IT-Billiganbieter Wie Mittelständler erfolgreich IT-Aufträge nach Indien vergeben

Kleine und mittelgroße Unternehmen zögern, IT-Aufträge nach Indien zu vergeben. Denn viele Projekte bringen nicht die erhoffte Einsparung oder scheitern. Doch es gibt Möglichkeiten, das Risiko zu mindern.

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Bangalore in Indien Quelle: Dirk Krüll für WirtschaftsWoche

Indien – allein der Klang weckt sofort Klischees: unvorstellbare Hektik in den Megastädten, Kühe auf der Straße, Gurus, Tiger, Tempel – und legendäre Softwareschmieden von Bangalore bis Kalkutta. Nicht erst seit Thomas Friedmans Bestseller „Die Welt ist flach“ gilt die nach Einwohnerzahl zweitgrößte Nation der Erde als eines der tonangebenden Informationstechnologie-Länder.

Schon in den Neunzigerjahren priesen Experten den Vielvölkerstaat als Paradies für preiswerte IT-Leistungen. Ob die Digitalisierung von Büchern und handgeschriebenen Schecks, ob komplizierte Programmierungen – indische Anbieter versprechen über 30 Prozent, in Einzelfällen bis zu 70 Prozent Einsparungen.

Doch die Wirklichkeit hält – noch – nicht mit den großen Versprechungen Schritt. Bisher hat so gut wie kein deutscher Mittelständler auf den Subkontinent IT-Dienstleistungen verlagert. Beim IT-Offshoring, wie Experten den Einkauf von IT-Leistungen fern der Heimat gern nennen, ist Ernüchterung eingekehrt.

„Nach der Anfangseuphorie, 30 Prozent durch Offshoring nach Indien sparen zu können, mussten sich die Unternehmen bei einer genaueren Kostenanalyse reihenweise davon verabschieden“, sagt Frank Naujoks, Research Manager Software beim Marktforscher IDC.

Die kulturellen Unterschiede zwischen den westlichen Auftraggebern und indischen Auftragnehmern sind größer als erwartet. Einspareffekte werden durch Managementkosten aufgezehrt. „Bei der Endabrechnung schrumpfte die Ursprungsersparnis auf nur noch wenige Prozente zusammen, teilweise wurden die Projekte sogar teurer“, sagt Naujoks. „Deshalb hält sich besonders der deutsche Mittelstand zurück.“

Den Kölner Unternehmensberater Ralf Maier überrascht die Skepsis der Befragten nicht. „Manchmal habe ich den Eindruck“, sagt er, „dass viele Mittelständler Indien nur aus dem Dschungelbuch kennen.“ Maier berät seit vielen Jahren deutsche und indische Unternehmen. Er ist zwar davon überzeugt, dass beim Outsourcing grundsätzlich Kostensenkungen von bis zu 60 Prozent möglich sind. Doch die wollen erst einmal ausgemacht sein. „Indien ist etwas ganz Eigenes“, sagt Maier, der mehrere Jahre dort gelebt hat und regelmäßig auf dem Subkontinent unterwegs ist.

Die Liste der Eigenheiten ist lang. Sie fängt mit der grotesken indischen Bürokratie an. „Allein ein Visum zu beantragen kann Europäer schon vorzeitig ergrauen lassen“, warnt die Unternehmensberatung Capgemini ihre Klienten. Für Mittelständler ist das eine kaum zu überbrückende Hürde. Anders als den Konzernen fehlt ihnen meist das Geld für den Aufbau einer eigenen Niederlassung mit einheimischen Experten, die wissen, wie sie mit den indischen Beamten umgehen müssen, um Genehmigungsprozeduren zu beschleunigen.

Über allem schwebt eine grundsätzlich andere Geschäftskultur. Inder verlassen sich mehr als deutsche Manager auf gegenseitiges Vertrauen. Die Chemie muss stimmen, die Geschäftsbeziehungen sind ausschließlich personenbezogen. „Zuerst unterhält man sich lange über die Familie, Hobbys und die Kinder“, erklärt Spezialist Maier, „erst dann fragen sich indische Unternehmer oder Manager, ob sie mit dem Gesprächspartner Geschäfte machen wollen.“ Ohne eine solche Vertrauensbasis können Geschäfte in Indien zum Abenteuer werden. Im Gegensatz zu China herrscht zwar eine über 100 Jahre alte, dem Westen ähnliche Rechtskultur, doch Prozesse sind teuer und langwierig. Die Kosten, vertragliche Ansprüche vor Gericht durchzusetzen, betragen – Untersuchungen der Weltbank zufolge – in Indien im Durchschnitt rund 40 Prozent des Streitwertes. In Deutschland sind es nur rund zwölf Prozent.

In der IT-Branche stehen die Manager vor ganz besonderen Herausforderungen. In der boomenden Szene beträgt die Fluktuation deutlich mehr als 50 Prozent, so eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers. Projekte können sich deswegen ungeahnt hinziehen oder extrem verteuern. Die IT-Dienstleister jagen sich gegenseitig ihre besten Kräfte ab, was die Lohnforderungen in die Höhe treibt. Gehaltssteigerungen von jährlich 12 bis 15 Prozent sind die Regel, so eine Studie der Deutschen Bank. Projektmanager legen beim Gehalt sogar um jährlich über 20 Prozent zu.

Dass etliche europäische Unternehmen trotzdem auf die Verlagerung von IT nach Indien schwören, liegt vor allem am unerschöpflichen Fachkräftereservoir. Unter den mehr als eine Milliarde Einwohnern sind viele gut ausgebildete IT-Fachkräfte. Zu den fast zwei Millionen indischen Ingenieuren kommen jährlich etwa 150.000 Absolventen hinzu.

Um aus diesem Potenzial zu schöpfen, arbeiten immer mehr große westliche IT-Dienstleister mit indischen IT-Anbietern zusammen. So verfügt der indische IT-Berater Satyam bereits über eines der weltweit größten SAP-Beratungsteams und plant bis Ende 2008, die Zahl der Consultants von 5.000 auf 6.800 zu erhöhen.

Die IT-Aktivitäten deutscher Konzerne in Indien sind für Mittelständler interessant, weil kleine und mittelgroße Firmen mit geringerem Risiko auf die IT-Kompetenz in Indien zugreifen können. So werden die Kunden der Bertelsmann-Tochter Arvato Systems nun auch von dem indischen Softwareunternehmen Satyam bedient, mit dem sich die Gütersloher unlängst verbündet haben. Der Service der Telekom-Tochter T-Systems kommt vom US-amerikanischen IT-Dienstleister Cognizant, der drei Viertel seiner 55.000 Mitarbeiter in Indien und China beschäftigt und dem T-Systems die eigene indische Niederlassung mit 1150 Mitarbeitern übergeben hat.

Schon werben die beiden IT-Riesen für ihren Schutzschild, den sie deutschen Mittelständlern durch die Allianzen auf dem indischen Markt bieten. „Wir bieten unseren Kunden zertifizierte Dienstleistungen mit einer nachgewiesen hohen Prozessqualität“, sagt etwa Arvato-Systems-Chef Michael Pesch. Darüber hinaus verspricht Pesch, dass er einen guten Teil des Preisvorteils Indiens an seine deutschen Kunden weitergeben kann.

Hauptgrund für Mittelständler, mit in Indien tätigen deutschen Konzernen zu arbeiten, dürfte jedoch deren Zugang zum Expertenpotenzial des Landes sein. „Wenn ein größeres IT-Projekt im Mittelstand ansteht, sind wir in der Lage, schnell qualifizierte IT-Kapazitäten zur Verfügung zu stellen“, sagt Pesch. Ähnlich argumentiert T-Systems-Chef Reinhard Clemens: „Die neue Allianz bietet Unternehmen aus Europa endlich breiten Zugang zu wirklich globalen IT- und Offshore-Ressourcen.“

Ob die Mittelständler auf die Offerten der deutschen IT-Riesen reagieren oder es lieber selbst versuchen – Überraschungen wird es bei Geschäften mit Indien immer wieder geben, sagt Berater Maier: „Man sollte als Firmenchef gelassen bleiben und sich immer vor Augen halten: Indien ist nicht Schwaben.“

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