Unternehmer Philipp Merckle sorgt für Ärger

Nach dem Freitod seines Vaters Adolf inszeniert sich Philipp Merckle zunehmend als ethischer Unternehmer. In Wirklichkeit sorgt er fast nur für Ärger.

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Philipp Merckle, der ehemalige Chef von Ratiopharm

An diesem Montagabend sitzt Philipp Merckle wahrscheinlich neben Iris Berben. Beide sind, so der Plan, am 18. Mai zu Gast bei „Beckmann“. Die Schauspielerin redet in der ARD-Talksendung darüber, wie Frauen die Welt bewegen. Unternehmer Merckle wird erklären, wie er die Welt und die Wirtschaft verbessern will.

Der 42-Jährige - mit offenem Hemdkragen, die Krawatte locker um den Hals gebunden – strebt ins Fernsehen und vor Publikum. Er hat Anfragen von „Anne Will“ und vom „Nachtcafé“ des SWR. Kurz nach dem geplanten Auftritt bei „Beckmann“ präsentiert er seine Stiftung „World in Balance“, die soziale Projekte unterstützt, auf dem Evangelischen Kirchentag in Bremen. Für den 10. Juni lädt er Interessierte und Förderer zur Schiffstour und Informationsveranstaltung auf dem Berliner Wannsee ein – als Gastredner ist der frühere CDU-Generalsekretär und Bundesfamilienminister Heiner Geißler an Bord.

Philipp Merckle hat eine einfache Botschaft: Er will es besser machen als sein Vater Adolf, dem Unternehmen wie Ratiopharm, der Pharmagroßhändler Phoenix und HeidelbergCement gehörten – und der Anfang Januar Selbstmord beging, nachdem er sich heillos verspekuliert hatte. Dem Alten, so der Tenor, sei es nur um Größe, Gewinn und Marktanteile gegangen. Sein zweitältester Sohn Philipp hat höhere Ziele. Er will die Wirtschaft zum Besseren verändern, will in seinen Unternehmen Werte wie Ethik, Vertrauen, Menschlichkeit und Glaubwürdigkeit vorleben. Er, das sollen in den kommenden Wochen alle erfahren, ist der Sensible, der Nachdenkliche, der nur Gutes tut.

Statt Glück und Harmonie produziert Philipp Merckle jede Menge Ärger

Nur – die Praxis ergibt ein ganz anderes Bild. Statt Glück und Harmonie produziert Philipp Merckle jede Menge Ärger. In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat er für jede Menge Zoff gesorgt. Vielen Zeitgenossen gilt er als rechthaberisch und unbelehrbar. In seinen Unternehmen regiert der Frust, ob früher beim Pillenhersteller Ratiopharm oder jetzt beim bayrischen Textilunternehmen Gruschwitz. Mit wichtigen Weggefährten wie seinem früheren Berater und ehemaligem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU) oder dem Afrika-Spendensammler Karlheinz Böhm hat er sich überworfen.

Der Vater von fünf Kindern merkt kaum, wie wenig er so seinem Anspruch gerecht wird, für mehr Menschlichkeit zu sorgen. Seine Ziele sind dabei sehr ehrenwert – in Zeiten blinder Gier und allgegenwärtiger Korruptions- und Spitzelskandale versucht es Merckle mit einer neuen Ethik.

Bei Ratiopharm wollte er vor drei Jahren mit dubiosen Vertriebspraktiken – Gratispackungen und Geschenken für Ärzte – Schluss machen. Doch er scheiterte auch daran, die Mitarbeiter für seine Ziele einzunehmen. Seine Manager schalteten schnell ab, wenn er abgehoben über Oikos (die Hausgemeinschaft im antiken Griechenland) oder Stil und Präzision als Führungsprinzipien schwadronierte.

Der propagierte kollegiale Führungsstil blieb Theorie, nur Philipp Merckle bestimmte, wo es langgehen sollte. Wie im Mittelalter gehe es unter ihm zu, Widerspruch und eigene Meinung seien nicht gefragt, klagten ranghohe Angestellte. Etliche Führungskräfte verließen das Unternehmen. „Zu Ratiopharm geht man nicht, von Ratiopharm kommt man“, spotteten die Personalberater. Das eigentliche Geschäft vernachlässigte der Unternehmerspross. Als die Marktanteile immer weiter zurückgingen, setzte Vater Adolf seinem eigenen Sohn im Frühjahr 2008 bei Ratiopharm den Stuhl vor die Tür.

Dissens in der Familie

Auch seine Geschwister, insbesondere seinen älteren Bruder Ludwig, vergrätzte Philipp immer mehr. „Mein Bruder meinte, wenn ich was ändern wollte, würde ich ja zugleich der Familie vorwerfen, in der Vergangenheit Fehler gemacht zu haben“, entblößte er Ludwig kürzlich in der Presse.

Philipp Merckle selbst zog sich immer weiter aus den Beteiligungen der Familie zurück. Über eine gemeinsame Gesellschaft, an der auch seine Brüder Ludwig und Tobias und Schwester Jutta beteiligt sind, hält er unvermeidlicherweise allerdings noch Anteile am Pharmagroßhändler Phoenix oder an Heidelberg Cement. In welcher Größenordnung, mag Philipp Merckle nicht sagen. Das Erbe des Vaters tritt Bruder Ludwig alleine an; so hat es die Familie kürzlich beschlossen.

Lothar Späth, heißt es, habe Quelle: dpa

Es wird einsamer um Philipp Merckle. Selbst mit einem seiner wichtigsten Partner auf dem Feld der guten Taten hat sich inzwischen überworfen. Der Ex-Filmstar und Afrika-Spendensammler Karlheinz Böhm tritt nicht mehr für die Stiftung „World in Balance“ auf, die Philipp Merckle während seiner Zeit als Ratiopharm-Chef gründete. Böhm ließ, so der Vorwurf, wohl schnell ein größeres Engagement vermissen – zum Streit kam es dann, als im Frühjahr vergangenen Jahres „World in Balance“ während der ZDF-Spendengala zum 80. Geburtstag von Karlheinz Böhm keine Erwähnung fand.

Unternehmerisch erwies sich Philipp Merckle, der nach dem Ärger mit seinem Vater und den Geschwistern eigene Wege ging, nicht gerade als Vorzeigeunternehmer. Er kaufte sich bei zwei kleineren Firmen ein, um dort seine Vorstellungen von Ethik und Moral in der Wirtschaft zu realisieren. Doch allzu viel herausgekommen ist dabei nicht, wie seine Neuerwerbung, der Faser- und Garnproduzent Gruschwitz in Leutkirch im Allgäu zeigt.

Der Hersteller von High-Tech-Materialien (Umsatz 2008: 29,3 Millionen Euro) leidet zwar auch unter der Automobilkrise – im vergangenen Jahr reduzierte sich der Gewinn von zwei Millionen auf 1,2 Millionen Euro, viele der über Hundert Mitarbeiter arbeiten kurz. Doch die Turbulenzen sind nicht nur Folge der Wirtschaftskrise. Auch Mehrheitsaktionär und Aufsichtsrat Philipp Merckle trägt – mit umstrittenen Personalentscheidungen – offenbar Schuld an der Misere.

Belastetes Verhältnis zum Bruder

Zwölf Millionen Euro hat Philipp Merckle seinem Vater Adolf und seinen Brüdern Ludwig und Tobias für die Aktienmehrheit an Gruschwitz bezahlt, mittlerweile gehören ihm 76 Prozent des Unternehmens. Mit den beiden Managern Manfred Thumm und Marc Lorch fand der neue Mehrheitsgesellschafter jedoch keine gemeinsame Basis, beide galten ihm als Repräsentanten des alten Systems, zumal Thumm noch hauptberuflich für Ratiopharm arbeitete. An Lorch, seit 20 Jahren im Unternehmen und in der Branche geschätzt, missfiel Philipp Merckle vor allem, dass er sich zu sehr an den früheren Eigentümern, insbesondere seinem Bruder, orientiert und nicht mit offenen Karten gespielt habe. Lorch ist sich keiner Schuld bewusst.

Karlheinz Böhm in Äthiopien: Quelle: dpa/dpaweb

Das Verhältnis der Brüder ist spätestens seit dem Ratiopharm-Streit stark belastet. Kurz vor Weihnachten 2008 kündigte Merckle dann Lorch. Den Vertriebsprofi ersetzte er durch den in der Branche eher unbekannten Manager Ditmar Schultschik. „Als Diplomingenieur der Elektrotechnik fehlt Herrn Schultschik die Fachkunde für die Herstellung technischer Garne“, sagt Manuel Diechtierow, Vorstand des Beteiligungsunternehmens Taurus, das immerhin zehn Prozent der Gruschwitz-Aktien hält. Einige Kunden hätten nach der Abberufung von Lorch bereits angekündigt, ihre Geschäftsbeziehungen zu Gruschwitz zu überprüfen – berichtet Diechtierow weiter.

Prominentestes Opfer des Dauerstreits in der Führungsspitze des Textilspezialisten ist Ex-Ministerpräsident Späth, der am 30. September vergangenen Jahres seinen Posten als Aufsichtsratschef aufgab. Der Christdemokrat galt als enger Berater von Philipp Merckle. „Mit Lothar Späth konnte ich Gespräche führen, die ich mit meinem Vater nicht führen konnte“, erinnert er sich, auf Veranstaltungen seiner Stiftung „World in Balance“ war der 71-Jährige ein gern gesehener Gast. Späth habe sich von Philipp Merckle distanziert, heißt es, weil er dessen Bruch mit den alten Gruschwitz-Vorständen nicht wollte. Zu seinem Abgang möchte sich Späth selbst allerdings nicht äußern.

Schlechte Stimmung bei Gruschwitz

Dafür eskaliert die schlechte Stimmung jetzt bei Gruschwitz. Die Aktionäre Taurus und Dr. Günther Kast GmbH & Co. KG, die zusammen allerdings nur etwa 15 Prozent der Aktien halten, haben beantragt, das Aufsichtsratsmitglied Philipp Merckle abzuberufen. „Wir haben Angst, dass die Firma gegen die Wand gefahren wird“, begründet Taurus-Vorstand Diechtierow den Vorstoß. „Ich habe es unterschätzt, wie stark die alten Familienbande bei Gruschwitz noch nachwirken“, sagt Philipp Merckle rückblickend über sein Engagement bei dem Garn- und Faserproduzenten. Natürlich sei er von Späth enttäuscht. „Philipp Merckle liegt zwar mit der alten Riege über Kreuz, aber die Jugend glaubt an ihn“, sagt eine enge Mitarbeiterin. Die Studenten der Universität Innsbruck seien begeistert gewesen, als er dort kürzlich über seine Ziele und Visionen gesprochen habe.

Dort, in Österreich, sorgt der Unternehmer Merckle auch durchaus für positive Schlagzeilen. Am Kärntner Glasfliesenproduzenten Villiglas hält er 41 Prozent der Anteile. Merckle führte dort flexible Arbeitszeiten ein, sodass die etwa 80 Beschäftigten nun frei wählen können, wann sie zwischen sechs Uhr morgens und acht Uhr abends arbeiten.

Positive Erfahrungen

„Ein Unternehmen muss leben“, begründet der neue Eigentümer die neue Freiheit. Merckle ist stolz darauf, dass die Aufträge trotzdem pünktlich abgewickelt werden. Über das neue Arbeitszeitmodell durfte die Belegschaft abstimmen, ihren neuen Produktionsleiter sogar selbst wählen; zudem beförderte Merckle gleich noch eine Sachbearbeiterin zur Projektleiterin.

Von solchen positiven Erfahrungen will er künftig vermehrt berichten. Ungetrübt genießen wird Philipp Merckle seine geplanten Auftritte in den kommenden Wochen allerdings nicht. Morgen, einen Tag nach der „Beckmann“-Sendung, muss er sich nach Leutkirch im Allgäu begeben und sich dort mit Sicherheit unangenehmeren Fragen stellen als im Fernsehen – auf der Aktionärsversammlung von Gruschwitz.

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