Krankenkassen Mit welchen Tricks die Kassen um Kunden kämpfen

Krankenkassen fürchten nichts mehr als den Schwund ihrer Mitglieder. Mit falschen Bonusversprechungen und Stolperfallen beim Versicherungswechsel wollen sie Beitragszahler binden. Versicherte müssen sich in Acht nehmen.

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Krankenkassen im Kampf um den Kunden. Quelle: Getty Images

Mirko Trab ist niemand, der leicht aufgibt. Wenn ihn etwas ärgert, dann fängt er an zu telefonieren. Er hängt stundenlang in den Warteschlangen von Kundenhotlines. Er lässt sich die Telefonnummern von Geschäftsführern und Vorständen geben. Immer wieder greift er zum Hörer, er beschwert sich bei seinem Internetanbieter, dem Drogeriemarkt um die Ecke, er ruft so lange an, bis ihm jemand zuhört. Nur in einem Fall hatte Mirko Trab im vergangenen Jahr gar keinen Erfolg: Bei seiner eigenen Krankenkasse. „Die arbeiten mit allen Taschenspieler-Tricks. Da muss endlich jemand durchgreifen“, beklagt sich Mirko Trab.

Dieser Name ist ein Alias, der 46-Jährige will seinen wahren Namen nicht in den Medien lesen. Er überreicht der WirtschaftsWoche Kopien seiner Unterlagen und bittet dabei, diese später zu vernichten. Krankengeschichte ist schließlich Privatsache.

Mirko Trab achtet auf sein Geld, deshalb ist er bei der BKK Mobil Oil. Die Krankenkasse hat viele Versicherte gewonnen, weil sie einen niedrigen Zusatzbeitrag verlangt. Im Januar 2015, als diese Geschichte beginnt, liegt der bei nur 0,8 Prozent. Das ist wenig, auch im Durchschnitt der Kassen. Und die BKK wirbt offensiv damit: Bis Ende 2017 soll der Beitragssatz stabil bleiben.

Die größten Krankenkassen

Im harten Wettbewerb um die Versicherten ist das oft das wichtigste Argument. In der streng regulierten Branche funktioniert Wettbewerb fast nur noch über den Preis, nicht über die Leistung. Die sind zu 97 Prozent ohnehin vorgeschrieben. Verluste dürfen die gesetzlichen Krankenkassen nicht machen. Wer schlecht wirtschaftet, muss einen höheren Zusatzbeitrag von seinen Mitgliedern verlangen.

Doch das setzt oft eine Spirale in Gang: Wer seinen Zusatzbeitrag erhöht, verliert Mitglieder, verliert an Bedeutung. Der wirtschaftliche Druck verschlimmert sich dadurch nur. Diese Erfahrung musste zum Beispiel die DAK Gesundheit machen. Die drittgrößte Kasse verlor alleine im vergangenen Jahr mehr als 190.000 Mitglieder. Nun muss die DAK Filialen schließen und Verwaltungskosten senken, um den Mitgliederschwund zu bremsen.

Mitglieder binden mit Bonusversprechen

Mit aller Macht versuchen die Kassen deshalb, ihre Versicherten an sich zu binden. Und greifen dabei immer öfter zu fragwürdigen Methoden und falschen Versprechen.

Die BKK Mobil Oil hatte viel Erfolg mit ihren niedrigen Preisen und aggressiver Werbung. In den vergangenen Jahren ist die Kasse auf über eine Millionen Versicherte angewachsen. So wie Mirko Trab wählten sie viele aus für ihr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und die verlockenden Bonuszahlungen. Und viele wurden enttäuscht.

Denn die Versprechen an ihre Kunden hat die Kasse mittlerweile gebrochen. Im April vergangenen Jahres erhöht die BKK Mobil Oil ihren Beitrag auf 1,1 Prozent. „Der starke Anstieg bei den Leistungsausgaben“, schreibt die Krankenkasse an Herrn Trab, mache es nun auch für die BKK Mobil Oil erforderlich zu reagieren. „Die arbeiten mit allen Taschenspielertricks der Welt“, regt sich Trab auf.

Die finanzstärksten privaten Krankenversicherungen
Krankenversicherer: AxaRating Krankenversicherer *: +++Punkte für ausgewählte wichtige Rating-Kennzahlen Nettoverzinsung Kapitalanlagen (max. 500) *2: 418 Ergebnisquote aus dem Versicherungsgeschäft (max. 500) *3: 0 Verhältnis Rückstellungen zu Beitragseinnahmen (max. 400) *4: 0 Wachstum Vollversicherte und Beiträge (max. 400) *5: 400 * Softfair hat anhand von zehn Kennzahlen aus den Geschäftsberichten (2014) analysiert, inwieweit die Versicherer aufgrund ihrer finanziellen Lage die Beiträge auch künftig stabil halten können, pro Kennzahl gab es maximal 100, 300, 400 oder 500 Punkte *2 misst, wie gut der Versicherer Kundengelder anlegt *3 ist die Quote zu niedrig, arbeitet der Versicherer unprofitabel, ist sie zu hoch, geht dies zulasten der Kunden *4 je höher die RfB-Quote, desto geringer kann der Versicherer Beitragserhöhungen *5 je mehr Neukunden und zusätzliche Beiträge, desto finanzkräftiger der VersichererQuelle: Softfair Analyse Quelle: REUTERS
Krankenversicherer: UniversaRating Krankenversicherer : ++++Punkte für ausgewählte wichtige Rating-Kennzahlen Nettoverzinsung Kapitalanlagen (max. 500): 311 Ergebnisquote aus dem Versicherungsgeschäft (max. 500): 460 Verhältnis Rückstellungen zu Beitragseinnahmen (max. 400): 192 Wachstum Vollversicherte und Beiträge (max. 400): 385 Quelle: Presse
Krankenversicherer: SignalRating Krankenversicherer : ++++Punkte für ausgewählte wichtige Rating-Kennzahlen Nettoverzinsung Kapitalanlagen (max. 500): 500 Ergebnisquote aus dem Versicherungsgeschäft (max. 500): 264 Verhältnis Rückstellungen zu Beitragseinnahmen (max. 400): 400 Wachstum Vollversicherte und Beiträge (max. 400): 239 Quelle: DPA
Krankenversicherer: R+VRating Krankenversicherer : ++++Punkte für ausgewählte wichtige Rating-Kennzahlen Nettoverzinsung Kapitalanlagen (max. 500): 484 Ergebnisquote aus dem Versicherungsgeschäft (max. 500): 295 Verhältnis Rückstellungen zu Beitragseinnahmen (max. 400): 169 Wachstum Vollversicherte und Beiträge (max. 400): 263 Quelle: Presse
Krankenversicherer: InterRating Krankenversicherer : ++++Punkte für ausgewählte wichtige Rating-Kennzahlen Nettoverzinsung Kapitalanlagen (max. 500): 465 Ergebnisquote aus dem Versicherungsgeschäft (max. 500): 327 Verhältnis Rückstellungen zu Beitragseinnahmen (max. 400): 400 Wachstum Vollversicherte und Beiträge (max. 400): 129 Quelle: Presse
Krankenversicherer: HanseMerkurRating Krankenversicherer : ++++Punkte für ausgewählte wichtige Rating-Kennzahlen Nettoverzinsung Kapitalanlagen (max. 500): 500 Ergebnisquote aus dem Versicherungsgeschäft (max. 500): 328 Verhältnis Rückstellungen zu Beitragseinnahmen (max. 400): 240 Wachstum Vollversicherte und Beiträge (max. 400): 400 Quelle: Presse
Krankenversicherer: DebekaRating Krankenversicherer : ++++Punkte für ausgewählte wichtige Rating-Kennzahlen Nettoverzinsung Kapitalanlagen (max. 500): 500 Ergebnisquote aus dem Versicherungsgeschäft (max. 500): 0 Verhältnis Rückstellungen zu Beitragseinnahmen (max. 400): 291 Wachstum Vollversicherte und Beiträge (max. 400): 400 Quelle: DPA

Zum gleichen Datum ändert die BKK Mobil Oil auch ihr Bonusprogramm. Damit will sie eigentlich Versicherte belohnen, die auf ihre Gesundheit achten. Trab ist schlank, Mountainbiker, Nichtraucher, und hält auch seine Vorsorgeuntersuchungen ein. In den vergangenen Jahren freute er sich immer über eine Auszahlung von den vollen 200 Euro auf sein Konto. „Davon hab ich Ersatzteile für mein Mountainbike gekauft“, sagt er. Doch nach der Änderung erhält Trab nur noch 30 Euro von nun maximal 90 Euro. „Ich sehe nicht ein, dass ich auf einmal 170 Euro verliere“, schimpft er.

Er schreibt an das Bundesversicherungsamt, die zuständige Kontrollbehörde. Die antwortet ihm: „Die von der BKK Mobil Oil beschlossenen Regelungen zum Zusatzbeitrag und zum Bonusprogramm verstoßen nicht gegen geltendes Recht.“

Intransparente Bonusprogramme

Was Trab nicht bewusst war: Gerade bei Bonusprogrammen haben die Kassen große Freiheiten. Sie können bestimmen, welche Leistungen sie belohnen wollen. Und wie viele es sein müssen, bis die Versicherten auch wirklich einen Bonus erreichen. Viele zahlen gar nicht erst Summen in bar aus, sondern belohnen Versicherte durch Zuzahlungen zu medizinischen Leistungen wie einer professionellen Zahnreinigung, für die die Versicherten sonst die Kosten voll übernehmen müssten.

Den vollen Bonus bekommen Versicherte oft nur, wenn sie sämtliche Auflagen erfüllen. Bei manchen Programmen ist das jedoch unmöglich: So verlangen manche Kassen zum Beispiel, dass Kinder alle Vorsorgeuntersuchungen einhalten. Diesen Punkt können aber nur diejenigen Mitglieder erfüllen, die tatsächlich Nachwuchs haben. Manche Kassen berechnen auch Punkte für Schwangerschaftsuntersuchungen. Männer – oder Frauen, die kein Kind erwarten – können damit die volle Punktzahl für den Bonus nie erreichen.

Verbraucherschützer kritisieren die verwirrenden Bonuszahlungen deshalb schon lange. So untersuchte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen die Bonusprogramme von 30 Krankenkassen. Das Ergebnis: Viele seien viel zu intransparent. Und eine gesündere Lebensweise förderten die Kassen mit ihren Programmen auch nicht.

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Vor allem aber geben die Kassen weit weniger Geld für die Bonusprogramme aus, als sie ihren Versicherten Glauben machen wollen. Das Deutsche Finanz-Service Institut immerhin hat die Bonusprogramme von 53 Kassen anhand von sechs Musterfällen untersucht. Sie erfanden sechs fiktive Versicherte im Alter von 25,45 und 65 Jahren. Alle dieser fiktiven Fallbeispiele waren Nichtraucher, Normalgewichtig, hielten ihre Vorsorge- und Impf-Termine ein. Trotzdem hätten lediglich bei zwei untersuchten Krankenkassen – die DAK Gesundheit und die Schwenninger BKK – hätten alle sechs der fiktiven Fallbeispiele die volle versprochene Summe erlangt. Bei vielen Bonusprogrammen hingegen erreichten die sechs Fallbeispiele im Schnitt nicht mal ein Drittel der versprochenen Barauszahlung. So wie bei Mirko Trab.

Wettbewerbszentrale mahnt Krankenkassen ab

Solche Fälle landen täglich auf dem Tisch von Christiane Köber. Die Geschäftsführerin der Wettbewerbszentrale kämpft von ihrem Büro mit dem dunklen Teppich und dem kleinen Erker aus für die Rechte der Verbraucher. An den Wänden stapeln sich in den Regalen die Akten. Im Namen des fairen Wettbewerbs mahnt Köber die Krankenkassen für falsche Versprechen und irreführende Werbung ab. Wenn es sein muss, zieht sie vor Gericht.

Erst vor einigen Monaten hat Köber ein Urteil gegen die Schwenniger Krankenkasse erwirkt. Die hatte einen Makler beauftragt, um Kunden anzuwerben. Doch die Mitarbeiter des Maklers gingen dabei so weit, dass sie im Namen der Kunden die Kündigung bei deren alten Versicherung erklärten. Und die BKK Mobil Oil schickte sogar Postboten bis zur Haustür der Kunden. Die gaben dem Postboten eine Unterschrift, nicht wissend, dass sie damit nicht den Empfang der Unterlagen bestätigten, sondern ihre Kündigung bei ihrer Kasse unterzeichneten. „Das ist schon dreist“, sagt Köber.

Wer wieder zurück in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln kann

Sie steht auf und zieht eine schwere Akte auf dem Regal. Ein Fall der Barmer Krankenkasse, ein Versicherter musste zwei Monate lang auf seine Kündigungsbestätigung warten. Eigentlich sind die Krankenkassen verpflichtet, diese innerhalb von zwei Wochen vorzulegen. Ohne die Bestätigung können die Versicherten nicht den Anbieter wechseln. Und genau deshalb zögern die Krankenkassen die Bestätigung hinaus. Manche Kassen versuchen die Kunden zu einem persönlichen Gespräch zu bewegen, um sie dann noch mal umzustimmen. „Sobald eine Kasse ihren Beitrag erhöht, springen die ersten ab. Das wollen die Kassen verhindern. Sie erschweren den Leuten die Kündigung“, sagt Köber.

Mirko Trab hat seine Kasse mittlerweile gewechselt. Probleme gab es dabei keine. „Ich glaube, die waren ganz froh, dass sie nicht mit noch mehr Anrufen von mir rechnen mussten“, sagt er.

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