Zeitarbeit Wie Unternehmen ihre Beschäftigten in Leiharbeiter verwandeln

Die Unternehmen läuten eine neue Runde in der Personalpolitik ein. Sie gründen Zeitarbeitsfirmen, um eigene Mitarbeiter in Leiharbeitskräfte zu verwandeln. So umgehen sie Tariflöhne und Kündigungsschutz. Die Idee ist höchst umstritten, Experten warnen vor großen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken.

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Schlecker behauptet, das Zeitarbeitsunternehmen Meniar, in das nach Gewerkschaftsangaben schon 1500 Schlecker-Mitarbeiter wechseln mussten, sei unabhängig von der Drogeriekette. Doch der Meniar-Chef war Schlecker-Manager und hat in der Zentrale ein Büro Quelle: Andreas Körner für WirtschaftsWoche

Das Schreiben vom 29. Juli traf Ingrid Sturm* völlig unvorbereitet. Unter dem Briefkopf ihres Arbeitgebers, der Drogeriekette Schlecker, stand fett gedruckt „Versetzung“. Statt in ihrer Stammfiliale im westfälischen Gütersloh weiter Shampoos und Zahnpasta zu verkaufen, wie seit Jahren schon, sollte die Endvierzigerin vom 3. August an in einem Schlecker-Laden arbeiten, der fast 100 Kilometer entfernt lag. Die Begründung für die Blitz-Versetzung weit weg von daheim las sich wie ein Strafbefehl. Sturm sei nicht bereit, an einem „Projekt“ teilzunehmen und die „hiermit verbundenen Konditionen zu akzeptieren“, hieß es kryptisch in dem Brief von Schlecker.

Das geheimnisvolle „Projekt“ läutet eine neue Runde in der Personalpolitik der Unternehmen und im Geschäft mit der Leiharbeit ein: Verkäuferin Sturm und rund 60 Kolleginnen, die in 18 Schlecker-Filialen im Bezirk Gütersloh arbeiten, waren nach Angaben der Gewerkschaft Verdi aufgefordert worden, Aufhebungsverträge zu unterschreiben und dafür bei einem Arbeitskräfteverleiher namens Meniar anzuheuern. Statt wie bisher 12,71 Euro brutto sollten die Frauen fortan zwischen 6,50 und 7,0 Euro pro Stunde verdienen – für denselben Job in derselben, aber umgebauten Filiale. Dagegen wehren sich die Betroffenen.

Drehtüreffekt mit firmeneigenen Zeitarbeitsfirmen

Das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel bei Schlecker unterscheidet sich grundlegend von den bisherigen Gepflogenheiten der Zeitarbeitsbranche und ihrer Auftraggeber. Statt Leihkräfte bei Zeitarbeitsfirmen zu ordern, um Stoßzeiten im Betrieb abzufedern oder die Gesamtbelegschaft zu verkleinern, gründen Unternehmen vermehrt eigene Leiharbeitsfirmen und bedienen sich dort ihrer bisherigen, nun aber billigeren Beschäftigten. „Drehtüreffekt“ heißt der Mechanismus in der Branche – angestammte Mitarbeiter verlassen das Unternehmen auf dem Papier und kehren im nächsten Augenblick als Leiharbeiter zurück.

Der Schlecker-Partner Meniar etwa – der Name steht für „Menschen in Arbeit“ – sitzt im sächsischen Zwickau und agiert von dort aus formal eigenständig. In der Praxis ist Meniar aber mit dem Konzern aus dem schwäbischen Ehingen eng verbandelt. Ein Konzernsprecher dementiert das zwar: „Die Meniar GmbH ist eine eigenständige Gesellschaft außerhalb der Firma Schlecker.“ Doch vieles spricht dafür, dass Meniar eine Potemkinsche Firma unter massivem Schlecker-Einfluss ist. Meniar-Geschäftsführer Alois Over war jahrelang Top-Personalmanager bei Schlecker und unterhält nach wie vor ein Büro am Konzernsitz. In aktuellen Stellenausschreibungen der Arbeitsagentur werden Bewerber gebeten, Rückfragen an Over zu richten – zu kontaktieren über die Schlecker-Zentralverwaltung und eine Ehinger Durchwahl. Dass der Meniar-Geschäftsführer „zu Koordinationszwecken ein Verbindungsbüro in der Konzernzentrale von Schlecker unterhält“, bestätigt das Unternehmen und findet das „vollkommen normal“.

So reizvoll es für Schlecker sein mag, durch die niedrigeren Tarife bei der -Zeitarbeitsfirma Meniar fast die Hälfte des Bruttolohns sowie Urlaubstage, Weihnachts- und Urlaubsgeld zu sparen – was Schlecker bestreitet –, so umstritten ist das Instrument. Auf der einen Seite stehen grundsätzliche Befürworter wie Steffen Krieger, Arbeitsrechtsexperte in der Stuttgarter Dependance der Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz, der Unternehmen bei der Nutzung von Zeitarbeitsmodellen berät: „Das Modell ist legal, im Rahmen des Gesetzes und politisch gebilligt.“ Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen stützten diese Position.

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