Telekom-Prozess Was hat Ron Sommer verschwiegen?

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Am 1. März 2000 nehmen die Übernahmepläne Konturen an. Amerikanische Tageszeitungen berichten, dass die Deutsche Telekom Verhandlungen mit der US-Telefongesellschaft Qwest und dem spanischen Telekomkonzern Telefónica aufgenommen habe. Mit einem Börsenwert von 230 Milliarden Dollar ist die Deutsche Telekom das wertvollste Unternehmen in Europa und könne leicht beide Unternehmen kaufen. „Es gibt derzeit kaum ein Unternehmen, das für uns außer Reichweite ist“, schürt Sommer in Interviews die Euphorie. Die Verhandlungen mit Qwest scheitern allerdings binnen weniger Tage.

Währenddessen nimmt die Finanzkraft der Telekom weiter zu. Am 3. März 2000 lassen Internet-Hype und der Übernahmekampf zwischen Vodafone und Mannesmann den Kurs der T-Aktie auf den Höchststand von 104,87 Euro klettern.

Was die Öffentlichkeit damals nicht weiß: Im März, zwei Monate vor der Veröffentlichung des Börsenprospekts, gibt es auch schon erste Gespräche zwischen der Deutschen Telekom und Voicestream, die die Telekom in ihrem Schriftsatz für das Oberlandesgericht Frankfurt heute als „Sondierungsgespräche“ bezeichnet. Insider berichten, dass die Telekom angeboten habe, Voicestream-Aktien gegen Anteile an der nichtbörsennotierten Mobilfunk-Tochter T-Mobile zu tauschen. Die Voicestream-Eigner lehnen das ab. Die Gespräche werden nach heutigen Angaben der Deutschen Telekom am 29. März abgebrochen. Im Prospekt zum dritten Börsengang wird dies nicht erwähnt.

Im Laufe des Aprils verfolgt die Telekom andere Akquisitionsziele, darunter erneut die Übernahme von Qwest, aber auch US-Konkurrent SBC, Cable & Wireless in Großbritannien und die finnische Sonera, ohne dass es zu Abschlüssen kommt. Auch diese Verhandlungen werden nicht im Börsenprospekt aufgenommen. Ob sie dort hineingehören, soll das Gericht entscheiden.

Am 26. Mai 2000 beginnt die Zeichnungsfrist für den dritten Börsengang. Für 66 Euro bringt die Deutsche Telekom ihre bislang letzte Tranche an den Markt. Die Zeichnungsfrist endet am 19. Juni.

Anfang Juni nimmt die Deutsche Telekom heimlich die Verhandlungen mit Voicestream wieder auf und gibt – kein T-Aktionär ahnt das zu diesem Zeitpunkt – eine unverbindliche Übernahmeofferte ab, was die Telekom schon in erster Instanz vor dem Landgericht Frankfurt zugab. Der Telekom-Vorstand hatte erfahren, dass sich auch andere Telekomkonzerne für Voicestream interessierten, und wollte sich die Option einer Übernahme erhalten. Zeitgleich fanden Fusionsgespräche mit anderen US-Gesellschaften statt, die nach den » Angaben der Telekom, die sie vor Prozessbeginn machte, erst am 12. Juli scheiterten.

13. Juni 2000: Im Telekom-Vorstand schrillen offenbar die Alarmglocken. Fast in letzter Minute entdeckt der Vorstand, dass weitere Übernahmen nicht vom Börsenprospekt abgedeckt sind, und beschließt einen Nachtrag:

„Die Deutsche Telekom und ihre Tochtergesellschaften erwägen und diskutieren derzeit aktiv eine Reihe möglicher Akquisitionen. Diese können sowohl durch die Emission neuer Aktien der Deutschen Telekom oder durch Barmittel oder durch eine Kombination von Barmitteln und Aktienausgabe realisiert werden und könnten für die Deutsche Telekom oder ihre Tochtergesellschaften einzeln oder zusammen genommen von erheblicher Bedeutung sein. Gespräche mit Dritten über Akquisitionen können jederzeit begonnen und abgebrochen werden.“

Am 11. Juli 2000 gibt es erste Medienberichte darüber, dass die Deutsche Telekom dem US-Mobilfunker Voicestream ein Übernahmeangebot in Höhe von mehr als 30 Milliarden Dollar mache. Schon drei Tage später beginnt die entscheidende Phase der Verhandlungen. Jeffrey Hedberg, im Telekom-Vorstand für Internationales zuständig, und T-Mobile-Chef Kai-Uwe Ricke treffen sich im US-Wintersportort Sun Valley mit dem Voicestream-Management und Canning Fok, dem Chef des Voicestream-Großaktionärs Hutchison Whampoa. Am 19. Juli – einen Monat nach Ende der Zeichnungsfrist des Börsengangs – beschäftigt sich der Aufsichtsrat der Deutschen Telekom erstmals offiziell mit Voicestream und stimmt der Übernahme grundsätzlich zu.

Der Präsident der US-Regulierungsbehörde FCC, William Kennard, kennt offensichtlich schon länger die Expansionspläne. Er meldet am 21. Juli erhebliche Bedenken gegen die Voicestream-Übernahme an und verspricht eine eingehende Prüfung.

Am 23. Juli 2000 wird der Deal dann offiziell – es ist gleichzeitig der Anfang vom Ende des Telekom-Chefs. Sommer hat sich mit den Voicestream-Aktionären auf eine sehr komplexe Transaktion verständigt, die sich aus einem Aktientausch und einer Barzahlung im Gesamtwert von 50,7 Milliarden US-Dollar zusammensetzt. Außerdem will die Deutsche Telekom Voicestream-Schulden in Höhe von fünf Milliarden Dollar übernehmen. Für die Transaktion nutzt die Deutsche Telekom eine auf der Hauptversammlung am 25. Mai genehmigte Kapitalerhöhung und kündigt die Ausgabe von 828,8 Millionen neuen T-Aktien an. Die Übernahme wurde als eine Mischung aus Options- und Termingeschäft aufgezogen. Dahinter versteckt sich eine verzwickte Konstruktion, die bei Akquisitionen sehr ungewöhnlich ist. Der Kauf sollte erst im ersten Halbjahr 2001 abgeschlossen werden. Der endgültige Preis von Voicestream hing allein davon ab, wie sich der Kurs der T-Aktie entwickelt.

6. September 2000: Entsprechend der Ankündigung, „Netto-Finanzverbindlichkeiten in Höhe von fünf Milliarden Dollar“ von Voicestream zu übernehmen, zeichnet die Deutsche Telekom für fünf Milliarden Dollar Voicestream-Vorzugsaktien und stellt dieses Geld Voicestream vorab als Eigenkapital zur Verfügung. Die Kapitalspritze war nach Ansicht der Kläger notwendig, um das Überleben von Voice-stream zu sichern. Ihr Vorwurf: Geld der Aktionäre wurde vergeudet, um Voice-stream wertvoller zu machen. Auf jeden Fall ist es sehr ungewöhnlich, dass schon vor Abschluss des Deals Geld Richtung Voicestream fließt.

Endgültig vollzogen wird die Voice-stream-Übernahme am 31. Mai 2001. Durch den Absturz der T-Aktie reduziert sich der endgültige Kaufpreis auf 39,4 Milliarden Euro. Am gleichen Tag kommt ein Gutachten des Wirtschaftsprüfers BDO Deutsche Warentreuhand zum Ergebnis, dass Voicestream lediglich einen Gesamtwert von 9,8 Milliarden Euro habe.

Genau daran hat Kläger-Anwalt Philipp gehörige Zweifel. Selbst diesen Wert hält er für zu hoch. Bei einer „seriösen Unternehmensbewertung“ hätte sich Voicestream als „Nonvaleur“ erwiesen, das heißt als ein wertloses Unternehmen, das „normalerweise für einen Euro zu haben“ sei.

Weitere Zweifel an der ursprünglichen Darstellung durch die Telekom weckt am 8. Oktober 2001 Aufsichtsrat Peter Glotz. Er veröffentlicht eine Biografie über Telekom-Chef Sommer und erweckt darin den Eindruck, dass viele Verhandlungen nur Nebelkerzen waren und das eigentliche Übernahmeziel von Anfang an Voicestream war:

„Die Amerikaner haben es nicht so gern, wenn ihre großen Unternehmen vom Fremden okkupiert werden. Selbst gegen den Kauf des Nischenspielers Voicestream brachte Senator Hollings 30 seiner Senatskollegen in Stellung. Das heißt: Hätte Sommer versucht, in einem Gigadeal irgendeine große Festnetzfirma in den Vereinigten Staaten aufzukaufen, wäre er in den politischen Schützengräben liegen geblieben. Er musste also etwas Überraschendes, Raffiniertes, auf den ersten Blick Tollkühnes tun. Und es war wirklich tollkühn, 20 000 Dollar für jeden Voicestream-Kunden anzubieten.“

Am 6. Juli 2002 tritt Sommer als Vorstandsvorsitzender zurück. Gut eine Woche zuvor, am 26. Juni, ist der Kurs der T-Aktie auf 8,14 Euro gerutscht. Zeichner der dritten Tranche haben inzwischen 88 Prozent ihres Einsatzes verloren.

14. November 2002: Der neue Telekom-Vorstand mit Sommer-Nachfolger Ricke an der Spitze beschließt Sonderabschreibungen in Höhe von 22 Milliarden Euro, davon entfallen knapp 18 Milliarden auf den Firmenwert und auf Funklizenzen von Voicestream. Anleger-Anwalt Philipp hatte bereits im August befürchtet, dass die Telekom vor einer Sonderabschreibung von mehr als 20 Milliarden Euro stehe. Da hatte der Konzern Philipps Berechnungen noch als „blanken Unsinn“ zurückgewiesen.

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