Zeitarbeit Wie Unternehmen ihre Beschäftigten in Leiharbeiter verwandeln

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Anderswo gibt es um die neue Personalpolitik gewaltig Krach. Der Betriebsrat der Uniklinik Essen schaltete jetzt die Landesregierung ein. Die Arbeiterwohlfahrt, 1919 von Sozialdemokraten als Einrichtung zur „Selbsthilfe der Arbeiterschaft“ gegründet, gerät in ihrem Bezirk Westliches Westfalen in Dortmund in die Schlagzeilen: So verschob die Wohlfahrtsorganisation in Dortmund eine befristet beschäftigte Küchenkraft in ihre Zeitarbeitstochter PSG und kürzte den Lohn bei gleichem Arbeitsplatz und gleicher Arbeit von zwölf auf acht Euro.

Der Rabatz in der Öffentlichkeit zeigt erste Folgen. Die Augsburger Mediengruppe Presse-Druck etwa hatte als einer der ersten Verlage die Zeitarbeitskonstruktion genutzt. 150 von 1400 Beschäftigten mussten seit 2006 in eine umstrittene eigene Leiharbeitsfirma wechseln. Die wurde Anfang des Jahres wieder geschlossen – zumindest die Redakteure der „Augsburger Allgemeinen“ sind nun keine Leiharbeiter mehr. Personal-Vizechef Werner Müller gibt zu, dass der Zwang in die Leiharbeitsverhältnisse „ein Politikum war – wir hatten das unterschätzt“.

CGZP hat keine Tariffähigkeit mehr

Wie schnell sich die spezielle Form der Leiharbeit weiter ausbreitet, hängt auch von den Gerichten ab. Zwei Landesarbeitsgerichte (LAG) fällten Urteile gegen die Firmenkonstruktion. So entschied das LAG Schleswig-Holstein im Juni 2008 gegen ein kommunales Busunternehmen, dessen Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung eines Busfahrers als Leiharbeiter verweigert hatte. Das LAG Bremen gab einer Lehrerin recht, die von einer Zeitarbeitsfirma des Landes an eine Schule entliehen worden war – sie bekam wie gefordert einen Job direkt beim Land zugesprochen.

Arbeitsprofessor Schüren erwartet, dass künftig auch gekündigte Arbeitnehmer aus der Privatwirtschaft Jobs bei der Muttergesellschaft ihres Zeit-Arbeitgebers einklagen. Hätten sie Erfolg, werde das teuer für die Konzernmütter. Sie müssten den Lohn des Arbeitnehmers sowie die Sozialversicherungsbeiträge aller hausintern entliehenen Arbeitnehmer nachzahlen – rückwirkend für vier Jahre.

Ein zweites juristisches Damoklesschwert schwebt über jenen Unternehmen, die mit der Christen-Gewerkschaft Tarifverträge abgeschlossen haben. Das Arbeitsgericht Berlin hat der Tarifgemeinschaft der christlichen Gewerkschaften im April dieses Jahres nämlich die grundsätzliche Tariffähigkeit aberkannt – es fehle der CGZP an der erforderlichen „Sozialmächtigkeit“. Die Berufungsverhandlung vor dem LAG Berlin steht für den 7. Dezember an. Verliert die CGZP auch dort, hat sie nur noch eine Chance beim Bundesarbeitsgericht. Geht auch das zuungunsten der CGZP aus, könnten Hunderte von Zeitarbeitsunternehmen beziehungsweise deren Mütter plötzlich nackt dastehen – mit gravierenden Folgen. Sie haften dann für die Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend für vier Jahre. „Wenn das LAG-Berlin wie die Vorinstanz die Tariffähigkeit der CGZP verneint“, warnt Arbeitsrechtler Schüren, „müssen alle Verleiher mit CGZP-Tarifverträgen Rückstellungen bilden.“

Zudem verlöre dann der Zeitarbeitsverband AMP seinen Billig-Tarifvertrag. Auch Schlecker müsste sich neu orientieren. Zwar wurden die Versetzungen der Mitarbeiterinnen in Gütersloh zu Meniar, laut Verdi mindestens 30 an der Zahl, vom Arbeitsgericht inzwischen gestoppt. Doch andernorts verschickt der Drogeriekonzern weiterhin an Gekündigte, die faktisch bleiben sollen, das Formular „Bewerbung um einen Arbeitsplatz bei der Firma Meniar“. Wenn die Schwaben ihre neuen größeren XL-Filialen eröffnen, sind fast alle Beschäftigten bei der Zeitarbeitsfirma unter Vertrag. Derzeit sollen es 1500 sein. Alles in allem könnten, vermuten Betriebsräte, 5000 Schlecker-Mitarbeiter mit Meniar-Verträgen beschäftigt werden. Denn bis Ende 2010 will die Kette deutschlandweit 1000 XL-Märkte mit im Schnitt fünf Beschäftigen eröffnen.

Die Gewerkschafter laufen nun Sturm: Auch Streiks im Weihnachtgeschäft seien „eine Option“.

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