Zugausfälle Riskante Sparpolitik sorgt für Chaos bei der Bahn

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ICE-Inspektion: Verdreckte Quelle: dpa/dpaweb

Doch der 1966 eingeführte Werbespruch ist längst zum Witz mutiert: Auf dem Weg nach Brüssel fielen im Januar eine Woche lang sämtliche ICEs aus, nach Amsterdam fuhren sie nur teilweise. Vor Weihnachten zog die Bahn einige Neigetechnikzüge ICE-T von Berlin nach München aus dem Verkehr. Von Berlin nach Köln fahren sonntags derzeit oft nur halbe Züge. Allein vorvergangenen Samstag fuhren 66 Züge ab Frankfurt zehn Minuten verspätet ab, meist viel später. 18 Züge fielen aus. In Düsseldorf war die Lage ähnlich.

Die Begründungen kennt jeder: „Verzögerungen im Betriebsablauf“, „verspätete Bereitstellung“, „Signal-“, „Weichen-“, oder „witterungsbedingte Störungen“. Derzeit müsse jeder zweite Lokführer in seiner Schicht bis zu vier technische Fehler bewältigen, so eine Studie der Bahnergewerkschaft GDL. Ursache für die Ausfälle sei, so berichten Lokführer, auch schlechte Wartung der Züge:

Sensible Elektrik:

So gibt es zurzeit auffallend häufig Probleme mit dem Steuerungssystem beim Kuppeln von ICE-Zügen. Das Problem: Wenn die elektrische Verbindung zwischen den Zügen nicht zustande kommt, meldet das System eine Störung. „Dann geht gar nichts mehr“, sagt ein Lokführer, der namentlich nicht genannt werden will. Der Zug müsse „von Hand über einen Bowdenzug entkuppelt werden“. Zudem müsse der Rechner neu gestartet werden. „Das dauert sehr, sehr lange.“ Grund für den Ärger: „Verdreckte Kupplungen.“Verschmutzte Teile: Auch an anderer Stelle führen Wartungsmängel bei Minusgraden zu Technikausfällen: Mitunter kam es bei ICE-Zügen vor Weihnachten zu Störungen in der Elektronik an der Unterseite der Züge. Grund dafür sind verdreckte Belüftungsöffnungen. Eigentlich sollen sie Kondenswasser und Feuchtigkeit ableiten. Sind sie aber verschmutzt, verstopft oder vereist, kann es beim Abtauen zu Kurzschlüssenkommen.Fehlerhafte Mechanik: Offene Bugklappen an der Front der ICEs sind ebenfalls Indizien für Wartungsmängel: Mitunter lässt sich die pneumatisch betätigte Mechanik der Klappen nicht schließen. Gerade im Winter kann das die Kupplungsfunktion beeinträchtigen. An Bahnhöfen wie Hamm, wo zwei ICE-Züge oft gekoppelt werden, kommt es dann zu „Verzögerungen im Betriebsablauf“.Kaputte Bremsen: Nicht selten rasen ICE-Züge mit geschwächten Bremsen über Schnellstrecken der Republik. Insider berichten, dass Druckluftbremsen zum Teil wegen Bremsscheiben-Rissen ausgeschaltet werden. Ein Lokführer, der ungenannt bleiben möchte, bestätigt gegenüber der WirtschaftsWoche: „Eine Bremse abzuschalten ist ganz normal.“ Sicherheitsrelevant sei das aber nicht, weil „wir immer noch genug Bremskraft haben“. Auf Hochgeschwindigkeitsstrecken könne man auch mit nur der Hälfte der Bremsen 250 Kilometer pro Stunde fahren. „Dann fängt der Zug sechs statt vier Kilometer vor dem planmäßigen Halt an zu bremsen“, sagt der Lokführer.Schwacher Antrieb: Bei den ICEs der ersten Generation häuft sich der Ärger mit den Lokomotiven. Zwar wurden die Züge gerade erst komplett renoviert. Davon ausgenommen waren aber die rund 20 Jahre alten Triebköpfe. Probleme scheint es oft mit den Antrieben zu geben.

"Schwarzbuch Deutsche Bahn" zwingt Bahn zum Handeln

Die Bahn reagiert oft erst dann, wenn der Druck unerträglich ist. Das vor einer Woche veröffentlichte „Schwarzbuch Deutsche Bahn“ der beiden ZDF-Autoren Christian Esser und Astrid Randerath legt die Verzögerungstaktik des Konzerns offen: Das Eisenbahnbundesamt (Eba) stelle im Schienennetz jedes Jahr mehrere hundert Verstöße gegen Rechtsnormen fest. Meistens werde „die Bahn erst aktiv und behebt den Mangel, wenn wir damit drohen, einen Bescheid zu machen“, wird ein Informant aus dem Amt zitiert.

Die Blaupause des Versagens ist in Berlin zu beobachten. Das Chaos gilt vielen Kritikern als Symbol verfehlter Bahn-Politik. Durch Flugschnee und Kondenswasser fielen allein in diesem Januar fast ein Viertel der S-Bahnen mit defekten Fahrmotoren aus. „Wir mussten feststellen, dass seit 2004 bestimmte Handlungsanweisungen für Wartungsarbeiten nicht vorhanden waren und deshalb auch nicht eingehalten wurden“, gibt Grube zu.

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