Handel Abwrackprämie für Schuhe

Deutschland wrackt ab: Nach den Autoherstellern setzen auch Bekleidungsketten, Mobilfunkanbieter und Topfhersteller auf den Alt-gegen-Neu-Trend.

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Schuhangebot bei Salamander Quelle: AP

Den Tag, an dem die Rettung kam, kann Marija Linnhoff genau bestimmen. Vor dem 27. Januar herrschte in ihrem Reisebüro im sauerländischen Iserlohn eine Stimmung, die sie so nur aus den Hotelbeschreibungen in ihren Katalogen kannte: Ruhe und Entspannung fernab vom turbulenten Geschäftstreiben. Kurz: Die Kunden blieben weg. 40 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahr verbuchte das Reisebüro im Januar – bis ein Mitarbeiter Linnhoff begeistert davon erzählte, dass er seinen betagten Fiat verschrotten lassen wolle, um beim Neuwagenkauf 2500 Euro staatliche Prämie einzustreichen. Noch am gleichen Tag startete die 45-Jährige ihr privates Konjunkturprogramm: eine Abwrackprämie für Koffer.

Wer bei Linnhoff eine Reise für mindestens 2500 Euro bucht und sich gleichzeitig von einem alten Reisekoffer trennt, erhält einen Gutschein über 150 Euro. Seit dem Start der Aktion „läuft der Laden“, freut sich die Chefin. 23 Koffer stapelten sich Mitte vergangener Woche in ihrem Reisebüro.

Wie in Iserlohn geht es zurzeit quer durch die Republik zu. Immer mehr Händler und Hersteller gehen mit dem Motto Alt gegen Neu auf Kundenfang: Deutschland wrackt ab.

Der Traditionsschuhhändler Salamander gewährt beim Kauf reduzierter Stiefel zehn Euro Rabatt für Kunden, die ein Paar gebrauchte Treter abgeben. Der Hamburger Mobilfunk-anbieter Blau lockt mit einer „Abwrackprämie für alte Sim-Karten“, ein Brandenburger Herrenausstatter will Anzüge „abfracken“, und ein Trierer PC-Spezialist bietet eine „Abwrackprämie von unglaublichen 2500 Cent“ für Computerschrott. Kleinere Küchen- und Waschmaschinenhändler pflastern Anzeigenblätter mit Abwrackanzeigen zu. Selbst beim Kamerahersteller Leica können Fotofans bis Ende März ihre Spiegelreflex in Zahlung geben, um ein neues Modell zu erstehen.

Mit dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung haben derlei Werbeaktionen zwar nichts zu tun. Doch das kann im Prämienwirrwarr schon mal untergehen. Zumal im Vorfeld auch über staatliche Verschrottungsboni für alte Küchen und Kühlschränke diskutiert wurde. Bayerns Umweltminister Markus Söder hatte gar eine Abwrackprämie für ältere kleine Öfen gefordert. Und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club kämpfte für ein Fahrrad-Konjunkturprogramm.

Im Windschatten solcher Ideen werden die privaten Prämien inzwischen als nationale Großtat inszeniert. So ließ die Elektronikkette Media Markt in der vergangenen Woche eine „Sofort-Maßnahme für Deutschland“ ausrufen. Kunden, die ihren alten Fernseher oder Kühlschrank in die Filialen schleppten und ein neues Gerät für mehr als 500 Euro mitnahmen, bekamen einen 100-Euro-Gutschein für ihre nächste Shoppingtour bei Media Markt. Selbst der Berliner 15-Mann-Betrieb Lipinski Telekom „unterstützt das Konjunkturpaket II der Bundesregierung“, wie es stolz auf der Firmenhomepage heißt. Beim Kauf einer neuen Telekommunikationsanlage für mehr als 7000 Euro gebe es 2500 Euro Abwrackprämie für die alte Anlage, versichert Lipinski-Geschäftsführer Thilo Weise.

Dass die Unternehmen weniger die staatsbürgerliche Pflicht als die Sorge um ihre Umsätze treibt, liegt auf der Hand. „Im Grunde sind die Tauschofferten verkappte Rabattaktionen“, sagt Klaus Jürges, Geschäftsführer der Gesellschaft für Markt & Handelsforschung in Wathlingen. Unentschlossenen Kunden werde ein starker Impuls gegeben, jetzt zuzugreifen. Zwar könnte der Händler genauso gut zum Rotstift greifen und die Preise drastisch senken. Doch das hätte langfristige Folgen für das Preisniveau. Wolle der Handel für seine Ware in besseren Zeiten wieder mehr verlangen, sei das nur „sehr schwer durchsetzbar“, so Jürges. „Bei einem Tauschangebot wird der Rabatt dagegen stärker vom Produktpreis entkoppelt.“ Erfolgreich sei die Strategie daher vor allem bei hochpreisigen Markenartikeln.

Kein Wunder, dass Alt-gegen-Neu-Aktionen jetzt zwar einen Boom erleben, aber schon seit Jahren zum festen Repertoire vieler Hersteller gehören. Bei Fissler- und WMF-Händlern können Kunden etwa regelmäßig alte Töpfe oder Besteck abgeben, um günstiger zum neuen Premiumpott und Luxusmesser zu kommen. Ähnlich versucht Braun, Rasierer an den Mann zu bringen, und Leifheit, den Absatz von Wäschespinnen zu befördern.

Neu ist dagegen eine Idee des Schweizer Unternehmens I:Collect. In Filialen von Partnerfirmen wie der Schuhkette Reno, den Adler-Modemärkten und dem Reparaturservice Mister Minit hat I:Collect Anfang Februar eine eigene Altkleidersammlung eröffnet. Die Kunden können in den Filialen ausrangierte Schuhe oder Klamotten abgeben. Adler und Co. leiten die Ware dann an den Recycler Soex weiter, der die Textilien in ihre Rohstoffe zerlegt und diese an Bekleidungshersteller verkauft. Die Kunden werden für ihre Sammelwut von den Händlern mit Einkaufsgutscheinen von ein bis fünf Euro honoriert. Das Konzept kommt an: Die Prämie habe „eingeschlagen wie eine Bombe“, sagt Mister-Minit-Chef Andreas Berents. Insgesamt seien in den ersten beiden Wochen mehr als sechs Tonnen Ware zusammengekommen, heißt es bei I:Collect. Das entspreche 20.000 bis 30.000 Kleidungsstücken. Demnächst sollen die Kunden alte Hemden auch online zur Abholung anmelden können, sagt eine Sprecherin: Den Abwrack-Gutschein gibt es dann direkt an der Haustür.

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