Allianz Oliver Bäte, der Verunsicherer

Die Allianz ist unter Druck. Viele Strukturen des Versicherungs-Konzerns sind von gestern. Chef Oliver Bäte baut nun radikal um - und verunsichert mit seinen Plänen.

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Oliver Bäte ist seit fast einem Jahr Allianz-Chef.

Als Oliver Bäte, 51, an einem Vormittag in diesem Frühjahr die Mitte des kolosseumrunden Auditoriums in der Münchner Zentrale der Allianz betritt, badet draußen vor den Fenstern der Englische Garten in den ersten warmen Sonnenstrahlen dieses Jahres. Das fällt drinnen sofort auf, weil das Wetter in einem gewissen Kontrast zu den Worten des Allianz-Chefs steht, die viele Zuhörer kalt erwischen:

Der Konzernumsatz? „Es wird schwer, den künftig zu halten“, sagt der Chef des Münchner Dax-Konzerns. Sachversicherung? „Da verlieren wir Marktanteile.“ Innovationen? „Erkennen wir oft viel zu spät.“ Das Management von Vermögen? „Wirft längst nicht mehr das ab, was es mal abwarf.“ Produktivität? Kundenorientierung? Digitalisierung? „An allem fehlt es bei uns.“ Vertriebskosten? Müssen runter. Und so geht es weiter; ein Wortgewitter, für das der Sonnenschein vor dem Tagungsraum auch kein Trost mehr ist.

Gut 160 Allianz-Mitarbeiter aus der ganzen Welt haben auf den Rängen Platz genommen. Sie sind nach München gekommen, um mit ihrem Chef den Weg des Traditionshauses in die Zukunft zu besprechen. „Wir kämpfen an vielen Fronten“ , beschwört der Allianz-Vormann sein Publikum. Und falls noch jemand Zweifel hatte: „So wie in den vergangenen Jahrzehnten können wir auf gar keinen Fall weitermachen.“

Umsatz der wichtigsten Allianz-Geschäftsfelder 2015

Bäte ist jetzt seit fast einem Jahr Vorstandsvorsitzender des größten europäischen Versicherers. Bäte will, Bäte muss wachrütteln, denn er weiß: Seine Branche steht vor Umwälzungen, wie sie sie in den vergangenen 70 Jahren nicht gesehen hat. Die Zinsen dürften auf absehbare Zeit im Keller bleiben. Das bringt das Geschäft mit traditionellen Lebensversicherungen ins Wanken. Vor wenigen Tagen hat die Allianz ihren Bestand an Lebensversicherungen in Italien verkauft.

Große Teile des Versicherungsgeschäfts wandern ins Internet. Bäte muss nun Antworten finden auf die sorgenvollen Fragen seiner Vertreter in den Agenturen und muss seinem Konzern gleichzeitig eine zeitgemäße IT-Infrastruktur verschaffen, um die Chancen der Digitalisierung wirklich nutzen zu können. Erschwert wird Bätes Mission durch immer neue Start-ups, die mithilfe einfacher Apps Versicherungen vertreiben.

Mischung aus Verunsichern und Versichern

Der gelernte Bankkaufmann und Betriebswirt Bäte, der vor acht Jahren von der Unternehmensberatung McKinsey zur Allianz kam, muss den Tanker mit seinen gut 142.000 Mitarbeitern in mehr als 70 Ländern auf einen neuen Kurs bringen. Veränderungsbereitschaft gehört aber nicht gerade zur DNA des Konzerns und seiner Mitarbeiter. Deswegen kommt es für Bäte auf die richtige Mischung aus Verunsichern und Versichern an, damit die Mission am Ende klappt.

Noch kann der Konzern aus einer Position der Stärke agieren. Im vergangenen Jahr kletterte der Umsatz leicht auf 125 Milliarden Euro. Der operative Gewinn stieg auf 10,7 Milliarden Euro von 10,4 Milliarden Euro im Vorjahr. Allzu viel dürfte in den kommenden Jahren aber nicht mehr dazukommen. „Die Zeiten der großen Gewinnsteigerungen sind bei allen Versicherern vorbei“, sagt Andreas Schäfer, Analyst beim Bankhaus Lampe.

An einem Vormittag Mitte März besteigt der Allianz-Chef eine Bühne auf dem Messestand der Deutschen Telekom. Es ist Cebit in Hannover; nahezu die gesamte Halle 4 erstrahlt in Magenta. Neben Bäte steht Timotheus Höttges, Vorstandschef des Telefonriesen. Die beiden Spitzenmanager sprechen vor rund 200 Zuhörern darüber, wie die Digitalisierung nahezu alle Branchen revolutionieren wird. „Die Allianz“, sagt Bäte, „hat 2015 in Deutschland mehr als 100 Millionen Briefe verschickt. 100 Millionen“, wiederholt er und scheint es selbst kaum fassen zu können.

Oliver Bäte (l), WirtschaftsWoche-Korrespondent Matthias Kamp (r).

So etwas soll es in Bätes Welt künftig nicht mehr geben. Die Kommunikation mit den Kunden will er nahezu komplett digitalisieren. Zwar hat der Konzern bislang nicht einmal von jedem zweiten Kunden eine gültige Handynummer oder E-Mail-Adresse. Doch schon bald will der Versicherer diese Angaben konsequent erheben. Insgesamt, glaubt Bäte, werde die Allianz durch die Digitalisierung von den jährlich 13 Milliarden Euro Kosten eine Milliarde einsparen.

Helfen soll ihm dabei auch Höttges. „Tim Höttges und sein Team sind auch ein Ansprechpartner und Spiegel für mich, um zu sehen, was man tun muss, um sich als große Organisation zu verändern“, sagt Bäte. Unter anderem bei Lösungen zur Schadensregulierung, beim Cloud Computing und bei der Mobiltelefonie arbeiten die beiden Dax-Konzerne zusammen. Bäte glaubt, dass die Allianz künftig deutlich mehr Partnerschaften eingehen wird. „Da wird es auch zu der einen oder anderen Übernahme kommen“, sagt Bäte.

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