Versicherer Ergo droht Stornowelle und Stellenabbau

Die Hamburg-Mannheimer und die KarstadtQuelle-Versicherungen gehen ab Mitte 2010 unter dem Logo ihrer Holding auf Kundenjagd. Wie aus der Verlegenheitslösung Ergo die neue Markenstrategie wurde und was das für die Angestellten und Versicherten bedeutet.

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Holdingname Ergo wird zur Quelle: dpa/dpaweb

Bei den Beschäftigten des Düsseldorfer Versicherungskonzerns Ergo formiert sich Widerstand gegen das geplante Markensterben bei seinen prominentesten Töchtern Victoria und Hamburg-Mannheimer. Der Branchenzweite - hinter dem Allianz-Konzern - mit 17,7 Milliarden Euro Beitragseinnahmen verkauft Lebens- und Sachversicherungen ab Mitte 2010 unter dem bisher eher unbekannten Holdingnamen Ergo.

„Wir glauben, dass diese Wende bei der Mehrmarkenstrategie keinerlei Antworten auf die drängendsten Problemfelder bietet: Wachstum zu schaffen und attraktive Lebensversicherungen anzubieten", rügt Arbeitnehmervertreter Frank Fassin, bei der Gewerkschaft Verdi NRW für Finanzdienstleister zuständig.

Während bei der finanzstärkeren Hamburg-Mannheimer das Neugeschäft unter neuer Flagge weiterläuft, stellt Konzernchef Torsten Oletzky es bei der schwachen Victoria ganz ein. Beide Lebensversicherer verlieren seit Jahren Marktanteile. Als No-Name-Versicherer dürften sie zunächst noch tiefer ins Tal rutschen: „Wir warnen vor einer riesigen Stornowelle in der Gruppe, vor allem bei der Victoria", sagt Fassin, der auch in den Aufsichtsräten von Ergo und ihres Mutterkonzerns Munich Re – ehemals Münchener Rück – sitzt.

Verlegenheitslösung als neue Strategie

Der heutige Namenssieger Ergo war ursprünglich eine Verlegenheitslösung, die im Vertrieb nie eine Rolle spielen sollte: 1997 hatte Münchener-Rück-Chef Hans-Jürgen Schinzler seine Erstversicherer 1997 unter einem Holdingdach zusammengefasst und dieses gemeinsam mit dem designierten Holding-Oberhaupt Edgar Jannott zunächst auf einen Namen mit dem Anfangsbuchstaben „A" taufen wollen. Den kassierten sie jedoch schnell wieder, als klar wurde, dass der Versicherer sich damit in alphabetischen Rennlisten direkt vor der mächtigen Allianz platziert hätte – und die hielt damals eine Überkreuzbeteiligung von einem Viertel der Anteile mit der Münchener Rück. „Ergo brauchen wir einen neuen Namen", soll Schinzler gesagt haben und Jannott auf die Idee gebracht haben: „Ergo – haben wir einen."

Seitdem hat sich der Konzern stets öffentlich zum Markenmix bekannt. Erst die Pleite des namensgleichen Versandhauses Quelle soll den Anstoß gegeben haben, nicht nur seinen Direktversicherer KarstadtQuelle, sondern gleich auch die anderen Versicherer umzubenennen. Nur der Krankenversicherer DKV – mit einverleibtem Victoria-Ableger – und D.A.S. dürfen als Spezialisten unter alter Flagge weiterarbeiten. Insider glauben allerdings: „In einem späteren zweiten Schritt heißen die Unternehmen auch Ergo."

Dem Vernehmen nach hatten die Düsseldorfer schon früher über radikale Einschnitte bei ihren Marken nachgedacht. Damals sollte allein im Vertrieb ein zweistelliger Millionenbetrag gespart werden. Jetzt bangen Konzern-Beschäftigte erneut um ihre Jobs. Obwohl Oletzky fest zugesagt hat, dass keine Kündigungen mit der Ergo-Wende verbunden seien, kursieren in Internetblogs bereits Gerüchte über erneute Stellenstreichungen. Als besonders gefährdet gelten der Vertriebsinnendienst und der angestellte Außendienst.

Oletzky hat gerade erst ein umstrittenes 180-Millionenen-Euro-Sparprogramm abgeschlossen, das 1800 Stellen kostete. Zugleich zwingt ihn die Finanzkrise, die ehrgeizigen Ergo-Ziele zu begraben: Bis 2012 sollte das Beitragsvolumen auf 23 Milliarden Euro steigen und das Ergebnis um rund 90 Prozent auf rund 900 Millionen Euro wachsen. Nun muss er auch noch einen „mittleren zweistelligen Millionenbetrag" für Reklame investieren, um den Namen Ergo salonfähig zu machen. „Damit gibt der Konzern einen großen Teil der mühsam eingesparten Kosten für neue Marken-Werbung aus", beklagt Verdi-Mann Fassin.

Offenbar geht auch das Ergo-Management davon aus, dass erst einmal eine Talfahrt mit zahlreichen Kündigungen bei Victoria Lebensversicherung bevorsteht – zumal Fitch sie auch noch auf das Rating A- mit negativem Ausblick herabgestuft hat. Für die dann fälligen Abfindungen müsste sie auch Kapitalanlagen zu den dann aktuellen Marktwerten aufgelöst werden – mit hohem Abschreibungsrisiko. Das will Ergo tunlichst vermeiden: In der betrieblichen Altersvorsorge befördert sie die Unternehmen und ihre Beschäftigten vorsorglich von der Victoria unter das neue Ergo-Dach. Im Privatkundengeschäft solle die Klientel sogar davon profitieren, dass das Neugeschäft mit den hohen Vertriebskosten wegfalle.

Tod der Traditionsmarken

Bisher ist die Victoria Leben mit einer Gewinnbeteiligung von 3,6 Prozent eines der Schlusslichter der Branche. Sie hätte allen Grund, ihre Versicherten nicht weiter zu vergrätzen: Von den 1,5 Millionen Kunden besitzen 1,4 Millionen weitere Policen in anderen Bereichen des Traditionsunternehmen – im Schnitt sind es 2,2 Verträge. Jeder der sich abwendet, sorgt auch in der Sachversicherung für einen Aderlass.

Mehr als 83 Prozent der Deutschen kennen nach der aktuellen Markenprofile-Studie 2007 des Magazin "Stern" den Versicherer, nur noch übertroffen von der Allianz mit fast 92 Prozent. Die Victoria belegt in der Untersuchung Platz 11. 2007 Victoria existiert seit 150 Jahren, die Hamburg-Mannheimer mit ihrem Aushängeschild Herrn Kaiser 110 Jahre. Damit lauert der Tod ausgerechnet auf die altbewährten Labels: Gerling, DBV Winterthur, Deutscher Herold, Colonia, Nordstern, Volksfürsorge – allesamt angesehene Traditionsnamen der Assekuranz.

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