Tourismus Deutsche machen Urlaub im eigenen Land

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Die Probleme, in dem Wachstumsmarkt vor der Haustür Fuß zu fassen, haben sich die Reiseveranstalter größtenteils selbst zuzuschreiben. Denn ihre Rolle sei bis heute „zwiespältig“, sagt Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. Zwar witterten die meisten von ihnen das Geschäft, doch hätten sie die Privatanreisenden bislang „kaum bis gar nicht interessiert“.

Der Grund:  Die hohen Margen verdienen die Unternehmen mit Auslandsreisen. Hier sind die Wertschöpfungsketten so lang und die Preise so intransparent, dass sich an vielen Stellen die Euro herausschlagen lassen – angefangen vom Flug über die Reisebetreuung bis zu Hotelzimmern und die Extras am Urlaubsort. Dagegen wirkt das Geschäft in Deutschland mit der Übernachtung hier und der Anreise dort kleinteilig, mühsam und wenig einträglich. Anbieter wie Alltours aus Duisburg oder Frosch Touristik (FTI) aus München verzichten deswegen sogar ganz auf das Angebot von Deutschland-Reisen.

Verstärkt wird die Zurückhaltung der Branche durch die Passivität der Reisebüros. Denn auch die wollen in erster Linie Pauschalreisen an den Kunden bringen. Der Deutschland-Urlaub friste „ein Mauerblümchendasein“, sagt Martin Katz, Geschäftsführer bei der Deutsche-Bahn-Tochter Ameropa und Leiter des Ausschusses Deutschland-Tourismus im Deutschen Reiseverband. Das Geschäft in den eigenen Gefilden mache allenfalls einen kleinen einstelligen Prozentsatz des Gesamtumsatzes aus, die Angebote in den Katalogen umfassten nur 5000 Seiten, also rund fünf Prozent des Gesamtangebots. Insgesamt, kritisiert Katz, messen die In-haber der Reisebüros dem Thema „keine strategische Bedeutung bei“, vielfach kenne das Personal Spanien und die Malediven besser als Brandenburg und Schleswig-Holstein.

Die Folgen für die Branche sind erschreckend: Nur rund zehn Prozent der Deutschen, die im eigenen Land einen längeren Urlaub machen, buchen ihre Reise über ein Reisebüro. 90 Prozent organisieren sich den Trip über Direktbuchungen, ob Reise oder Hotel, lieber privat. Der Grund: Das Misstrauen gegenüber Reisebüros ist groß. Ihnen traut keiner bessere Angebote als eine Direktbuchung zu. Hier gäbe es also viel zu holen für die notorisch notleidenden Reisebüros. Doch Kreativität und Innovationen gehörten noch nie zu den Stärken der Branche insgesamt.

Deutschland hat bestes Tourismus-Markenimage weltweit

Dabei ist das Potenzial gewaltig. Denn der Wertewandel im Tourismus geht tief, glaubt Experte Zellmann. In den Neunzigerjahren galt ein Fernziel noch als Statussymbol. Heute hingegen nehmen die Deutschen ihre Heimat als „echte und ernsthafte Alternative für ferne Destinationen wahr“, sagt Zellmann, auch deshalb, weil viele schon einmal in Thailand, Südafrika oder auf den Malediven gewesen sind. Zudem würden die Deutschen älter und suchten „qualitativ hochwertige Angebote“, die „ihren Alltag ergänzen“. Der Anteil dieser „Komplementärurlauber“ nehme zu und erfordere neue Angebote gehobener Apartments inmitten der Natur mit Wellness und regionaler Küche.

Auch im Weltmaßstab zählt Deutschland inzwischen zu den Top-Zielen und rangiert hinter der Schweiz und Österreich auf Platz drei der attraktivsten Reise- und Tourismusstandorte. Das zeigen Erhebungen der Unternehmensberatung Booz & Co und des World Economic Forum. Das hervorragende Straßen- und Schienennetz, nachhaltige Umweltstandards und ein hohes Maß an Sicherheit ziehen jedes Jahr zig-millionen Touristen an. Zum Beispiel buchen Holländer rund neun Millionen Übernachtungen in Deutschland pro Jahr, Amerikaner viereinhalb Millionen und Russen mehr als eine Million.

Der Anholt-GfK Nation Brands Index, der vom Nürnberger Marktforschungsinstitut GfK jedes Jahr erhoben wird und Aspekte wie Export, Kultur, Menschen sowie Tourismus bewertet, attestiert Deutschland sogar das beste Markenimage aller Nationen. Seit 2002 wächst die Zahl ausländischer Gäste jährlich um rund drei bis fast zehn Prozent. Seit 2004 wächst der Tourismus in Deutschland sogar dynamischer als im europäischen Schnitt, so der „World Travel Monitor“ der Münchner Beratung IPK International. Laut Booz machen Übernachtungen, Verkehrsleistungen, Eintrittsgelder und sonstige Konsumausgaben der Touristen inzwischen 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Und jetzt könnte auch noch die Wirtschaftskrise der Lust der Deutschen auf Urlaub im eigenen Land Auftrieb geben. Zwar dürften in diesem Jahr weniger Zweit- und Dritturlaube gebucht werden. Doch bei der Hauptreise könnten die Regionen von Aachen bis Zwickau und Flensburg bis Garmisch-Patenkirchen profitieren. Denn – nicht zuletzt durch die kurze Anreise – schlägt Deutschland beim Preis-Leistungs-Verhältnis locker so manches wichtige Ferienland. Die Kosten für Anreise, Unterkunft, Essen und Ausflüge summieren sich laut Stiftung für Zukunftsfragen auf rund 73 Euro pro Tag und Person. Bestimmte Regionen wie die Nordsee oder ostdeutsche Regionen liegen sogar weit darunter. Damit ist das Preisniveau weit niedriger als der weltweite Durchschnitt in Höhe von 81 Euro. Beliebte Destinationen wie Spanien, Italien und Griechenland sind durchweg teurer.

Vor diesem Hintergrund erscheinen Projekte wie die touristische Aufrüstung des Nürburgrings nur logisch. Auch anderswo haben öffentliche und private Investoren gigantische Investitionsprojekte angeschoben. Was Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl 1993 als Seitenhieb gegen die allgemeine Wochenarbeitszeitverkürzung verstand, wird nun tatsächlich der „kollektive Freizeitpark“ Deutschland – nur anders, als der Pfälzer sich das dachte

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