“ – so lautet ungefähr die korrekte Bezeichnung für ein spezielles Kaffeegetränk. Wer sich als Unwissender entpuppt, zieht mitleidige Blicke der Kenner auf sich. Man kann sich sogar verzetteln, wenn man nur einen normalen Kaffee möchte. Der belauschte Dialog in einem Starbucks am Times Square in New York: „What would you like, Sir?“ – „A cup of coffee.“ – „What kind of coffee?“-- „A regular coffee.“ – „What size?“ – „Small please.“ – „You mean tall?“ – „No small.“ – „But we don’t have small. We have Tall, Grande and Venti.“ – „So Tall is the smallest size you have?“ – „Yes, Sir.“ Klein gibt es nicht im Reich der Meerjungfrau, die das grüne Logo von Starbucks schmückt. Seit 1995 hat sich der Umsatz der Kette von knapp einer halben Milliarde Dollar auf 7,8 Milliarden Dollar erhöht. Der Börsenwert liegt bei rund 23 Milliarden Dollar. Mittlerweile gibt es rund 13.000 Läden in 37 Ländern, auch wenn das Unternehmen noch mehr als 80 Prozent seines Umsatzes in den USA macht. Unbestreitbar hat sich Starbucks um die amerikanische Kaffeekultur Verdienste erworben. Lange Zeit wurde die von einer blondierten Bedienung in einem Diner repräsentiert, die mit dem Spruch „Want more coffee?“ und der Glaskanne anrückte, um eine magenfreundliche braune Brühe nachzuschenken. 1971 eröffnen drei Kaffee-Begeisterte – der Englischlehrer Jerry Baldwin, der Geschichtslehrer Zev Siegel und der Schriftsteller Gordon Bowker – in Seattle das erste Kaffeegeschäft unter dem Namen Starbucks. Der Name geht auf den Maat aus Melvilles Roman „Moby Dick“ zurück. Damals hat die Meerjungfrau auf dem Logo noch sichtbar Brüste, die später amerikanischer Prüderie zum Opfer fallen. Schultz, zu dieser Zeit 29 Jahre alt, fängt 1982 bei Starbucks als Marketing-Direktor an. Er reist nach Italien und kommt mit der Idee für eine Kaffeehauskette zurück. Starbucks testet das Konzept in Seattle, doch Schultz gründet mit Il Giornale eine eigene Gesellschaft, die frisch gebrühten Kaffee und Espresso-Produkte von Starbucks verkauft. 1987 erwirbt Schultz mit der Hilfe von anderen Investoren die Starbucks-Anteile der ursprünglichen Eigner. Zu diesem Zeitpunkt betreibt das Unternehmen das Kaffeegeschäft an 17 Standorten in der näheren Umgebung. 1992, im Jahr des Börsengangs, sind es bereits 165. Die 1000er-Marke überspringt das Unternehmen 1996, im gleichen Jahr eröffnet Starbucks seinen ersten Laden in Übersee, in Tokio. Die 10.000er-Marke knackt Starbucks 2005.

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