Tourismus-Branche Reiseveranstalter nützen Krise zum Angriff auf TUI und Thomas Cook

Am Mittwoch startet die Tourismusmesse ITB. Hinter den Kulissen dürfte es heiß hergehen: Konkurrenten wollen die Krise nutzen, um die Platzhirsche im Tourismus, TUI und Thomas Cook, frontal anzugreifen - die Übernahme eingeschlossen.

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Rewe-Chef Alain Caparros: Der Lebensmittel- und Touristikkonzern greift nach Thomas Cook Quelle: Michael Dannenmann für WirtschaftsWoche

Die Chefs der deutschen Reisebranche wählten ihre Worte und Speisen mit Bedacht, als sie sich an Aschermittwoch im hessischen Kelsterbach trafen. Die Fluggesellschaft Condor hatte zum traditionellen Fischessen nach Karneval in die Nähe des Frankfurter Flughafens geladen. Statt Krabbencocktails und Hummer gab es Heringssalat, auf Fragen nach der Befindlichkeit nur Ironie: „Privat geht es mir gut.“

Touristiker feiern sich ihren Frust gern vom Leib, miese Laune passt nicht in das Weltbild der Sonnenwochen-Macher. Doch diesmal wird die aufgesetzte gute Stimmung nicht weit tragen. Die Buchungen für das Sommergeschäft sind im Vergleich zum Vorjahr teilweise zweistellig gefallen. Die Reisebüros, Veranstalter und Fluggesellschaften sehen sich jetzt auch noch vor einem Hauen und Stechen ungekannten Ausmaßes. „Der Preiskampf wird kommen“, sagt Tourismus-Experte Karl Born von der Hochschule Harz. Und nicht nur das. Der Branche droht auch ein Kampf um Marktanteile, wie es ihn seit Jahren nicht mehr gegeben hat — bislang sind die Anteile nahezu zementiert.

Branchen-Platzhirschen stehen harte Wochen bevor

Denken die Deutschen nicht noch um und entschließen sich in den kommenden Wochen doch noch verstärkt trotz Krise zu verreisen, werden sie die hiesige Tourismusbranche kräftig durcheinanderwirbeln. Nummer eins TUI und Nummer zwei Thomas Cook müssen fürchten, erkleckliches Geschäft an die kleineren Konkurrenten zu verlieren. „Notfalls verzichte ich auf ein bis zwei Prozent Marktanteil, um das Ergebnis zu halten“, gesteht TUI-Deutschland-Chef Volker Böttcher schon mal vorsorglich (mehr dazu im Interview auf wiwo.de). Bereits im vergangenen Jahr akzeptierte der Manager einen Gästerückgang zugunsten der Rendite — doch der Druck wird größer.

Der kommt nun vor allem aus Köln. Denn der Lebensmittel- und Touristikkonzern Rewe erwägt einen Paukenschlag im Kampf um Marktanteile. Vorstandschef Alain Caparros bekundete offen sein Interesse am Konkurrenten Thomas Cook, der derzeit unter dem Dach des Warenhaus-Konzerns Arcandor (ehemals KarstadtQuelle) zu Hause ist. Aus Rewe-Vorstandskreisen war vor wenigen Tagen offiziell zu hören: „Unsere Touristiksparte und Thomas Cook würden gut zusammenpassen.“ Der weltweite Umsatz läge dann auf Anhieb bei 14,5 Milliarden Euro — und damit dicht hinter TUI. Zwar stehe ein Unternehmensverkauf derzeit nicht auf der Agenda, heißt es bei Arcandor. Doch Experten halten das noch dieses Jahr für möglich. Arcandor braucht dringend frisches Kapital für das defizitäre Warenhausgeschäft. Ein Notverkauf wäre eine Alternative.

Mittelständische Anbieter wollen aus dem Schatten treten

Auch ohne Zukauf gilt der genossenschaftlich organisierte Rewe-Konzern derzeit als aggressivster Spieler im Markt. Weil der Touristikumsatz in einigen Regionen in Süd- und Norddeutschland weit hinter den Erwartungen zurückliegt, bläst Rembert Euling, seit rund einem Jahr Chef des Pauschalreiseanbieters Rewe Touristik, zur Aufholjagd. „Dort bieten wir mehr Reisen zu sehr attraktiven Preise an.“ Weil Euling keine Aktionäre im Nacken sitzen hat, darf im Kampf um Marktanteile die Rendite auch mal etwas geringer ausfallen (mehr dazu im Interview auf wiwo.de).

Gleichzeitig werden in der Krise die Anbieter aus der zweiten und dritten Reihe versuchen, endgültig aus dem Schatten der Großen zu treten – beispielsweise Öger Tours, die Nummer sechs im Markt. 97 Prozent der Umsätze des Hamburger Unternehmens kommen aus dem Türkei-Geschäft. Das Land am Bosporus ist der eindeutige Krisengewinner, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt und die Hotels in der Regel All Inclusive bieten, was in Zeiten klammer Kassen das Urlaubsbudget der Gäste schont.

Auch FTI Frosch Touristik aus München prescht vor. „Wir wollen in einigen Zielgebieten unsere Marktanteile ausbauen“, sagt Geschäftsführer Boris Raoul. Die Bayern engagieren sich gern in Regionen stärker, aus denen sich Wettbewerber zurückziehen – zum Beispiel nach den Terroranschlägen aus Sri Lanka oder nach der Vogelgrippe aus der Türkei. „Da konnten wir unsere Position ausbauen“, sagt Raoul. „Die Hoteliers vor Ort merken sich das und bieten uns später bessere Konditionen.“ Jetzt stürzt sich FTI auf die arabischen Emirate. Vor allem Reisen nach Dubai wolle das Unternehmen verstärkt bewerben.

Katastrophen-Stimmung in der Tourismus-Branche

Marktanteile der Touristikkonzerne in Deutschland

Die globale Rezession trifft die Tourismusindustrie härter als alle Krisen zuvor, die Kunden sind zutiefst verunsichert. „So viel Ratlosigkeit hatten wir seit 25 Jahren noch nicht“, sagt Ulrich Reinhardt von der BAT Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Jeder Dritte wisse noch nicht, ob er verreisen wird und kann. Ein Jahr zuvor lag dieser Wert bei nur acht Prozent. „Wir wissen aus Erfahrung, dass höchstens ein Drittel dieser Unentschlossenen doch noch Ja zum Urlaub sagt.“ Wirtschaftliche Krisen wirken zudem schlimmer und nachhaltiger als Terror, Vogelgrippe oder Golfkrieg. „Das Reisen an sich wird eher infrage gestellt.“ Die alte Erfolgsformel ,Am Urlaub wird zuallerletzt gespart‘ stehe „vor ihrer großen Bewährungsprobe“.

Zwar versucht wenige Tage vor Beginn der Internationalen Tourismusbörse am kommenden Mittwoch in Berlin der Deutsche Reiseverband das düstere Bild aufzuhellen: Urlaub stehe dieses Jahr „hoch im Kurs“, die Mehrheit der Deutschen wolle auch 2009 wieder verreisen. Doch ob sie es tatsächlich tun, ist zweifelhaft.

Beim Marktführer TUI war der Januar — traditionell der stärkste Monat im Jahr — eine Katastrophe. Die Hannoveraner verkündeten elf Prozent weniger Buchungen für die ersten drei Wochen des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch wenn sich die Situation „etwas verbessert“ habe, sagt TUI-Manager Böttcher, könne er Entwarnung „nicht geben“ (mehr dazu im Interview auf wiwo.de).

Den Wettbewerbern geht es kaum besser. Thomas Cook meldete für Januar ein zweistelliges prozentuales Minus. Alltours verbucht bis heute rund zehn Prozent weniger Gäste. Rewe Touristik blieb mit seinen Marken ITS, Jahn und Tjaereborg im Januar „deutlich“ und im Februar „leicht unter Vorjahr“, sagt Euling. Bei FTI, dem Aufsteiger 2008, stand im Januar ein Minus von 15 Prozent, danach habe es zumindest „merklich angezogen“, sagt FTI-Chef Raoul.

Reiseveranstalter fahren harten Sparkurs

Alle namhaften Veranstalter haben daraufhin ihre Kapazitäten für das Sommergeschäft erheblich reduziert. Der Duisburger Reiseanbieter Alltours etwa hat rund 15 Prozent der georderten Flugsitzplätze und Hotelbetten zurückgegeben. Das ist möglich, weil Veranstalter am Anfang einer Saison den Airlines und Hoteliers die Abnahme von Kontingenten nur zum Teil garantieren. Ein Großteil wird gebucht, kann aber storniert werden. Ganz ohne Kosten ist aber auch das nicht möglich.

Firmenchef Verhuven setzt daher den Rotstift an, wo es nur geht. Die Ausgaben für Werbung werden um 3,5 Millionen Euro eingestampft und die Kataloge abgespeckt. „Es kommt alles auf den Prüfstand“, sagt Verhuven – „auch sozial unattraktive Entscheidungen“. Für das laufende Geschäft brauche er 100 Reiseleiter und Animateure weniger. Das will er ohne Entlassungen hinbekommen, indem er beispielsweise befristete Verträge auslaufen lässt. (mehr dazu im Interview auf wiwo.de)

Marktführer TUI steht vor noch härteren Einschnitten. Wie die WirtschaftsWoche aus Unternehmenskreisen erfuhr, konkretisiert TUI Deutschland bereits Pläne für Kurzarbeit ab Mai. „Das wird kommen, wenn der Markt sich nicht erholt“, heißt es intern. Bis dahin wolle das Unternehmen alle Überstunden der Belegschaft auf null reduzieren. Unklar ist, ob nur Teilbereiche wie Vertrieb und Callcenter kurzarbeiten sollen oder alle Abteilungen. Favorisiert wird jedoch Kurzarbeit für alle 1600 Mitarbeiter. TUI wolle  „keine Zwei-Klassen-Gesellschaft“, heißt es. Der Plan sieht vor, drei bis vier Monate Kurzarbeit anzuordnen, die innerhalb eines längerfristigen Zeitraumes von mindestens einem halben Jahr umgesetzt werden müssten. TUI-Deutschland-Chef Böttcher wollte sich dazu nicht äußern.

Gleichzeitig sind die Vorboten des Preiskampfes unübersehbar. Die meisten Veranstalter verlängerten ihre Frühbucherrabatte bis in den März und ließen sich bunte Lockvögel einfallen: TUI lässt 10.000 Kinder kostenlos mit in den Urlaub fahren und gewährt in 44 Hotels einen Preisnachlass von 200 Euro pro Person und Aufenthalt. Thomas Cook schenkt den eigenen Verkäufern einen Extra-Bonus von drei Prozent, wenn die verkaufte Urlaubsreise noch im März beginnt. Rewe Touristik erhöht die Provision für Reisebüros um ein halbes Prozent — bis zu einem Umsatz von 100 Millionen Euro.

Noch tun die Rabatte den Unternehmen nicht weh. Leidtragende sind insbesondere die Hoteliers in den Zielgebieten – allen voran die griechischen. Sie klagen über einen Gästerückgang von bis zu 30 Prozent. Das Problem von Kreta über Mykonos bis Rhodos: Die überwiegend in Familienhand geführten Hotels sind teuer, bieten meist mäßige Qualität und leiden unter traditionell hohen Flugpreisen. Auch die Kanaren bieten nur ein mäßiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Nun wird nachverhandelt. „Wir können die Hotelbetten preiswerter einkaufen und geben die Ersparnis über Frühbucherrabatte weiter an den Kunden“, sagt Böttcher. „Das belastet unsere Marge nicht.“

Branche fürchtet neue Preissenkungs-Runde

Anzahl der Reisende von 2007 und 2008

Zumindest noch nicht. Die Zeit läuft eher gegen die Touristiker. Bleiben die Buchungen weiterhin auf niedrigem Niveau, könnten die Preise weiter purzeln. Dann droht eine Phase der jahrelangen Preisflaute, so wie 2001 nach den Terroranschlägen auf die Türme des World Trade Centers: Im kollektiven Schrecken kappten nahezu alle deutschen Reiseveranstalter die Preise um zweistellige Prozentsätze. Das niedrige Preisniveau hielt sich hartnäckig in den nachfolgenden drei Jahren. Das hat „den Markt kaputt gemacht“, sagt Markus Heller, Chef der Münchner Beratung Fried & Partner.

Mit Argusaugen beobachten sich die Manager der Branche gegenseitig, wer mit der eigentlichen Preissenkung beginnt. Dann „ziehen wir sofort nach“, sagt Rewe-Touristik-Chef Euling. Vor allem Alltours-Chef Verhuven steht im Ruf, den Anfang zu machen. Bislang gibt er sich zahm: „Es reicht, wenn wir über den Nachfragerückgang Geld verlieren, da muss ich nicht durch Preissenkungen und Extra-Werbemaßnahmen zusätzliches Geld verlieren.“

TUI und Thomas Cook trifft Krise doppelt

Die inhabergeführten Touristikunternehmen haben einen Vorteil gegenüber den Aktiengesellschaften: Sie können schneller agieren als TUI und die Arcandor-Tochter Thomas Cook  — und schleppen keine kapitalintensiven Töchter mit sich herum. Die beiden Marktführer trifft die Krise gleich dreifach oder zumindest doppelt: Sie besitzen mit Tuifly und Condor jeweils eine Fluggesellschaft. Zudem verfügt TUI über etliche Hotels in den Urlaubsgebieten. Zwar verweist TUI-Manager Böttcher darauf, dass er die Häuser „so gut wie immer voll“ kriegt. Dennoch ist der Druck auf die Konzerne aufgrund der langen Wertschöpfungsketten mit Flug und Hotel ungleich höher.

„Andererseits ist ein Veranstalter wie Alltours mit seinen mehrjährigen Pachtverträgen bei seinen wichtigsten Hotels in einer ähnlichen Situation, zumindest was seine Hotelverpflichtungen betrifft“, sagt Experte Born. Gewinner werden jene Veranstalter sein, die sich „am schnellsten von Kapazitätsteilen trennen können“, so Born. „Ob das die Kleinen mit Schnelligkeit oder die Großen mit ihrer Marktpower sein werden, bleibt abzuwarten.“

Für Ostern hat sich Alltours-Chef Verhuven jedenfalls etwas Besonderes einfallen lassen. Ab Düsseldorf und Köln setzt er zehn Sondermaschinen ein, die Alltours-Gäste exklusiv auf die Kanaren, nach Mallorca und in die Türkei befördern — und teilweise wieder leer zurückfliegen. So will Verhuven frei verfügbare Kapazität schneller an den Mann und die Frau bringen, um nicht „im Last-Minute-Geschäft Geld zu verlieren“.

2009 wird Jahr der Besonders-spät-Bucher

Café im Pariser Stadtteil Marais Quelle: Laif

Ganz abkoppeln kann sich davon jedoch kein Anbieter. 2009 wird ein Jahr der Buchung in letzter Sekunde. Darüber freut sich Last-Minute-Spezialist L’Tur aus Baden-Baden. Schon nach dem 11. September 2001 folgten die besten Monate der Firmengeschichte. Seit Oktober 2008 bis heute sind schon wieder sechs Prozent mehr Buchungen als im Vorjahr eingegangen. Der Erfolg macht mutig. Im Internet bietet L’Tur seit Kurzem einen selbstbewussten Preisvergleich an. Alle Last-Minute-Reisen werden auf Knopfdruck mit Wettbewerbern verglichen — gegebenenfalls geht der Kunde dann spontan zur Konkurrenz.

Branche hofft auf Umdenken bei Kunden

Insgeheim hoffen die Veranstalter aber auf einen „Paradigmenwechsel bei den Konsumenten“, wie Rewe-Touristiker Euling das nennt. Früher war bis Ende Februar das Gros der Sommerbuchungen im Kasten — die Monate März und April nur noch Kosmetik. Wäre das auch heute der Fall, könnten die Unternehmen 2009 abschreiben. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Der deutsche Urlauber entscheide sich dieses Jahr etwas später. „Es gibt keinen generellen Konsumverzicht“, sagt Euling. „Die Reiseweltmeister stehen in ihren Startlöchern“. Sein Indiz: „Die ersten Tage im März laufen überproportional gut.“  

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