Volkswagen in Russland Zwischen Aufbruch und Verzweiflung

Als einziger deutscher Autobauer leistet sich Volkswagen ein eigenes Werk in Russland. In Kaluga, südöstlich von Moskau, können die Wolfsburger 150.000 Autos pro Jahr bauen. Obwohl die Fabrik nicht auf voller Kraft läuft, denkt VW-Chef Martin Winterkorn über eine Erweiterung nach - um Russlands Premierminister Wladimir Putin bei Laune zu halten.

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Ein VW-Mitarbeiter säubert am Quelle: dpa

Freitag, 16.28 Uhr, Airport Moskau-Vnukovo. Germanwings-Flug 4U 8987 startet in Richtung Berlin – und bringt die Männer vom VW-Werk Kaluga mit halbstündiger Verspätung ins Wochenende. Einige Arbeiter stecken noch im grauen Overall, in dem sie am Morgen zur Schicht erschienen sind. Um halb elf stand der Bus vor dem Werkstor, um sie zum Flughafen zu bringen. Feierabend für diese Woche.

Vermutlich gibt es auf der Welt keinen zweiten Autohersteller, der für eine kleinere Fabrik in einem mittelgroßen Wachstumsmarkt so viel personellen Aufwand betreibt wie Volkswagen: Mehr als 120 hochbezahlte Entsandte arbeiten für VW im russischen Werk Kaluga. Die meisten von ihnen sind keine Manager in klimatisierten Büros, sondern stehen in der stickigen Fabrikluft am Fließband und bringen russischen Arbeitern das Autobauen bei.

Geplant war das nicht. Ursprünglich hatten die Konzernstrategen in Wolfsburg sieben Expats an den russischen Standort Kaluga schicken wollen, erzählt ein Zulieferer, der die Hintergründe kennt. Dass es dann deutlich mehr wurden zeigt, wie schwer die Qualifizierung russischen Personals den Deutschen fällt.

300.000 Autos pro Jahr

Personalfragen sind beileibe nicht die einzigen Sorgen, die Dietmar Korzekwa plagen. Der VW-Konzernbeauftragte für Russland betreibt derzeit massiv Lobbying, damit die Zollvorteile erhalten bleiben. Aktuell schreibt das Dekret 166 ausländischen Autobauern vor, 30 Prozent der Bauteile vor Ort in Russland zu beziehen – sonst kann der Rest der Zulieferungen nicht mehr zollfrei importiert werden.

Nun erwägt Russlands Premierminister Wladimir Putin eine Verschärfung der Bedingungen, indem die „local content“-Messlatte erhöht wird oder nur für jene Hersteller gilt, die jedes Jahr 300.000 Autos in Russland bauen. Die Kapazität der VW-Fabrik liegt bei 150.000.

Seit Anfang September läuft das VW-Werk Kaluga auf Vollproduktion: Einfache Bauteile bestellt Korzekwa in Russland – zum Beispiel Plastik beim Hersteller Sibur oder Karosserien bei Stahlhersteller Severstal, der auf dem Werksgelände im Joint-Venture mit dem spanischen Zulieferer Gestamp Automoción ein Presswerk gebaut hat. Motoren und Getriebe kommen dagegen aus Deutschland.

Marktanteil verdoppelt

Spielraum nach oben sieht Korzekwa nicht. „In Russland wird es noch Jahre dauern, ehe eine leistungsfähige Zulieferindustrie nach westlichen Maßstäben entstanden ist.“ Die meisten Zulieferer erfüllen schlicht nicht die Qualitätsansprüche des VW-Konzerns. Aus diesem Grund musste Konzerntochter Audi die Pläne zur Vor-Ort-Produktion in Kaluga einstampfen – und Zölle auf Neuwagenimporte einpreisen, die einen Wagen mal eben um 30 Prozent teurer machen.

Bei allen Sorgen war der Fabrikbau in Kaluga aber die richtige Entscheidung: Seit die russische Produktion im November 2007 anlief, konnte VW den Marktanteil auf 7,4 Prozent verdoppeln. Dieses Jahr wird der Konzern rund 100.000 Autos bauen und in Russland absetzen. Dabei ist durchaus Luft nach oben: Im Jahr 2015, schätzen Unternehmensberater, dürften sich in Russland drei Millionen Fahrzeuge verkaufen lassen. Russland wäre damit vor Deutschland der größte Automarkt Europas. Um im Massensegment abräumen zu können, baut VW seit ein paar Tagen ein Polo-Modell, das speziell für den russischen Markt als Stufenheck-Wagen gebaut wird.

Anders als im Premium-Segment spielt der Preis im Massenmarkt aber eine große Rolle. Darum sprach VW-Chef Martin Winterkorn jüngst selbst bei Premierminister Wladimir Putin vor. Er kündigte an, in absehbarer Zeit die Kapazität des Werks zu verdoppeln. Außerdem wolle VW beim abgeblitzten Opel-Partner GAZ einige Modelle in Lohnfertigung bauen. Mit solchen Versprechungen versucht Winterkorn, in der Gunst des mächtigen Regierungschefs zu bleiben – auf dass er die Zügel für gut verdienende ausländische Investoren nicht noch weiter anzieht.

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