Telekom und Post Warum die Telekom der ehemaligen Schwester hinterherhinkt

Bei der Aufspaltung und Privatisierung der Bundespost 1995 schien es, als gehörte der Telekommunikationssparte die Welt und die Post aufs Abstellgleis. Das Gegenteil passierte.

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Zentrale der Deutschen Post Quelle: dpa

Der Pressekonferenz am vergangenen Montag blieb René Obermann fern — zu tief saß der Schmerz. Jahrelang hatte der Telekom-Chef mit Herzblut für einen Verbleib seiner Mobiltochter in den USA gekämpft. Er beschwor die Wachstumschancen und übernahm sogar die persönliche Verantwortung für die Geschäfte. Geholfen hat es nichts: Zum Schluss hatte auch Obermann dem Übernahmeangebot des US-Telekommunikationsgiganten AT&T in Höhe von 39 Milliarden Dollar nichts entgegenzusetzen und trennte sich von seiner US-Tochter T-Mobile. Es mache „keinen Sinn, sich überall zu verkämpfen“, sagte Obermann ein wenig resignierend.

Der Abschied aus den USA markiert nicht nur das Ende einer Weltvision: Die Telekom verliert ein Viertel ihres Umsatzes und schrumpft zum soliden, aber regionalen Anbieter. Obermanns Ausstieg jenseits des Atlantiks lässt auch die vergangenen anderthalb Jahrzehnte Privatisierung in Deutschland in einem neuen, überraschenden Licht erscheinen. Nicht die Telekom, sondern ihr einstiges Schwesterunternehmen, die Deutsche Post, wurde zum erhofften internationalen Star. Statt mit Internet, Handys und TV brilliert die einstige Mammutbehörde Deutsche Bundespost heute als Logistikchampion auf dem globalen Parkett.

Post stellt Telekom in Schatten

Post Telekom

Der als langweilig gescholtene Brief- und Paketdienst schafft heute mehr als 50 Milliarden Euro Umsatz und überholt damit 2011 voraussichtlich erstmals die Telekom (siehe Grafik). Der Post-Tower in der Charles-de-Gaulle-Straße in Bonn übertrifft die gut einen Kilometer Luftlinie entfernte Telekom-Zentrale in der Friedrich-Ebert-Allee nicht nur in der Größe. Auch die erreichte Marktposition, Profitabilität und Geschäftsaussichten stellen den Magenta-Konzern weit in den Schatten.

Dabei schienen beider Schicksale zuerst gleich. Post und Telekom entstanden 1995 aus den Ruinen der ehemaligen Deutschen Bundespost. Beide gingen auf Einkaufstour und nach der Jahrtausendwende an die Börse. Doch die Post hatte bei den Zukäufen ein glücklicheres Händchen und beherrscht das politische Lobbygeschäft bis heute besser als die Telekom. Auch die vom heutigen Post-Chef Frank Appel gleich nach seinem Amtsantritt 2008 eingeführte neue Führungskultur erweist sich inzwischen als wirkungsvoller.

Allein in den ersten fünf Jahren nach der Privatisierung kaufte Appel-Vorgänger Klaus Zumwinkel 40 Unternehmen. Zwar verzockte er sich bisweilen — die Übernahme der US-Frachtfluggesellschaft Airborne geriet zum 7,5-Milliarden-Euro-Fiasko, auch der Kaufpreis des britischen Logistikers Exel war zu hoch. Doch am Ende der Einkaufstour stand ein Express-, Brief-, Paket- und Logistikgigant, der keine Lücken auf der Weltkarte ließ. Heute macht die Post 68 Prozent aller Umsätze im Ausland. Als Glückstreffer erwies sich der Kauf des Expressdienstleiters DHL 2002. Der gehört heute zu den vier Größten seiner Art und hat sich zur profitabelsten Sparte gemausert. DHL ist zudem Namensgeber für alle Logistikdienstleistungen.

Im Vergleich dazu hat sich die Deutsche Telekom kräftig verspekuliert. Allein die beiden Mega-Deals — die Übernahme des britischen Mobilfunkers One2one 1999 für rund zehn Milliarden Euro und zwei Jahre später des US-Mobilfunkers Voicestream für 40 Milliarden Euro — waren so teuer, dass sich die Verschuldung dramatisch erhöhte und keine weiteren Akquisitionen erlaubte.

Der Kauf der US-Tochter war der wohl größte Fehler. Der damalige Telekom-Chef Ron Sommer stand 2001 enorm unter Erfolgsdruck: Die Fusionsverhandlungen mit Telecom Italiawaren gescheitert, die Allianz mit France Télécom funktionierte nicht wie gewünscht. Gleichzeitig forderten Analysten ein größeres Auslandsengagement — ihrem Anspruch als Global Player könne die Telekom nur gerecht werden, wenn sie ihren Auslandsumsatz auf über 50 Prozent steigere.

Gegen Misstrauen in den USA

Die USA standen ganz oben auf der Wunschliste, erforderten aber besonderes diplomatisches Geschick: Die Übernahme eines der großen US-Konzerne wäre nach Einschätzung Sommers aus politischen Gründen gescheitert. Da blieb ihm nur die Übernahme des kleinsten landesweiten Anbieters – Voicestream. „Sommer musste etwas Überraschendes, Raffiniertes, auf den ersten Blick Tollkühnes tun“, erinnert sich der inzwischen verstorbene Aufsichtsrat Peter Glotz (SPD). „Und es war natürlich tollkühn, 20.000 Dollar für jeden Voicestream-Kunden zu bieten.“ Zwar gab es auch dagegen Widerstand von einigen Senatoren, trotzdem genehmigten die US-Aufsichtsbehörden den Deal. Doch heimisch ist die Telekom mit ihrer neuen, in T-Mobile getauften US-Tochter nie geworden – zu groß war das Misstrauen der Amerikaner gegen einen heimischen Mobilfunkanbieter im ausländischen Besitz.

Zwar sah sich die Post in den USA auch großen Widerständen vor allem der Platzhirsche UPS und FedEx sowie deren politischen Lobbyisten ausgesetzt – weswegen Konzernchef Appel das Engagement schließlich aufgab. Dafür beherrschte sein Vorgänger Zumwinkel das Lobbying hierzulande wie kein anderer. Durch geschickte Interventionen gelang es ihm, der Post den lukrativen Briefmarkt über Jahre zu sichern — was dauerhaft Milliardengewinne garantierte. Allein der lancierte und durchgeboxte Mindestlohn von 9,80 Euro pro Stunde für Briefträger, der bis 2010 galt, hielt Wettbewerber jahrelang klein.

Konzernzentrale der Deutschen Quelle: REUTERS

Noch immer klagen Post-Konkurrenten über ungleiche Wettbewerbsbedingungen. Trotz Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für Briefe und Pakete für Geschäftskunden gebe es noch immer „keine Waffengleichheit“, schimpft Otto-Vorstand Hanjo Schneider, der bei dem Versandhändler die Pakettochter Hermes verantwortet. Unternehmen können sich nur dann von der Mehrwertsteuer befreien, wenn sie in jedem Ort über 2000 Einwohner Annahmestellen unterhalten. Doch in den meisten dieser Dörfer gebe es nur einen Laden, der schon von der Post besetzt sei, kritisiert Schneider. „Die Politik hat erneut eine Lex Post geschaffen.“

Dagegen kämpft Telekom-Chef Obermann in Berlin auf verlorenem Posten. Zwar kokettiert er gern, wie gut er sich mit Kanzlerin Angela Merkel verstehe. Doch gebracht hat ihm das nichts. Statt Industriepolitik im Sinne des größten Infrastrukturbetreibers zu betreiben, wie Obermann und seine Vorgänger fordern, schlagen sich Bundesregierung und EU-Kommission auf die Seite der Verbraucher. Allein durch die teilweise politisch verordneten Preissenkungen im Mobilfunk, etwa bei Gesprächen aus dem Ausland, gehen pro Jahr Umsätze in Milliardenhöhe verloren. Das Geld fehlt der Telekom zur Finanzierung ihrer Auslandsgeschäfte.

Inzwischen ist die Konkurrenz so stark, dass die Telekom sogar um ihre Vormachtstellung im Heimatmarkt fürchten muss. Im Mobilfunk ist Vodafone wieder Marktführer, im Festnetz ist die Telekom durch die TV-Kabelnetzbetreiber mit ihren schnellen Internet-Netzen unter Druck. Obermann muss Milliarden in noch schnellere Glasfasernetze investieren, die sich aber vielerorts aufgrund der erodierenden Kundenbasis gar nicht mehr lohnen. Für teure Auslandszukäufe fehlen ihm einfach die Mittel.

Während sich die Telekom gezwungenermaßen auf den Heimatmarkt konzentriert, sieht sich die Deutsche Post als Logistiker für die ganze Welt — das wird bis ins Top-Management deutlich. Lange Zeit gaben im Post-Tower deutsche Manager den Ton an, die weltweite Strategie wurde in Bonn festgelegt. Seit der Airborne-Bruchlandung in den USA hat sich der Wind gedreht: Heute ist der siebenköpfige Vorstand mehrheitlich mit Ausländern besetzt, die ihren operativen Sitz nicht mehr in Bonn, sondern in Asien und den USA haben. Appel setzt auf lokale Manager, die näher am Markt sind und ihre Kunden besser kennen. Der Markt honoriert die neue Weltoffenheit: In Asien etwa genießt DHL inzwischen höchstes Renommee.

Top-Leute meiden Telekom

Die Telekom dagegen ist seit Jahren vor allem mit sich selbst beschäftigt: Erst der aggressive Expansionskurs von Sommer (1994 bis 2002), dann die Entschuldungsphase unter Nachfolger Kai-Uwe Ricke (2002 bis 2006) und nun die Rückabwicklung der zu teuer eingekauften Auslandstöchter durch René Obermann (seit 2006). Der ständige Führungs- und Strategiewechsel hat für hohe Fluktuation in den obersten Führungsgremien gesorgt. Top-Leute machen mittlerweile einen großen Bogen um die Deutsche Telekom.

Die Folgen sind verheerend. Gesteuert wird der Konzern von einem kleinen Zirkel enger Obermann-Vertrauter, die wegen zu vieler Aufgaben latent überfordert sind. Die Auserwählten springen von einer Großbaustelle zur nächsten und lösen dort mit Riesenaufwand die jeweils drängendsten Probleme – wie zuletzt in Großbritannien, Polen und den USA. Obermann nimmt dabei bewusst in Kauf, dass weniger kritische Geschäftsfelder mangels Managementkapazitäten aus dem Fokus geraten – um dann früher oder später zur nächsten Großbaustelle zu werden.

Jetzt werden beide Ex-Schwestern sogar direkte Konkurrenten. Beide bieten künftig eine rechtssichere E-Mail an, die sogenannte „De-Mail“. Die Telekom wartet noch auf die rechtliche Grundlage, die Deutsche Post brachte ihren E-Postbrief schon im Juli vergangenen Jahres auf den Markt. Den Lobby-Kampf hat die Post bereits für sich entschieden: Anders als ursprünglich geplant wird das Kürzel „De-Mail“ in der Domain-Adresse — gedacht als zugkräftige Marke für den neuen Dienst — doch nicht verpflichtend. 

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