Telekommunikation Das indische Mobilfunk-Dilemma

Hunderte Millionen von Kunden haben die Mobilfunkriesen der Schwellenländer unter Vertrag. Innovative Technologie lässt sich in armen Ländern aber nur schwer verkaufen, Investitionen lohnen kaum. So in Indien: Die Telekomunternehmen geben gerade mehr Geld für UMTS-Lizenzen aus, als sie sich leisten können.

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Das Handy ist in Indien das Kommunikationsmittel der Wahl: Der Markt wächst rasant, hinkt bei schnellen Verbindungen aber hinterher. Quelle: dpa

Mehr Inder haben Zugang zu einem Handy als zu einer Toilette, melden die Vereinten Nationen. Das Festnetz hat in Indien nie richtig Einzug gehalten, da telefonieren schon Millionen aus allen gesellschaftlichen Schichten mit einem Mobiltelefon. Das sieht wie rasanter Fortschritt aus. Doch diese Entwicklung wird erst einmal abreißen, denn die massenhafte Landbevölkerung der Schwellenländer kann sich mobiles Internet weder leisten, noch kann sie es gebrauchen.

In den Schwellenländern boomt der Mobilfunkmarkt. Die indische Telekombehörde meldet im März 620 Millionen angemeldete Handys. Innerhalb von nur einem Monat sind 20 Millionen Neukunden hinzugekommen. Nach Kundenzahl stellen die Mobilfunkriesen der Schwellenländer selbst Riesen wie T-Mobile in den Schatten. Doch was technologischen Fortschritt und Profite angeht, haben Länder wie Indien noch einiges aufzuholen.

Indien versteigert gerade UMTS-Lizenzen

Es hapert dort vorne und hinten: Die indischen Mobilfunknetze sind unzuverlässig und, vor allem in den Megastädten, dauerhaft überlastet. Gerade versteigert die Regierung ihre UMTS-Lizenzen – eine veraltete Technologie, die in Deutschland vor zehn Jahren eingeführt wurde. Während in Indien Frequenzen für den angestaubten Standard vergeben werden, verteilt die Bundesnetzagentur schon die Rechte für die Folgegeneration NGMN.

Indien kommt nicht hinterher beim Fortschritt in der Mobilfunktechnologie. Selbst aus dem UMTS-Standard wird Indien lange nicht alles herausholen, was denkbar ist. UMTS kann zweierlei: Es macht erstmals mobiles Internet möglich, wie man es zum Beispiel mit dem iPhone nutzen kann. Es kann aber auch die bescheidenere Aufgabe erfüllen, einfach eine weit größere Menge an Telefonaten und SMS-Nachrichten zu bewältigen, als es der ältere GSM-Standard konnte.

"Teure Lizenzen sind Geldverschwendung"

Doch nur ein verschwindend geringer Anteil der Inder wird das mobile Internet nutzen wollen. Für die Nutzung von Twitter oder Facebook per Smartphone gibt es schlicht kaum Bedarf. Nur fünf Prozent aller indischen Handynutzer sind schon auf die internetfähigen Smartphones umgestiegen. Der Löwenanteil der Handynutzer will telefonieren und SMS versenden, sonst nichts.

Frequenz-Versteigerungen sind für die Mobilfunkfirmen eine Investition in die Zukunft – doch ob sich diese für Indien schon lohnt, ist fraglich. „Der Gewinner der Auktion ist am Ende ein Verlierer“, lautet die Einschätzung von Nick Price, Fondsmanager bei Fidelity International und Experte für die Emerging Markets. „Ich gehe davon aus, dass die Gewinner der Auktion zu viel bezahlen. So wie der indische Markt im Moment aussieht, sind die teuren Lizenzen eine Geldverschwendung.“

Handy-Nutzerin in Indien Quelle: AP

Die Telekomfirmen bieten trotzdem seit Wochen fieberhaft auf die UMTS-Lizenzen. Die Regierung rechnete mit Einnahmen von 350 Milliarden Rupien, knapp sechs Milliarden Euro. Derzeit sieht es so aus, als könnten es 600 Milliarden Rupien werden, meldet die Agentur Bloomberg. Die Regierung will damit das Haushaltsdefizit in diesem Jahr um mehr als einen Prozentpunkt drücken – ein ehrgeiziges Ziel, das plötzlich greifbar nahe ist. Das erinnert an die UMTS-Auktion in Deutschland: Der Staat verdiente sich eine goldene Nase an den Lizenzen, als die Rekordsumme von 50 Milliarden Euro zusammenkam. „UMTS steht für ‚Unerwartete Mehreinnahmen zur Tilgung von Staatsschulden’“, sagte der damalige Finanzminister Hans Eichel.

Heute freut sich der indische Staat, die Mobilfunkfirmen aber laufen mit offenen Augen ins Unglück. Doch es muss sein, denn wer für den neuen Standard keine Lizenz erhält, ist langfristig auf dem Markt aus dem Rennen. Viele Unternehmen müssten in den sauren Apfel beißen und sich verschulden, um die Lizenzen zu bezahlen. Seit Auktionsbeginn im April haben die Aktien von Indiens größtem Mobilfunkanbieter Barthi Airtel neun Prozent verloren, anderen Unternehmen geht es noch schlimmer. Anleger fürchten, dass sie die Summen nicht stemmen können.

Preise in Indien niedriger als in Afrika

Zu verdienen gibt es mit Mobilfunk nämlich nicht viel, und das, obwohl der indische Markt gigantisch ist. Hunderte Millionen von Kunden haben die Mobilfunkanbieter schon unter Vertrag, und das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Der durchschnittliche Inder telefoniert fast dreimal so lange mit dem Handy wie die Deutschen.

Doch die große Konkurrenz auf dem Mobilfunkmarkt bremst die Profite. Neun Telekomfirmen haben sich an der UMTS-Auktion beteiligt, und Dutzende kleinere Firmen verschärfen den Kampf um die niedrigsten Minutenpreise. Diese liegen mittlerweile bei nur einem Cent. Die Telefonrechnung schreckt in Indien niemanden: 4,80 Dollar bezahlen Kunden von Bharti Airtel im Durchschnitt pro Monat.

Bharti Airtel alleine hat 128 Millionen Kunden. Die niedrigen Preise drücken den jährlichen Umsatz auf 6,8 Milliarden Euro. Daher hat sich Bharti Airtel neben Indien ein neues und lukrativeres Standbein gesucht: Das Unternehmen steckt mitten in einer Neun-Milliarden-Dollar-Übernahme des Afrikageschäftes der kuwaitischen Firma Zain. Es wäre die zweitgrößte Übernahme, die eine indische Firma jemals vollzogen hat.

Trotz noch niedrigerem Pro-Kopf-Einkommen in vielen afrikanischen Ländern ist das Preisniveau für Handygespräche um ein Vielfaches höher als in Indien. In Nigeria zum Beispiel sind die Minutenpreise 20-mal so hoch, das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur zwei Drittel des indischen. Sind die Preise aber erst einmal so niedrig wie in Indien, ist es fast unmöglich, das Niveau zu heben. Einen großen Nachteil hätte Bhartis Zukauf jedoch: Die Milliardensumme könnte dem Unternehmen für die teure UMTS-Auktion in Indien fehlen.

Firmen pokern hoch

Damit sich die Investition in den UMTS-Standard überhaupt lohnen kann, muss sich der harte Preiskampf auf dem Mobilfunkmarkt erst entschärfen. „Die momentane Marktstruktur ist nicht aufrechtzuerhalten“, sagt Fondsmanager Nick Price gegenüber der WirtschaftsWoche. „Sollten sich einige Firmen bei der Auktion übernommen haben, kann es sein, dass sich der Markt konsolidiert.“

Bis die UMTS-Technologie in Indien umgesetzt wird, werden noch einige Monate ins Land gehen. Frühestens im Dezember, und das nur in Großstädten, erwartet Shubham Majumder, Telekom-Experte der australischen Investmentbank Macquarie, die Einführung. Mit der Ersteigerung der Lizenzen ist es auch noch nicht getan. Die Umsetzung wird weitere Millionen verschlingen. Bis sich die Investitionen endlich lohnen werden, wenn sie es denn tun, wird es noch einige Jahre dauern.  

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