Es gibt sogar eine offizielle Webseite des Gesundheitsministeriums, auf der der Medikamentenmangel dokumentiert wird. Auf der Seite sieht man das ganze Ausmaß des Problems. Der Mangel betrifft vor allem Impfstoffe, Krebs- und Rheumamedikamente sowie Insulin.
Auf einer Konferenz mehrerer Patientenvereinigungen in Bukarest Ende April berichtete ein Pharmahändler über die Menge dieser Exporte. Demnach sollen 48 Prozent aller Krebsmedikamente, die für Patienten in Rumänien bestimmt sind, das Land wieder verlassen. Bei Diabetes-Präparaten bringen Pharmahändler 21 Prozent wieder außer Landes, bei Medikamenten gegen seltene Krankheiten werden 64 Prozent der für Rumänien bestimmten Präparate wieder exportiert.
2016 wurden aus Rumänien Medikamente im Wert von mindestens 575 Millionen Euro exportiert, berichtet die Handelszeitung „Ziarul Financiar“. Dabei geht es lediglich um den hier beschriebenen Parallelhandel, also um Medikamente, die Pharmahändler in Rumänien einkaufen und sie an Händler oder Apotheker in reicheren Ländern wieder verkaufen. „Alle Arzneimittel, die in Rumänien 15 bis 20 Prozent billiger sind im Vergleich zu Deutschland, sind für den Export lukrativ“, sagt Ștefan Răzvan, Inhaber von sechs Apotheken in der rumänischen Hauptstadt.
Die Geschäftsidee
Die Geschäftsidee könnte nicht einfacher sein: Deutsche Importeure kontaktieren Händler in niedrigpreisigen EU-Ländern und kaufen dort ein. Die Medikamente werden in Ländern wie Deutschland wieder verkauft, wo die Arzneimittelpreise höher sind. Verlierer bei diesem Geschäftsmodell sind Patienten in wirtschaftlich schwächeren Ländern wie Rumänien, Bulgarien, Griechenland, in denen Medikamente Mangelware werden und gravierende Versorgungsengpässe verursachen. Gewinner sind Pharmahändler, aber auch Krankenkassen in hochpreisigen Ländern wie Deutschland, die für die reimportierten Präparate einen geringeren Preis bezahlen.
Mindestens zwei deutsche Arzneimittelimporteure haben eine Importzulassung für Trileptal aus Rumänien, das Medikament, das der 13-jährige Junge in Bukarest benötigt. So bietet ACA Müller in Deutschland das Epilepsie-Medikament, das in Rumänien weniger als 10 Euro kostet, für 33 Euro an.
Noch mehr Geld lässt sich mit hochpreisigen Medikamenten verdienen: Das Rheuma- und Arthrosemittel Humira gehört zu den teuersten Präparaten in Deutschland – zwei Spritzen kosten 1.862 Euro. Ein Importeur muss nicht lange reisen, um Humira zu einem deutlich niedrigeren Preis einkaufen zu können: In Frankreich bekommt man das Präparat für 898 Euro. Noch billiger bekommt man das Mittel, wenn man Händler und Apotheken in Rumänien aufsucht, wo Humira für 860 Euro zu haben ist. Ein Händler verdient einfach am Preisunterschied – abzüglich der Kosten für Transport, Umverpackung und Vertrieb.
Merzig, Saarland: Edwin Kohl war einer der ersten, der diese Geschäftsidee vor 40 Jahren entwickelt und zur Perfektion geführt hat. Der Unternehmer aus dem Saarland wurde mit dem Parallelhandel von Arzneimitteln zu einem der reichsten Deutschen. Sein Unternehmen zählt sogar zu den größten Pharmaunternehmen hierzulande, obwohl er selbst gar keine Arzneimittel produziert. Ein weitere großer Spieler im Parallelhandel sind die Firmen Emramed/MPA hinter denen der Optiker Günther Fielmann steht.
Bei Kohlpharma kommen die Lastwagen voller Medikamente aus ganz Europa an. Wer sich auf dem Firmengelände umsieht, entdeckt kistenweise das Antiepileptikum Rivotril aus Italien, das Psychopharmaka Abilify aus Spanien, das Krebsmittel Avastin aus Bulgarien.
Jörg Geller ist seit 20 Jahren Geschäftsführer bei Kohlpharma und verteidigt das Modell: „Der einzige Wettbewerb, den es für patentgeschützte Arzneimittel gibt, ist der Parallelimport.“ Medikamente aus dem Ausland drückten die deutsche Preise der Originalpräparate, sagen die Importeure.