Weinbau Ende der Weinkultur?

Der Klimawandel macht Weinanbau auch in nördlichen Gefilden möglich. Gleichzeitig bedroht er aber auch die Weinkultur beispielsweise in der Champagne.

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Perlen steigen aus dem Quelle: dpa

Alles schon einmal da gewesen: Schon im Mittelalter gab es eine goldene Zeit, während der Weinbau in Ostpreussen und in Schottland möglich war. Um ein volles Grad höher lagen damals die Durchschnittstemperaturen als in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Doch dann – Anfang des 17. Jahrhunderts – wurde es wieder kalt, der Weinbau zog sich zurück südlich des 50. Breitengrades, das entspricht etwa der Höhe von Mainz oder Prag. Die Weinberge um das schlesische Grünberg (Zielona Góra) und bei Bonn markierten für Jahrhunderte die äußersten nördlichen Ausreißer im Weinbau.

Das war einmal. Mehr noch als in jener Warmzeit im Mittelalter gehen seit Jahrzehnten die Temperaturen wieder nach oben – nach Messungen des Weinforschungsinstituts Geisenheim um ein Grad seit 1975. Weinbau ist wieder in nördlichen Gefilden möglich. Vor den Toren Berlins, im brandenburgischen Werder, in Mecklenburg, auf der Insel Sylt, ja sogar in Dänemark, Norwegen gibt es Weinberge. Auf der schwedischen Insel Gotland mitten in der nicht gerade als Warmgewässer bekannten Ostsee produziert Lauri Pappinen seit 1997 Rot- und Weißwein.

Für dieses Jahr hofft der einstige Verleger auf eine Ernte von über 10.000 Liter. „Wir ernten spät, weil die Temperaturen letzten Wochen für die Qualität des Weines entscheidend sind“, sagt Pappinen. Glück für den Schweden: Die Ostsee um Gotland hat sich in den vergangenen 19 Jahren um zwei Grad erwärmt. Das macht eine späte Weinlese bis Ende Oktober auf den etwa vier Hektar möglich. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Betriebsgröße in Deutschland liegt unter zwei Hektar.

Temperaturlinien werden sich bis 2100 um 100 Kilometer nach Norden verschieben

Längst ist Pappinen nicht mehr der einzige Winzer in Schweden. Auf der Insel benachbarten Öland, aber auch auf  dem Festland leben Weinbauern. „Sieben oder acht mögen es sein, die professionellen Weinbau betreiben“, sagt Pappinen, „fast jedes Jahr kommt ein Betrieb dazu.“ Nicht nur die nordischen Neuwinzer freuen sich über die Erwärmung. Auch die Weinbauern aus den klassischen deutschen Anbaugebieten profitieren.

Für die Jahrgänge 1989 bis 2008 vergaben die Gutachter des Deutschen Weinbauverbandes und des Deutschen Weininstitutes neunzehnmal die Noten gut oder sehr gut, in den 20 Jahren davor nur neunmal. Inzwischen verlegen sich deutsche Winzer auf den Anbau von sonnenhungrigen Rebsorten wie Merlot, die in den sechziger Jahren an Mosel, Rhein oder Main kaum eine Chance gehabt hätten, gute Weine hervorzubringen. Nebenfolge der klimatischen Südverschiebung: Der Anteil an deutschen Rotweinen hat erheblich zugenommen. 2006 wuchsen auf 37 Prozent der Flächen Rebsorten für Rotwein, 1993 nur 19 Prozent.

Inzwischen mischt sich in die Freude über die vielen guten Jahrgänge allerdings die Besorgnis, dass Weine, die für ihren typischen Geschmack ein kühleres Klima brauchen wie zum Beispiel Riesling, in einigen Jahren Probleme bekommen könnten. Verlierer des Klimawandels wären jedoch die südlichen Weinländer wie Spanien oder Italien, aber auch Frankreich.

Eine Studie der Umweltorganisation Greenpeace geht davon aus, dass bis zum Jahr 2100 sich die Temperaturlinien um rund 100 Kilometer nach Norden verschieben. Frankreich hätte dann Durchschnittstemperaturen, die sechs Grad über den heutigen liegen. Die optimalen klimatischen Bedingungen für den Weinbau lägen dann in England oder Norddeutschland.

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