Wein Edle Tropfen aus Steillagen

Von Deutschlands Steillagen stammen einige der besten Weine der Welt. Dennoch liegen viele Flächen brach. Herausragende Weinberge sollen nun gerettet werden.

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Kiepen voller Quelle: dpa

Wie mit einer Armada aus Weinstöcken gespickt, schmiegt sich die Hügelgruppe unterhalb der Ortschaft Starkenburg in die Landschaft. Wer dieser Tage unterhalb des schroff abfallenden Berges von Traben-Trarbach in Richtung Enkirch unterwegs ist, sieht viele Rebstöcke mit goldgelben Blättern. Aber zwischendrin auch Parzellen, in denen nur noch Holzstützen an den Weinbau erinnern. Und ganze Flächen, auf denen ein Dickicht aus wildwuchernden Büschen die einstigen Rebflächen zurückerobert hat.

Zwischen den in Reih und Glied aufgestellten Rebstöcken sieht man Menschen kraxeln. Sie sind während der Weinlese ohne Wanderausrüstung, dafür mit einer grünen Tonne auf dem Rücken unterwegs. Mehr als 40 Kilogramm können die Behälter wiegen, wenn sie bis oben hin voll sind mit den kleinen grünen Rieslingtrauben. Olaf Schneider mag auch ohne den im Winzerjargon oft Butte oder Logel genannten Rieseneimer auf dem Rücken den steilen Weg nicht öfter gehen als nötig. Seine Knie hätten die Arbeit im Weinberg schon zu spüren bekommen, und selbst wenige Schritte nach oben seien in der glimmernden Sonne des Oktobers schweißtreibend.

Dennoch macht sich der Mitinhaber eines Fachgeschäfts für Unterhaltungselektronik im Ortskern von Trarbach nach Feierabend oder am Wochenende die Mühe, die mehr als 200 Höhenmeter zu bewältigen, um die Trauben einzusammeln. Der Nebenerwerbswinzer will verhindern, dass die Parzelle mit gut einem Hektar Fläche stillgelegt wird. Wie so viele zuvor: 45 Hektar wurden hier noch Ende der Siebzigerjahre bewirtschaftet, heute sind es lediglich 16. Nicht auszuschließen, dass die Eigentümer weiterer Parzellen auch diesen Rest der Natur überlassen. In Seitentälern der Mosel sind bereits einige Hügel, die seit den Fünfzigerjahren mit Pflanzprämien bestockt wurden, inzwischen komplett zugewuchert, ihre Qualität reichte nicht aus. Im Gegensatz zu den edelsüßen Auslesen aus Moselhängen mit klangvollen Namen wie Wehlener Sonnenuhr, Scharzhofberg oder Piesporter Goldtröpfchen, die pro halber Flasche mehrere Hundert Euro kosten können.

Wirtschaftliches Arbeiten ist nur möglich, wenn die Qualität stimmt

15.000 Hektar Steillage mit mehr als 20 Prozent Gefälle beackern deutsche Winzer heute noch, einige davon sind noch steilere Schätze mit mehr als 70 Prozent Gefälle. Lediglich Portugal verfügt im Duorotal mit 40.000 Hektar über nennenswert größere Flächen. Italien mit ebenfalls etwa 15.000 Hektar Steillagen verfügt über ähnliche Flächen wie Deutschland, Österreich weniger als 5000 Hektar.*

Viele Winzer in den Regionen Mosel, Franken, Mittelrhein oder Württemberg geben diese Flächen nach und nach auf, die Gründe für das Aussterben der Steillagen liegen auf der Hand: Sind diese Hänge doch entweder nur mit teurer Technik und sehr viele ausschließlich per Hand zu bearbeiten. Der Mehraufwand ist enorm. Das Deutsche Weininstitut rechnet, dass ein Hektar Flachlage etwa 250 bis 400 Arbeitsstunden benötigt, in den steilen Lagen, die ohne Maschinen bearbeitet werden, sind es bis zu 1600 Stunden pro Hektar. Die Vorteile der Steillage müssen diesen Einsatz aufwiegen: In der richtigen Ausrichtung erhalten die Pflanzen mehr und länger Sonnenlicht, im günstigsten Fall nehmen die Reben auch das vom Fluss reflektierte Licht noch auf. Wirtschaftliches Arbeiten ist nur möglich, wenn die Qualität stimmt und so die höheren Kosten von den Kunden mit höheren Preisen belohnt werden. „Das Beliebige“, konstatiert der WeinGuide Gault Millau 2008, „lässt sich andernorts leichter produzieren.“

Dieses Szenario hat mittlerweile zahlreiche Weinbauern, Weinkritiker und Politiker aufgeschreckt. Das Fachmagazin Wein-Gourmet ließ 2008 erstmals einen Pfälzer Riesling abfüllen, der seinem Programm „Rettet die Steillagen“ entspringt, derzeit arbeitet ein fränkischer Winzer an der Auflage für 2009. Ingenieure tüfteln an Maschinen, die Winzern helfen sollen, an den steilen Hängen Arbeiten von Maschinen übernehmen zu lassen, Bürgermeister von Moseldörfern planen touristische Attraktionen in den bebauten Hängen. Vorbild sind der steilste Weinberg Europas, der Bremmer Calmont mit seinem Klettersteig, der trittsicheren Wanderern erlaubt, das Panorama der Moselschleifen zu genießen.

Lothar Helfgen von dem Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Bernkastel-Kues sucht zunächst einen Namen. Der Hang, den Schneider und seine Freunde bewirtschaften, ist im Weinatlas des britischen Autors Hugh Johnson nur mit seinen einzelnen Lagen wie Enkircher Zepp-wingert, Batterieberg oder Rosenberg bekannt. Bei diesen aneinandergereihten Stücken handelt es sich aber um das größte Stück Steilhang an der Mosel, das bislang unter dem Arbeitstitel Starkenburger Hang firmierte – was die Gemeinden Traben-Trarbach und Enkirch jedoch gar nicht erfreute. Nun soll Mitte November ein neuer Name, gewählt aus gut 50 Vorschlägen, vorgestellt werden.

Es dauert zwar oft Jahrzehnte bis sich ein neuer Lagenname bei Weinfreunden etabliert. Aber Helfgen denkt vor allem an die Besucher der Region, die den Berg nicht nur als Lieferant des typischen, bekömmlichen Moselrieslings schätzen, sondern vor allem seine Anmutung suchen: „Die Weinberge sind die Kulisse“, sagt Helfgen. „Von den Terrassen der Restaurants aus möchten die Menschen die Weinstöcke sehen und am liebsten die Weine von dort trinken.“ Verwildern die Rebstöcke, verliert der Weinberg seinen optischen Reiz. Die Touristen bleiben aus, ziehen zum nächsten Ort. Um das zu verhindern, werden demnächst möglicherweise rund zehn Winzerhäuschen im Hang zu Jausenstationen umgebaut und Wanderwege auf einem Höhenniveau angelegt werden.

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