Versicherungswirtschaft Der große Kahlschlag kommt noch

Digitalisierung, wachsende Konkurrenz aus der Insurtech-Szene und hoher Kostendruck machen nicht nur der Allianz Probleme. Mittelfristig dürfte bei den Versicherern mehr als ein Drittel aller Jobs wegfallen.

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Allianz Quelle: dpa

Schon Michael Diekmann, langjähriger Allianz-Chef, ahnte wohl, was kommen würde. „In den meisten Branchen“, so verstehe er es, „wird die Digitalisierung zum Verlust von rund 30 Prozent aller Arbeitsplätze führen.“ Wie es in der Versicherungsindustrie aussehe, schob er noch vielsagend nach, müsse „man dann sehen.“

Das sagte Diekmann vor gut drei Jahren. Ein Jahr später, im Mai 2015, räumte er den Chefsessel in München am Englischen Garten, und Oliver Bäte, ein früherer McKinsey-Berater, trat die Nachfolge an. Unter Bäte, so scheint es, wird das vage Szenario seines Vorgängers nun allmählich Realität. Etwa 700 Arbeitsplätze will die Allianz laut einem Medienbericht in den kommenden drei Jahren streichen. Weitere 570 Stellen seien in den vergangenen Monaten bereits über Teilzeitregelungen abgebaut worden.

Und das dürfte erst der Anfang eines radikalen Kahlschlags in der Versicherungsindustrie sein. Zwischen 30 und 40 Prozent aller Arbeitsplätze, so prognostizieren einschlägige Studien, werden in den kommenden Jahren wegfallen. Die Digitalisierung vieler Prozesse, neue Konkurrenten aus der Start-up-Szene, die mit schlanken Strukturen und einfachen, aber attraktiven Produkten auf den Markt drängen, setzten die etablierten Anbieter massiv unter Druck.

Die Generali Deutschland, nach der Allianz Deutschland zweitgrößter Versicherer hierzulande und Tochter der italienischen Generali Gruppe, nimmt derzeit schmerzhafte Anpassungen vor. Rund 1000 Stellen will das Unternehmen in Deutschland streichen. Die drei bisher selbständig agierenden Einheiten Generali Deutschland Holding, Generali Versicherung und Generali Leben werden zu einer neuen Einheit, der Generali Deutschland AG zusammengefasst.

Nicht viel besser sieht es bei der Ergo in Düsseldorf aus. Die MunichRe-Tochter, baut derzeit 1800 Arbeitsplätze ab; die Stimmung in der Belegschaft ist schlecht wie selten zuvor. Vor allem die Vertriebsmannschaft wollen die Düsseldorfer stutzen.

Die Beratungsgesellschaft McKinsey geht davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren in der Versicherungsindustrie rund 40 Prozent aller Arbeitsplätze wegfallen. Grund ist vor allem die Digitalisierung. So haben fast alle privaten Krankenversicherer inzwischen Apps installiert, über die die Versicherten Rezepte und Arzthonorare abrechnen können. Manche Versicherer sind in der Lage, die Hälfe aller Rechnungen „dunkel“ zu verarbeiten. Da nimmt kein Mitarbeiter mehr ein Stück Papier in die Hand.

Die Deutsche Familienversicherung (DFV) ist ein Nischenversicherer aus Frankfurt am Main. Das kleine Unternehmen bietet unter anderem Zahnzusatzversicherungen und Pflegezusatzversicherungen an und kam im vergangenen Jahr auf Prämieneinnahmen von fast 70 Millionen Euro. Das besondere: Die DFV bietet als erster deutscher Versicherer seine Produkte über Amazons Sprachsteuerungsservice Alexa an. Wer sich die kleine Echo-Box der Amerikaner ins Wohnzimmer stellt, kann sich zu DFV-Produkten beraten lassen, ohne dass ein Mitarbeiter gebraucht wird.

Ohnehin dürften bei den Versicherern vor allem im Vertrieb und in der Vertreterschaft in den kommenden Jahren tausende Stellen wegfallen. Vor allem einfache Produkte wie Haurat- und Kfz-Versicherungen werden die Kunden in Zukunft online abschließen. Da mögen die Versicherungsmanager noch so sehr den hybriden Kunden beschwören, der sich zunächst im Internet informiert, seine Police dann aber bei einem Vertreter in der Agentur zeichnet – viele der Vermittler werden in den kommenden Jahren schlicht nicht mehr gebraucht. Wollen sie im Geschäft bleiben, werden sie sich verändern müssen:. Sie werden echte Dienstleister und Berater für komplexe Produkte werden müssen.

Immerhin halten viele der Umfragen, die für die kommenden Jahre einen drastischen Stellenabbau vorhersagen, auch eine gute Nachricht bereit: Zu Massenentlassungen dürfte es wohl kaum kommen: Viele der Kürzungen ließen sich über natürliche Fluktuation realisieren. Außerdem entstehen neue Jobs, beispielsweise in der IT.

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