Steve Ballmer im Interview ‚‚Ich ärgere mich fürchterlich‘‘

Microsoft-Vorstandschef Steve Ballmer über die Jagd nach Google und Apple, die neue Konkurrenz aus dem Internet – und über realistischen Ehrgeiz.

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WirtschaftsWoche: Mr. Ballmer, seit einiger Zeit geben Sie Microsoft das Image eines zahmen Riesen. So haben Sie einige langjährige Rechtsstreits mit Konkurrenten ganz geräuschlos beigelegt. Sind Sie inzwischen der nette Kerl von nebenan? Ballmer: Sagen wir mal so: Wir sind nicht weniger ambitioniert als früher und wollen auch weiter mit unseren Wettbewerbern konkurrieren – aber das in einem reiferen, abgeklärteren Sinn. Sonderlich abgeklärt klang das aber nicht, als Sie kürzlich dem Rivalen Google Monopolvorwürfe machten, der Ihnen den Internet-Werbeanbieter Doubleclick vor der Nase weggeschnappt hatte. Hat Sie der Rückschlag in der Aufholjagd im Geschäft mit Online-Werbung so frustriert? Die Zahlen sprechen für sich selbst. Wir haben eine gute Position im Online-Markt, etwa bei E-Mail oder Instant-Messaging, aber eine weniger gute Position bei Online-Suche. Und das beste Geschäft mit Internet-Anzeigen macht derzeit nun einmal das Segment Web-Suche. Aus einer schlechteren Position bei der Suche folgen also auch geringere Anzeigenumsätze. Inwiefern verändert sich Ihre Ausgangslage durch den Kauf des Online-Werbeanbieters Aquantive, den Sie vor zwei Wochen angekündigt haben? Aquantive hilft uns, unsere bestehende Anzeigenplattform sowie die Softwarewerkzeuge für das Kampagnen-Management zu erweitern. Ferner holen wir so mit einem Schlag eine größere Zahl wirklich exzellenter Leute an Bord, die uns helfen, die nächste Generation der Online-Werbeangebote zu entwickeln. Der Deal ist ein wichtiger Schachzug für Microsoft, aber vor allem unsere Anzeigenkunden werden davon profitieren. Und wann wollen Sie Google im Online-Werbegeschäft einholen? Ich mache keine Vorhersage, wann wir Google erreicht haben werden. Ich sage bloß: Die gesamte Online-Industrie befindet sich immer noch in einem Stadium, in dem es weiterhin viele Innovationen geben wird. Bei rund der Hälfte aller Anfragen im Internet finden die Nutzer noch immer nicht das, was sie eigentlich suchen – das bietet uns immer noch große Chancen. Warum haben Sie die dann nicht genutzt? Warum hat Microsoft nicht längst die beste Suchmaschine am Markt? Die werden wir auch noch bekommen. Wir bewegen uns doch gerade mal zweieinhalb Jahre im Geschäft mit Suchmaschinenwerbung... ...was nichts anderes heißt, als dass Sie die Bedeutung dieses Geschäfts zu lange unterschätzt haben. Wir sind nicht zu spät dran. Ich wünschte zwar, wir wären früher dabei gewesen. Aber dass Online-Werbung einmal so groß und bedeutsam werden würde, hat praktisch jeden überrascht, auch Google. Vor vier Jahren hätten Sie nirgends eine Prognose über den Markt gefunden, so wie er sich heute darstellt. Aber Google hat sein Geschäftsmodell schnell an den neuen Markt angepasst. Das stimmt schon, Not macht halt erfinderisch. Aber der Markt hat sich doch längst weiterentwickelt: Es geht nicht mehr nur um Internet-Suche. Es dreht sich um alle möglichen Formen von Web-Anzeigen. Ich wage die kühne Vorhersage: In zehn Jahren werden Ihre Leser die „WirtschaftsWoche“ ausschließlich online lesen. Sie wird in einem internetkompatiblen Format ausgeliefert werden, inklusive aller Anzeigen. Das Fernsehen wandert ebenfalls ins Internet, erste Ansätze sieht man beispielsweise bei der Deutschen Telekom. Das heißt also, die gesamte Anzeigenwelt wird sich in Richtung Internet bewegen, nicht nur das, was heute schon dort ist. Wenn es so schwer ist, den Rückstand auf Google aufzuholen... ...das haben Sie gesagt. Ich sage hingegen, dass das eine gewisse Zeit dauert. So oder so: Warum haben Sie sich Doubleclick von Google wegschnappen lassen? Die waren mit drei Milliarden Dollar nur halb so teuer wie Ihr jüngster Kauf Aquantive, hätten Sie aber näher an Google herangebracht. Wir haben für Doubleclick geboten...

...aber Google hat Sie überboten. Nein, Google hat uns nicht überboten. Die genauen Details des Bieterprozesses darf ich leider nicht verraten – aber ich kann auf keinen Fall stehen lassen, dass Sie behaupten, Google hätte uns überboten. Denn das stimmt schlichtweg nicht. War es das alte Problem, dass Microsoft einfach nicht beliebt ist – nicht einmal als Investor? Nein, das glaube ich nicht. Die ganze Geschichte ist viel komplexer. Der Besitzer von Doubleclick war ein Finanzinvestor, der – wenn er gewollt hätte – bei dieser Transaktion definitiv mehr Geld hätte verdienen können. Sie müssen ihn fragen, warum er darauf verzichtet hat. Im Vergleich zur Konkurrenz fehlt bei Microsoft inzwischen die letzte Begeisterung der Kunden für neue Produkte. Warum haben nicht Sie den iPod auf den Markt gebracht, sondern Apple? Das ist in meinen Augen eine etwas seltsame Diskussion: Glauben Sie, jede aufregende Erfindung sollte von Microsoft kommen? Ist das nicht Ihr Ehrgeiz? Doch, genau das ist es! Und ich ärgere mich jedes Mal fürchterlich, wenn uns das nicht gelingt. Aber: Ist dieser Anspruch auch realistisch? Ich will, dass Microsoft immer die Nummer eins ist! Und es gibt auch viele Bereiche, wo uns das gelungen ist – denken Sie nur an die Xbox, die inzwischen die weltweit größte Online-Spiele-Community hat. Das ist doch viel spannender als das, was bei Musikplayern passiert. Aber nehmen wir mal an, es gibt einen Bereich, in dem wir nicht Nummer eins sind. Heißt das, wir sollten da niemals einsteigen? Natürlich nicht. Nehmen Sie etwa Microsofts Musikspieler Zune: Klar stehen wir damit hinter Apple. Aber wir haben auch gar nicht erwartet, den iPod innerhalb eines Jahres von der Spitze verdrängen zu können. Bis heute verkaufen Sie den Zune sowieso nur in den USA. Wann wird das Gerät in Europa erhältlich sein? Unser primäres Ziel war es, in den Markt zu kommen, einige Innovationen anzubieten und zu lernen. Und die USA sind dafür schlichtweg ein guter Markt, weil er unser heimisches Terrain ist. Im Lauf der Zeit werden wir verschiedene Zune-Versionen haben. Und es ist klar, dass wir neue Dienste brauchen, nicht nur einen Internet-Musikshop. Bisher verlieren wir in dem Geschäft Geld, weil wir investieren müssen. Daher haben wir uns entschieden, noch nicht in neue Märkte zu gehen. Das lohnt sich erst, wenn wir mehrere der skizzierten Ziele erreicht haben. Wann das der Fall sein wird, kann ich heute nicht sagen. Im Gegensatz zu Microsoft bewegt Apple schon mit einer bloßen Produktankündigung die Märkte, wie zuletzt beim iPhone. Geschenkt, dennoch ist das iPhone nur ein gewöhnliches Telefon... ...sagen Sie. Der Rummel ist gewaltig. Was ist denn faszinierend an dem Gerät? Das Design? Es gibt viele gut designte Mobiltelefone, die nicht von Apple stammen. Vielleicht kommen wir hier dem Problem näher: Man muss nicht der Erste in einem Markt sein, benötigt dann aber ein Produkt, das die Menschen begeistert. Außer der Marke hat Apple nichts in petto, was andere Anbieter nicht auch zu bieten hätten. Daher garantiere ich Ihnen, dass sich das iPhone nicht sonderlich verkaufen wird. Beim iPod war das anders, weil er auf einzigartige Weise mit einer Musikbox-Software und einem Online-Musikshop verknüpft war. Dieses integrierte Modell hat Apple als Erster eingeführt. Das kann auch bei Handys funktionieren. Nein, der Handymarkt war niemals derart integriert und kann es auch nicht sein. Es sind verschiedene Unternehmen, welche die Telefone produzieren und die Netze betreiben. Dadurch ist es von Natur aus ein Markt mit verschiedenen Teilnehmern. Apple verlangt 500 Dollar für ein durch einen Vertrag subventioniertes Gerät. Und nehmen wir an, Apple würde davon sogar eine Menge verkaufen – ich sage nicht, sie würden das nicht schaffen. Pro Jahr werden aber derzeit 1,2 Milliarden Handys verkauft. Bei einem derartigen Preis wird es Apple kaum gelingen, davon einen signifikanten Anteil zu erobern. Microsofts Anspruch mit Windows Mobile lautet dagegen, Hunderte Millionen Geräte jährlich zu verkaufen.

Das will Apple auch gar nicht. Klar, wenn Apple die obersten zwei, drei Prozent der reichen, coolen Menschen als Kunden gewinnt, sind sie zufrieden. Apple geht beim iPhone genauso vor wie beim Mac. Ich sage nicht, dass das schlecht ist. Wir sprechen dann aber von einem Marktteilnehmer mit einem Anteil im einstelligen Bereich. Immerhin schafft es Apple kontinuierlich, erfolgreiche neue Produkte auf den Markt zu bringen. Sagen wir mal so – sie machen einen sehr guten Job beim Marketing. Nehmen Sie ihr Produkt iTV zur Verbindung von Apple-Computern und Fernsehern: Die Rezensionen waren durchweg negativ. Aber durch den iPod erwarten die Menschen derzeit, dass alle Produkte mit einem „i“ am Anfang faszinierend sind. Aber ich denke, ich kann recht neutral sagen, dass iTV nicht das liefert, was es eigentlich soll: eine qualitativ hochwertige Übertragung von Videos. Immer mehr Anwendungen werden als Dienste übers Web angeboten, bei dem der Nutzer keine Software mehr auf dem eigenen Rechner installieren muss. Sind die jüngsten Versionen von Windows und Office die letzten monolithischen Produkte von Microsoft? Erstens: Werden alle unsere Produkte eine Kombination von Software und Service sein? Ja. Wir haben heute schon die Internet-Dienste Windows Live und Office Live. Diese Online-Komponenten werden weiter wachsen. Zweitens: Werden Innovationen künftig mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf den Markt kommen – einige Veränderungen, die kontinuierlich und regelmäßig kommen, andere weniger regelmäßig, dafür größer? Wir werden beides haben. Ich glaube nicht, dass sich die Welt künftig ausschließlich in Richtung Innovationen in Form von kleinen Downloads bewegt; genauso wenig bleibt es bei den großen, monolithischen Softwarepaketen wie zurzeit. Die Entwicklung wird mir zu schwarz-weiß beschrieben: Hier die alte Welt mit mächtiger, lokal installierter Software, dort die neue mit kleinen Services, die übers Internet kommen. Die Wahrheit lautet meines Erachtens: Die alte und neue Welt werden miteinander verschmelzen. Bisher hat kostenlose Linux-Software das Geschäft von Microsoft rund um Windows bedroht. Nun kommen kostenfreie Web-Dienste hinzu, die auf Ihr Office-Geschäft abzielen. Wie reagieren Sie darauf? Diese Dienste sind doch ein wenig wie Linux. Wenn Sie eine kostenlose Textverarbeitung wollen, sollten Sie das frei erhältliche Paket Open Office einsetzen, statt einen Web-Dienst zu nutzen. Open Office ist zwar nicht so gut wie Microsoft Office, aber besser als das meiste, was Sie heute übers Internet beziehen können. Wir haben gelernt, wie man mit – und ich setze das bewusst in Anführungszeichen – vermeintlich „kostenlosen Diensten“ konkurriert, sei es bei Betriebssystemen oder bei Office-Paketen: durch bessere Gesamtkosten, höheren Mehrwert, besseren Funktionsumfang. Wir haben bisher keine Marktanteile verloren, die wir zurückgewinnen müssten. Im Geschäft mit Unternehmenssoftware beharken sich SAP und Oracle gerade. Beide wollen in Ihrem Kernmarkt, dem Mittelstand, wildern. Microsoft hält sich in diesem Konkurrenzkampf auffällig zurück. Wir sind doch im Mittelstand bereits die Nummer eins. Wir haben weltweit zwar nur einen Anteil von sieben bis acht Prozent, aber dadurch sind wir Marktführer, weil das Geschäft für mittelständische Unternehmenspakete so fragmentiert ist. Unsere Konkurrenz gibt mehr für Werbung aus, das stimmt. Vielleicht sollten wir unsere Anzeigenbudgets erhöhen. Es geht nicht nur um Werbung. SAP will demnächst eine komplett neue Software für kleinere Firmen auf den Markt bringen. Wie antworten Sie darauf? Wir haben doch allein im vergangenen Jahr drei neue Mittelstandsprodukte auf den Markt gebracht. Und die kaufen die Unternehmen bereits fleißig. Unsere Wachstumsraten sind die höchsten in der Industrie, sowohl was Umsatz betrifft wie auch bei der Gewinnung von Neukunden. Vielleicht handelt es sich hier auch um ein besonderes Problem für Microsoft: Wir sind in so vielen verschiedenen Märkten aktiv, und die meisten Leute achten nur auf unsere fünf größten Bereiche. Wenn SAP weiter in Ihr Terrain eindringt, schlägt das auf die Stimmung in Ihrer Partnerschaft mit SAP? Wir sind und bleiben – wie schon heute – gleichzeitig Konkurrenten und Partner. Für mich ist das kein Problem. Und wenn Sie SAP-Chef Henning Kagermann fragen, hat der vermutlich ebenso wenig ein Problem damit. Kein Grund, irgendetwas zu ändern... ...also auch kein neuer Versuch einer Übernahme von SAP durch Microsoft, so wie Sie es vor Jahren schon einmal gedanklich durchgespielt – und verworfen – haben? Es gibt keinerlei Diskussion in diese Richtung, das garantiere ich Ihnen. Im kommenden Jahr steht Microsoft das Ende einer Ära bevor, wenn Bill Gates das Unternehmen verlässt... Das stimmt so nicht ganz, vielmehr arbeitet er dann nur noch Teilzeit für uns. Natürlich haben Bill und ich über die Zukunft gesprochen: Es erscheint uns beiden sinnvoller, das Unternehmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu verlassen und so einen möglichst reibungslosen Abgang der Gründergeneration hinzubekommen. Das wird bei mir aber noch dauern: Ich kann mir gut vorstellen, den Job noch weitere zehn Jahre zu machen. Bill Gates hat zwar ein paar mehr Microsoft-Aktien im Depot als Sie, aber zu arbeiten bräuchten Sie auch nicht mehr. Warum genießen Sie nicht einfach das Leben? Ich genieße die Welt und das Leben jeden Tag. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was mir mehr Freude bereiten sollte als das, was ich zurzeit tue. Ich würde niemals den Spaß, den ich als Chef von Microsoft habe, opfern, um etwa mehr Golf zu spielen. Nach zwei Wochen wäre mir schrecklich langweilig.

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