Unternehmensspionage "Eine Grenze überschritten"

Sicherheitsexperte Thorsten Mehles, der Vorstandschef der Sicherheitsberatung Prevent, über den Boom der Unternehmensspionage.

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Thorsten Mehles, Vorstandschef von Prevent

WirtschaftsWoche: Herr Mehles, in der Krise wächst der Druck auf die Unternehmen, Neues zu entwickeln. Haben Wirtschaftsspione jetzt Hochkonjunktur?

Mehles: Wirtschaftskrisen sind ein idealer Nährboden für Konkurrenzspionage, viele handeln dann aus einer vermeintlichen Notlage heraus nach der Philosophie: Der Zweck heiligt die Mittel. Hinzu kommt, dass wir in Deutschland viele technische Innovationen haben. Das zieht natürlich Spione an. Dabei unterscheiden wir grundsätzlich zwischen der Wirtschaftsspionage, die von einem ausländischen Nachrichtendienst ausgeht, und der Konkurrenzspionage, die von einem Wettbewerber ausgeht.

Was heißt das für das ausspionierte Unternehmen?

Wenn es darum geht, wie es sich am effektivsten schützen kann, ist die Differenzierung sehr wichtig. Staatlich gelenkte Wirtschaftsspionage ist oftmals sehr viel professioneller als situativ ausgelöste Konkurrenzspionage.

Woher kommen die meisten Angriffe?

Es gibt eine offensichtliche Häufung von Spionage aus den Regionen Russland und China. Es ist aber schwierig, festzustellen, wer letztlich hinter einem Spionageangriff steckt.

Auch westliche Geheimdienste?

Wirtschaftsspionage wird natürlich auch von westlichen Geheimdiensten initiiert.

Und deutsche Firmen spionieren auch deutsche Firmen aus?

Auch innerdeutsche Konkurrenzspionage ist feststellbar, auch Spionage innerhalb Westeuropas.

Sie selbst helfen Unternehmen bei der Vorbeugung und bei der Aufklärung. Aber gibt es auch professionelle Spione, die Firmen ihre Dienste anbieten?

Ja, es gibt solche Dienstleister. Sie sind vor allem in Osteuropa, in Russland anzutreffen, haben früher oft für staatliche Nachrichtendienste gearbeitet und ihren Job verloren, als diese nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihr Personal stark reduzierten.

Es gibt aber auch noch den klassischen Fall, wo Mitarbeiter ihr Unternehmen im Auftrag eines Konkurrenten ausspähen?

Ja, es wird immer wieder versucht, Mitarbeiter zu korrumpieren. Das passiert zu Beginn oftmals unauffällig. Da wird zum Beispiel einem, der 50.000 Euro im Jahr verdient, eine mit 100.000 Euro dotierte Aufgabe offeriert. Das ist ja noch nicht strafbar. Wenn der Mitarbeiter dann den Arbeitgeber wechselt, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem sein Wissen abgeschöpft werden soll, das er bei seinem früheren Arbeitgeber erworben hat.

Wie werden Mitarbeiter noch angeworben?

Es gibt auch das langsame, behutsame Aufbauen eines Kontaktes, um Abhängigkeiten zu schaffen, die auf den ersten Blick unspektakulär sind.

Zum Beispiel?

Die Mitarbeiterin eines Unternehmens wurde im Hotel von einer anderen Dame angesprochen, die scheinbar zufällig dasselbe Essen bestellt hatte. Sie kamen ins Gespräch und verabredeten, sich gegenseitig zu informieren, wenn sie wieder in derselben Stadt sind. Nach Monaten entwickelte sich aus dem Kontakt eine Freundschaft, die Mitarbeiterin wurde in die Oper eingeladen, zu anderen Veranstaltungen, zu Urlaubsfahrten und ins Ferienhaus, ohne je dafür zu bezahlen. Anderthalb Jahre später kam die erste Forderung: Sie solle firmeninterne Informationen besorgen. Da hatte die Frau keine Wahl mehr, sie war erpressbar geworden, sie hatte eine Grenze überschritten.

Wo verläuft die Grenze?

Wenn ich einen Kaffee annehme, verliere ich nicht meine Unabhängigkeit. Aber wenn ich Karten für die Oper in Verona samt Flug und toller Übernachtung annehme oder Tickets für ein Spitzenturnier, muss ich mindestens zwei Fragen stellen: Kann ich danach noch unabhängig entscheiden? Und wie wirkt das, wenn es im Unternehmen bekannt wird? Der beste Schutz ist Transparenz: Kommunizieren Sie im Unternehmen, was Ihnen angeboten wurde. Dann sind Sie für die Spionage schnell uninteressant.

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