Was zuvor bei Karstadt geschah Wie Missmanagement KarstadtQuelle ruinierte

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Der Middelhoff-Effekt setzt ein

Berlin/Essen, Mai 2006. Madeleine Schickedanz rauscht mit ihrem Ehemann und einem Tross von Sicherheitsleuten ins Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe. In ihrem Armani-Hosenanzug sieht sie „wunderschön aus“, vermerkt die Gesellschaftspresse, es werden Thunfisch-Pralinés und Jacobsmuscheln  gereicht. Auch Middelhoff hat sein Blendax-Lächeln aufgesetzt. Gilt es doch, dass 125-jährige Jubiläum von Karstadt zu feiern. 1881 hatte Rudolph Karstadt sein erstes Geschäft in Wismar eröffnet.

Ende 2008 hat Thomas Quelle: AP

Doch Schickedanz hat noch mehr zu feiern: Der Middelhoff-Effekt setzt ein. 25.000 Mitarbeiter verbannte er von den Gehaltslisten, und nach den zahlreichen Beteiligungsverkäufen schnellt auch der Aktienkurs wieder nach oben und marschiert auf die 20-Euro-Zone zu. Es läuft wieder.

Der Schickedanz-Clan hatte sich zuvor bei Sal. Oppenheim und anderen Banken Geld gepumpt, kräftig Aktien zugekauft und disponiert nun über deutlich mehr als die Hälfte der Anteile. Middelhoff verspricht, dass der Höhenflug anhält. Ein Jahr nach der KaDeWe-Gala gibt er das neue Kursziel aus: „40 Euro plus x halte ich für durchaus möglich und erreichbar.“ Denn er verordnet ein neues Geschäftsmodell.

Aus einem Handelskonzern wird eine Touristik-Größe

Mit dem Geld aus dem Immobiliendeal tilgt er einen Teil der Schulden, kauft den britischen Reiseveranstalter MyTravel und übernimmt von der Lufthansa deren Anteil am gemeinsamen Reiseunternehmen Thomas Cook. Beide Firmen fusioniert er. Aus dem Handelskonzern KarstadtQuelle wird nun auch ein globaler Spieler im Touristikgeschäft. Damit sich das Image passend dazu ändert, verpasst Middelhoff dem neuen Gebilde im März 2007 den Kunstnamen Arcandor und schmückt ihn mit dem Zusatz „committed to creating value“. Zu Deutsch: „verpflichtet, Werte zu schaffen“.

Fürth, Herbst 2006. Harald Herbrig reicht’s. Eigentlich schien sein Berufsleben in geordneten Bahnen zu verlaufen. Die Sanierung des Filialgeschäfts von Quelle kommt voran, die schwarze Null ist in Sicht, und Herbrig ist sich sicher, „dass es die nächsten Jahre so weitergeht“. Fünf oder sechs Jahre will er noch bei Quelle arbeiten, dann vielleicht in Altersteilzeit gehen. Doch daraus wird nichts.

Quelle, so ist die neue Devise im Konzern, soll plötzlich andere Kundengruppen ansprechen. In Herbrigs Technikcentern sollen weniger Geräte stehen und die Filialen zu einer Art Showroom für den Online-Shop mutieren. „Unsere Kundschaft ging durch alle Schichten“, sagt Herbrig, „vom Sozialhilfeempfänger bis zum Professor.“ Jetzt soll er mit Quelle-Eigenmarken wie Privileg und Universum verstärkt die zahlungskräftige Zielgruppe ins Visier nehmen. Herbrig hält das so genannte Trading-up-Konzept für falsch und zieht die Konsequenz: Nach 30 Jahren verlässt er Quelle.

Überall bei KarstadtQuelle alias Arcandor macht sich Unruhe breit. Langjährige Mitarbeiter verabschieden sich, das Management einzelner Sparten wird im Jahrestakt ausgetauscht. Erfahrung fließt ab.

Hersbruck, 2. Mai 2007. Auch die fränkische Provinz entdeckt das „Trading up“. Beim Landratsamt Nürnberger Land reicht Madeleine Schickedanz einen „Bauantrag für die Errichtung des Kaufhauses Schickedanz Arkaden“ ein. Für einen Millionenbetrag soll das „Lädle“ im 12.500-Einwohner-Städtchen zum glamourösen Weltstadthaus samt verglastem Giebel, Rolltreppen und großem Parkplatz aufgemotzt werden.

Middelhoff vermeldet: „Sanierung geglückt“

Essen, 2008. Middelhoff ist sich seiner Sache sicher: Als der Konzern „kurz vor dem Abgrund stand“, habe er das Ruder übernommen. Doch nun sei „die Sanierung geglückt“, predigt Middelhoff landauf , landab. Doch der Umsatz von Karstadt sinkt dramatisch.

Nun rächt sich der Verkauf der Immobilien – Karstadt ist an seine eigenen Filialen gefesselt. Jenseits der Luxushäuser verbreitet das Gros der Standorte allenfalls musealen Charme. Doch zu den Niederungen des operativen Geschäfts wahrt „Majestät“, wie der Vorstandschef intern genannt wird, Abstand wie sonst wohl nur zu Wühltischen im Schlussverkauf. Lieber versucht Middelhoff mit Partnern anzubandeln, um sich des Karstadt-Problems per Verkauf oder Fusion zu entledigen. Doch alle Verhandlungen scheitern.

Wie schlimm es um Arcandor steht, wird im September überdeutlich: Die Gläubigerbanken wollen die Kreditlinien streichen. Erst als Middelhoff sein wertvollstes Investment, die Beteiligung am florierenden Touristiker Thomas Cook, verpfändet und Sal. Oppenheim als neuen Großaktionär an Bord holt, verlängern die Banken die Kredite.

Hersbruck, Ende 2008. Eine Tafel an der Gustav-Schickedanz-Straße verkündet zwar noch den baldigen Baubeginn, doch das Arkaden-Projekt ist längst beerdigt. Das Stammhaus soll abgewickelt werden, 55 von 65 Arbeitsplätzen fallen weg. Neben der Bautafel stellen die Mitarbeiter ein Schild auf: „Frau Schickedanz, retten Sie das Kaufhaus.“ Doch die Versandhauserbin hat andere Sorgen. Die Arcandor-Aktie hat binnen Jahresfrist 90 Prozent an Wert verloren und aus der Milliardärin eine Millionärin gemacht.

Ihr Vertrauter Middelhoff hat bei den Banken allen Kredit verspielt und ist für die neuen Finanzierungsrunden 2009 ein Risiko. Nun soll es ein Mann richten, dem der Kapitalmarkt und der Großaktionär Sal. Oppenheim vertrauen: Karl-Gerhard Eick, langjähriger Finanzvorstand der Telekom. Ausgestattet mit einem Fünf-Jahres-Vertrag, tritt Eick am 1. März 2009 an. Vielleicht hätte auch ein Fünf-Monats-Vertrag ausgereicht.

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