Was zuvor bei Karstadt geschah Wie Missmanagement KarstadtQuelle ruinierte

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Stellungskrieg im Konzernumbau

„Samstag war immer die Frage: Fahren wir ins gemütliche Hersbruck oder stürzen wir uns ins Getümmel in Nürnberg“, erinnert sich der damalige Quelle-Manager Wolfgang Herbrig. An seinen Aufgaben ändert sich nach der Fusion nichts. Zwar ist das Filialgeschäft bei Quelle, um das sich Herbrig kümmert, ein ungeliebtes Anhängsel. Die Filialen führen nur Katalogware in den Regalen und schreiben Verluste. Doch eine Zusammenlegung mit dem Filialspezialisten Karstadt steht nicht zur Debatte.

Denn in der Essener Zentrale liefern sich Konzernchef Deuss und sein Warenhausvorstand Urban einen Stellungskrieg. Alle Ansätze, die frisch fusionierten Unternehmen enger zu verzahnen, ersticken im Stillstand.

Urban will mit den Sportfachmärkten im Ausland expandieren – Deuss scheut das Risiko. Urban will den Einkauf stärker bündeln – Deuss pocht auf unabhängige Töchter. Urban drängt ins Online-Geschäft – Deuss wartet ab. Einzelne Sparten erstarren, bei anderen bricht Hektik aus, zwischen Fürth und Essen herrscht Eiszeit.

Nicht einmal der Neckermann-Versand, der von Karstadt in die Fusion eingebracht wurde, und die Schwesterfirma Quelle nähern sich an. Die beiden Versandhäuser leisten sich jeweils eigene Versandlager, eigene Callcenter und einen eigenen Einkauf.

Hamburg, Juni 2000. Ganz geheuer ist ihm seine neue Rolle nicht. Alexander Otto spricht zwar von der „tollen Aufgabe“ und der „Herausforderung“, auf die er sich freue. Doch der Druck, der auf dem 33-Jährigen lastet, ist immens. Der jüngste Sohn des Versandhausgründers Werner Otto soll in Kürze die Führung der Hamburger ECE übernehmen. ECE ist Marktführer beim Bau und Betrieb von Einkaufszentren in Deutschland.

Die größten Baustellen von Karstadt
Der neue Karstadt-Eigentümer René Benko übernimmt ein Unternehmen in der Krise. Die Karstadt-Warenhäuser schreiben rote Zahlen und kämpfen mit sinkenden Umsätzen. Ein Teil der Probleme ist auf den Strukturwandel im deutschen Einzelhandel zurückzuführen. Andere Schwierigkeiten sind hausgemacht. Welche Herausforderungen erwarten den Immobilieninvestor. Quelle: dpa
Übermächtige KonkurrenzDie Warenhäuser in Deutschland haben in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt massiv an Marktanteilen verloren. Denn Konkurrenten wie H&M, Zara und zuletzt Primark haben sich mit preiswerten, schnell wechselnden Kollektionen einen immer größeren Teil des Einkaufsbudgets der Verbraucher gesichert. Außerdem geht der Siegeszug der Einkaufszentren zulasten der Warenhäuser. „Alles unter einem Dach“ gibt es dort in der Regel in weitaus größerer Auswahl als in den Warenhäusern. Quelle: dpa
Schwaches Online-GeschäftDer Online-Handel ist zurzeit der mit Abstand größte Wachstumsträger im Einzelhandel. Doch auch hier kann Karstadt bislang mit der Konkurrenz nicht mithalten. Im Gegenteil: Während die meisten Online-Anbieter im vergangenen Weihnachtsgeschäft zweistellige Zuwachsraten verzeichneten, schrumpften die Verkäufe des Essener Unternehmens über das Internet. Quelle: dpa
Unklare MarkenpositionierungDer bis Ende 2013 amtierende Karstadt-Chef Andrew Jennings versuchte Karstadt mit der Brechstange ein jugendlicheres Image zu verpassen. Er wollte den Konzern stärker auf Mode ausrichten, setzte auf neue trendige Marken und gab ganze Sortimentsbereiche wie etwa Elektronik auf. Das verschreckte die ältere Stammkundschaft. Doch neue Zielgruppen wurden dennoch nicht im erhofften Umfang erreicht. Quelle: dpa
Verunsicherte MitarbeiterDie Unsicherheit der vergangenen Jahre und der schleichende Personalabbau in den Filialen ist an den Karstadt-Mitarbeitern nicht spurlos vorübergegangen. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert vor allem den bisherigen Eigentümer Nicolas Berggruen: „Die Beschäftigten sind von diesem angeblich sozialen Investor Berggruen bitter getäuscht worden“, sagt Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Wenn Benko die Karstadt-Mitarbeiter auf einem harten Sanierungskurs mitnehmen will, muss er das Vertrauen der Beschäftigten zurückgewinnen. Quelle: dpa
Großer InvestitionsstauDie meisten Handelsexperten sind sich einig, dass bei Karstadt in den letzten Jahren viel zu wenig investiert wurde. Heinemann schätzt den Investitionsstau sogar auf mindestens 1,5 Milliarden Euro. Soviel Geld wäre nach seiner Auffassung nötig, um das Unternehmen zukunftsfähig auszurichten - im stationären, wie im Internethandel. Quelle: ZB

Mit 60 Centern scheint ECE jedoch die Wachstumsgrenze erreicht zu haben. Die Zahl der Shoppingmalls kletterte seit dem Mauerfall von 93 auf 279. Die Ränder vieler Städte sind zugebaut, Bürgermeister fürchten die Verödung ihrer Innenstädte und verweigern Baugenehmigungen in den Vororten – die Goldgräberzeiten sind vorbei. Und nun soll ausgerechnet Otto ECE auf Wachstumskurs halten? Viele trauen dem Harvard-Absolventen den Job nicht zu – zu jung, zu wenig Erfahrung, kaum Durchsetzungskraft.

Das Duell mit Kaufhof nimmt Fahrt auf

Essen, Juni 2000. Walter Deuss sieht aus, als leide er unter einer hartnäckigen Migräne. Grimmig legt er die Stirn in Falten und bläst Rauchwolken in die Luft, bevor er die erste Bilanz des fusionierten Konzerns vorstellt. KarstadtQuelle hat die eigene Gewinnprognose verfehlt. Statt der geplanten 360 Millionen Euro verdiente das Unternehmen 1999 rund 100 Millionen Euro weniger.

Der Aktienkurs bricht ein, der Konzern steht kurz davor, aus dem Dax zu fliegen. Analysten der Deutschen Bank diagnostizieren in Deutschlands Innenstädten einen „Überbesatz an Kaufhäusern“ und in der KarstadtQuelle-Chefetage eine Mischung aus Realitätsverlust und Lethargie. Dem Erzrivalen Kaufhof bescheinigen sie dagegen, durch „deutlich größere Aggressivität eine bessere Profitabilität“ zu erreichen.

Als Deuss einen Monat später zur Hauptversammlung gestehen muss, die Prognosen auch im aktuellen Jahr um 235 Millionen Euro zu verfehlen, ist er seinen Posten los. Der Deuss’sche Dämmerschlaf ist vorbei. Binnen Minuten schnellt der Aktienkurs um zehn Prozent hoch. Die Börse feiert den neuen KarstadtQuelle-Chef Wolfgang Urban.

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