USA, Frankreich, Russland, China Wie andere Länder den staatlichen Einfluss handhaben

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Russland: An der Kandare

Die Mächtigen im Kreml hatten nie besondere Scheu, in die Privatwirtschaft einzugreifen, schon gar nicht Wladimir Putin. Der frühere Präsident und heutige Premierminister sieht sich gern als Steuermann, der alles unter Kontrolle hat.

Als die jüngste Rezession über Russland hereinbrach, musste die staatliche Entwicklungsbank VEB in Putins Auftrag die Aktien zahlreicher Privatunternehmen aufkaufen, die wegen massiver Absatzeinbußen in Schieflage geraten waren – darunter der Autohersteller Awtowas, Nickelproduzent Norilsk Nickel und der Aluminiumriese Rusal. Gleichzeitig rettete die ebenfalls staatliche Sberbank im Auftrag des Kreml mehrere mittelgroße Banken. Aus dem Haushalt flossen direkte Subventionen an marode Industriebetriebe.

Die Abmachung hinter den Kulissen war immer die gleiche: Unternehmen bekommen Kapital vom Staat, als Gegenleistung verzichten sie auf Massenentlassungen. Die Rechnung ging auf: Putin gelang es fast in ganz Russland, soziale Unruhen wegen Lohnkürzungen und Massenentlassungen zu vermeiden.

Inzwischen ist die Krise überstanden. Die Nothilfen haben ein tiefes Loch in den Haushalt gerissen, Staatsunternehmen trennen sich mit herben Verlusten von ihren Beteiligungen. Vor allem hat die Krise den Kreml-Oberen aber eines deutlich gemacht: Russland ist zu abhängig von Öl- und Gasexporten.

Seitdem greift eine neue Doktrin: Russland kauft innovative High-Tech-Firmen im In- und Ausland, um daraus mehr oder weniger wettbewerbsfähige Produkte zu machen. In diesem Sinne setzt Putin vor allem Staatskonzerne wie Rostechnologii in Marsch, wo sein früherer Spionagekollege Sergej Tschemesow Regie führt. Im Auftrag des Kreml soll er High-Tech-Unternehmen zukaufen, die Produkte für den globalen Wettbewerb entwickeln – am besten gleich im High-Tech-Park Skolkowo, der derzeit vor den Toren Moskaus entsteht. Dort will der Staat für optimale Forschungsbedingungen, aber auch für eine geringere Steuerlast sorgen.

China: Alle Macht dem Staat

Mit dem Machtwechsel 2002, als Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao den charismatischen Ministerpräsidenten Zhu Rongji ablösten, änderte sich in China die Rolle des Staates. Nach der Privatisierungswelle in den Neunzigerjahren schrieb Hu sich die „harmonische Gesellschaft“ auf die Fahnen. Um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und soziale Unruhen einzudämmen, beschneidet Peking seitdem den Einfluss der Privatunternehmer zugunsten staatlicher, von der Kommunistischen Partei geführter Unternehmen.

Private Unternehmer haben etwa kaum noch Chancen, an legale Bankfinanzierungen zu kommen. Die mehrheitlich staatlichen Kreditinstitute verleihen ihr Geld vornehmlich an Staatsbetriebe. Von den mehr als 1,4 Billionen Dollar an Krediten, die Chinas Banken 2009 zur Stützung der Wirtschaft vergaben, gingen nur zehn Prozent an private Unternehmer. Auch bei vielen formal privaten Unternehmen regiert der Staat in Gestalt lokaler Behördenvertreter mit.

Die Finanzkrise hat den Trend zu mehr Staat noch verstärkt. Vom Konjunkturpaket der Regierung im Umfang von rund 580 Milliarden Dollar haben fast ausschließlich staatseigene Unternehmen profitiert. Die seien „die großen Gewinner der Krise“, sagt ein deutscher Wirtschaftsvertreter in Peking. Monopole würden ausgeweitet, Staatskonzerne drängten die Privaten aus dem Markt.

Die Krise in den USA und Europa hat bei den Machthabern in Peking aber auch zu einem veränderten Blick auf den westlichen Neoliberalismus und Laissez-faire-Stil geführt. „Die Chinesen sind nach der Finanzkrise ernüchtert über den angelsächsischen Kapitalismus“, sagt Ansgar Gerstner, ein langjähriger Chinaexperte, der im Reich der Mitte ausländische und lokale Unternehmen berät. „Jetzt suchen sie nach einem eigenen Weg.“ Bis auf Weiteres heißt dies vor allem, dass der Staat seine Macht über die Wirtschaft ausbaut.

Japan: Eisernes Dreieck

Das Wort „Japan AG“ verrät schon alles: Seit Jahrzehnten bestimmt ein eisernes Dreieck aus Unternehmensvertretern, Parteigrößen und Ministerialbürokraten das Verhältnis Staat/Unternehmen sowie den wirtschaftlichen Kurs Nippons. Auf dem Papier ist die Staatsquote, also wie viel des Erwirtschafteten durch die Hände der öffentlichen Hand geht, mit 35 Prozent niedrig. Doch die Zahl täuscht, weil von der Sozialversicherung im Gegensatz etwa zu Deutschland wenig über quasi-staatliche Institutionen läuft. In Wirklichkeit investiert in Japan nur der Staat in großem Stil, entscheidet eine kleine Elite, wohin die staatlichen Mittel fließen und welche Technologien gefördert werden.

Die japanische Bauindustrie etwa ist so riesig, weil das Land im Zuge der Arbeitsbeschaffung mit Brücken, Straßen und Dämmen zubetoniert wurde. Dank des Staates führt Japan heute in der Robotertechnik, hinkt aber in der Optoelektronik hinterher.

Finanziert werden die überdimensionierten Staatsausgaben meist auf Pump. Die Anleihen kauft die staatliche Post, indem sie die Ersparnisse der Bürger dafür verwendet. So wurde Japans Schuldenberg jedes Jahr höher. Mitte des Jahrzehnts wollte der damalige Premierminister Junichiro Koizumi diesen „Finanzsozialismus“ durch die Privatisierung der Post, wie dies in Deutschland geschah, zerstören. Doch die linksliberale Regierung, die 2009 ins Amt kam, will die Kontrolle über das Unternehmen nicht aufgeben. Der Gang an die Börse wurde verschoben.

Die neuen Mächtigen arbeiten nach altem Muster und entscheiden, welche Wirtschaftszweige blühen sollen, neuerdings sind es Umweltschutz, Gesundheit und Tourismus.

Zwar sollen die Beamten an Macht verlieren und diese an die Politik abtreten. Doch in wenigen Jahren droht dem System der Kollaps: Mit der steigenden Rentnerzahl reichen die Ersparnisse nicht mehr aus, um das Anleihen-Rad weiterzudrehen. Der Staat wird schrumpfen müssen und mit ihm die Möglichkeit, die Wirtschaft zu pampern.

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