Theodor Weimer im Interview "Banken müssen pleite gehen können"

Theodor Weimer, Chef der HypoVereinsbank, über Lehren aus der Krise, die Kreditklemme und Fehler bei der Anlageberatung.

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HypoVereinsbank-Chef Theodor Weimer Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Weimer, was vor zwei Jahren mit Problemen auf dem US-Immobilienmarkt begann, hat sich zur schwersten Wirtschaftskrise seit 70 Jahren entwickelt. Ist endlich ein Ende in Sicht?

Weimer: Ich fürchte, nein. Wir haben zwar die Phase hinter uns, in der das Vertrauen unter den Banken durch die Lehman-Pleite so zerstört war, dass sie sich gegenseitig kein Geld mehr geliehen haben. Aber nun wird die Realwirtschaft mit voller Wucht von der Krise erfasst. Die Zahl der Arbeitslosen wird nach unserer Erwartung ihren Höhepunkt frühestens Ende 2010 erreichen, die Zahl der Insolvenzen wird deutlich steigen. Auch wenn wir gegenwärtig so etwas wie einen Boden sehen, wird es noch lange dauern, bis wir wieder das Niveau von 2007 erreichen.

Müssen wir auch mit weiteren Schreckensnachrichten aus dem Finanzsektor rechnen?

Sehen Sie sich die Anatomie der Krise an, die ihren Anfang in den USA genommen hat. Es war enorm viel Liquidität auf dem Markt, die Verschuldung der Unternehmen ist wegen der niedrigen Zinsen stark gestiegen, es wurden exzessiv Kredite vergeben. Nun erleben wir einen dramatischen Einbruch der Wirtschaft und der Nachfrage. Es besteht deshalb die Gefahr, dass viele Unternehmen die Kredite, die im Vertrauen auf eine weiter steigende Nachfrage vergeben wurden, nicht mehr bedienen können. Die Risikovorsorge bei den Banken wird sich im zweiten Halbjahr 2009 und 2010 deutlich erhöhen. Auch bei strukturierten Wertpapieren können wir weitere Abwertungen nicht ausschließen.

Werden die Banken Stellen abbauen?

Wir und auch andere Institute haben die Kapazitäten im Investmentbanking schon kräftig reduziert. Wir müssen nun uns darauf einstellen, dass die Erträge strukturell niedriger sein werden – die Banken werden mit straffem Kostenmanagement gegensteuern müssen. Dazu gibt es keine Alternative.

Wie läuft das Geschäft derzeit?

Nach einem ordentlichen ersten Quartal lief es auch im zweiten Quartal nicht so schlecht. Die Situation an den Finanzmärkten hat sich ein wenig entspannt, und das Kapitalmarktgeschäft ist wieder angesprungen. Aber wir dürfen uns nicht täuschen. Das Geschäft wird nur von einigen wenigen Bereichen – vor allem dem Handel – getragen. Wir sind noch weit entfernt von einer ausgewogenen Erholung.

Vergeben die Banken deshalb weniger Kredite?

Dass wir keine Kredite vergeben und wir uns in einer Kreditklemme befinden, stimmt so einfach nicht und wird auch durch ständiges Wiederholen nicht richtiger. Fakt ist, dass die Wirtschaft dieses Jahr wohl um sechs Prozent schrumpft, das Volumen der vergebenen Kredite in Deutschland aber steigt. Viele Banken, auch die HypoVereinsbank, haben ihr Kreditvolumen weiter erhöht. Richtig ist, dass es für die Unternehmen schwieriger geworden ist, Kredite zu erhalten, insbesondere zu den bisherigen Konditionen. Ausländische Banken ziehen sich zurück, Kredite werden teurer, weil die Refinanzierungskosten und die Risiken für die Banken steigen. Außerdem müssen die Kredite mit mehr Eigenkapital unterlegt werden, wenn sich das Rating eines Unternehmens verschlechtert. Aber es gibt auch positive Signale. Die Notenbanken versorgen die Banken derzeit mit sehr viel Liquidität...

...die sie aber nicht weitergeben, sondern lieber sicher anlegen...

Das mag in Einzelfällen vorkommen, und hier muss gegengesteuert werden. Das eigentliche Problem liegt aber darin, dass sich die Kreditwürdigkeit vieler Unternehmen deutlich verschlechtert. Wenn ein Unternehmer heute meint, er könnte in acht oder zehn Monaten wieder das Niveau von 2007 erreichen, während seine Auftragseingänge um 30 oder 40 Prozent eingebrochen sind, ist es nur richtig, wenn wir bei der Kreditvergabe genauer hinschauen. Man kann uns nicht erst vorwerfen, dass sie Kredite zu leichtfertig vergeben haben, und dann genau das fordern. Wir Banker sind uns unserer volkswirtschaftlichen Verantwortung sehr wohl bewusst und werden uns ihr nicht entziehen. Noch nie haben Banken untereinander so intensiv darüber diskutiert, wie sie einzelnen Unternehmen helfen können. Für unser Haus gilt nach wie vor, dass jedes kreditwürdige Unternehmen einen Kredit bekommt. Und wir sind bereit, „kreditwürdig“ derzeit großzügig zu definieren.

Das sehen die Politiker offenbar anders. Sonst würden sie nicht damit drohen, dass der Bund bald selbst Kredite vergibt.

Bundesbankpräsident Axel Weber hat klargestellt, dass das Bankensystem seine Aufgaben erfüllt und die Bundesbank derzeit keine Kreditklemme sieht. Deshalb muss die Regierung auch nicht über ein solches Vorgehen nachdenken. Das kann nicht die Lösung sein, und dazu wird es nicht kommen. Auch dank des entschiedenen Handelns des Bundes verfügen wir weiter über ein stabiles, funktionierendes Bankensystem.

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