Inside-Report Aldi knallhart - so funktioniert der Top-Discounter

Er ist ein Phänomen, geheimnisumwittert und allgegenwärtig: Aldi, der Meister der Discounter. Land für Land fügt der verschwiegene Handelskonzern aus dem Ruhrgebiet seinem Imperium hinzu. Jetzt sind Polen und Ungarn an der Reihe. Warum ist der Billigriese nicht zu bremsen? Wie funktioniert sein System? Ein Inside-Report aus dem Aldi-Weltreich.

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Aldi-Nord-Filiale: In Deutschland gilt das Gebot des Schweigens Quelle: Dirk Krüll für WirtschaftsWoche

Kurz hinter dem Eingang Scheibenbrot und Kaffeepads, schnell noch eine Pulle Schampus gegriffen und einen Bordeaux Cru Bourgeois Château. Rechts abgebogen zu den wechselnden Schnäppchen, heute Alu-Bratpfannen und ein dreiteiliges Gefrierdosen-Set. Gegenüber drängeln sich quergestellte Einkaufswagen vor der Palette mit ACE-Drinks. Dann ist die Bahn frei: Einmal um die Ecke zur Entenbrust aus der Kühltruhe, Parma-Schinken, Vollmilch, Bergkäse. Zwischenstopp bei den Bio-Möhren. Spurt an die Kasse, die Schlange ist grad kurz. Nur sechs gut gefüllte Wagen warten auf die Abfertigung. DVD-Rohlinge? Aufs Band damit. Piep, Piep, Piepiep-Piep. Der Einkauf türmt sich ruck, zuck auf der kleinen Staufläche. „Zahlen Sie bar oder mit Karte?“

Das ist Aldi.

Strom wird teurer, Öl auch. Und Gas. Milch und Brot werden teurer. Ein Preisschock jagt den nächsten und treibt die Kunden in den Discounter, vor allem zu Aldi. Drei von vier Haushalten in Deutschland kaufen da ein. Jeder fünfte Euro, der in Deutschland für Butter, Milch oder Kaffee ausgegeben wird, landet bei Aldi, im Reich der markenlosen Produkte. Aber billig sind sie. Darüber informiert Aldi ja jede Woche.

Und was wissen Sie sonst noch über Aldi? Nichts!

Können Sie auch nicht, denn das Unternehmen ist verschwiegen bis zum Exzess. Die Kassiererin schweigt, der Einkaufschef schweigt, die Mitglieder der Geschäftsleitungen schweigen, die beiden Aldi-Gründer und -Eigner Theo und Karl sowieso – als ginge es um Baupläne für Atomwaffen. Doch die hat Aldi nachweislich nicht im Angebot.

Die WirtschaftsWoche ist in dem geheimnisumwitterten Imperium auf Spurensuche gegangen. Wie funktioniert Aldi? Wie steuert der Konzern vom Ruhrgebiet aus sein Weltreich? Lässt sich das System Aldi auf eine Formel bringen? Härte, Sturheit, Konsequenz – das zieht sich wie ein Leitmotiv durch alle Begegnungen der WirtschaftsWoche auf dem Planeten Aldi: bei einem Lieferanten in Australien, Gewerkschaftern in Frankreich, einem Bauleiter in Polen oder einem Manager in Österreich.

Aufgebaut wurde das Weltreich Anfang der Sechzigerjahre. Der erste Albrecht Discount, kurz Aldi, eröffnete 1962 in Dortmund. Heute betreiben Aldi Süd von Mülheim und Aldi Nord von Essen aus – beide freundschaftlich miteinander verbunden, aber rechtlich, finanziell und organisatorisch unabhängig – über 8000 Filialen, in 17 Ländern auf den drei Kontinenten Europa, Amerika und Australien. Den Umsatz schätzen Branchenkenner auf etwa 40 Milliarden Euro.

Aldi ist Weltmeister, wenn es darum geht, möglichst viel Ware auf möglichst wenig Platz möglichst schnell zu verscherbeln. Kaum eine europäische Verbraucherkultur hat sich dem Discount aus dem Ruhrpott verschließen können. Sogar im australischen Outback und an der Peripherie von New York haben sich die viereckigen Verkaufsmaschinen breit gemacht.

Aldi global: Die Auslandsaktivitäten von Aldi Nord und Aldi Süd Quelle: Grafik: WirtschaftsWoche

Jetzt beginnt ein neues Kapitel in der Unternehmensgeschichte: die Expansion nach Osteuropa. In vier Wochen will Aldi Nord nach Recherchen der WirtschaftsWoche das erste Dutzend Läden in Polen eröffnen. Aldi Süd wird im Jahresverlauf in Ungarn folgen. Märkte sind dort im Bau, der zentrale Einkauf wird organisiert, Aldi schließt Verträge mit Zulieferern, hat extra eine Software in Landesprache für die Warenwirtschaft in Auftrag gegeben. Mitarbeiter werden im großen Stil rekrutiert und in der kundenfreien Zone einer Trainingsfiliale geschult. In der rumänischen Hauptstadt Bukarest gründete Aldis Österreich-Ableger Hofer eine Tochtergesellschaft und sondiert den tschechischen, slowakischen und kroatischen Markt. Hart, stur, konsequent – Aldi überlässt bei seiner Offensive nichts dem Zufall.

In Deutschland gilt das Gebot des Schweigens auch für jeden, der mit Aldi zusammenarbeitet. „Sie kennen sicher die restriktive Informationspolitik des Hauses Aldi und bei allem Verständnis für Ihr Anliegen kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen“, sagt Ulla Lindenberg. Sie ist Inhaberin von Media Communication & Consulting, kurz MCC, einer kleinen Agentur in Essen mit einer Handvoll Mitarbeitern.

Dabei sagt schon die Tatsache, dass MCC überhaupt für Aldi arbeiten darf, einiges über die Professionalität des Milliardenkonzerns aus. Wie alle Discounter, nur konsequenter und unaufgeregter, hangelt sich Aldi Schritt für Schritt in Sachen Produktqualität auf das Niveau der Supermärkte. Und überlässt selbst im Detail nichts dem Zufall. Für kleine Weinbroschüren oder wie zuletzt vor Weihnachten die 44-Seiten-Hochglanzfibel „Aldi inspiriert“, mit Back- und Basteltipps, Rezepten und Hintergründen zum Thema Schokolade, beauftragt der Konzern einen Spezialisten – MCC. Zu den Kunden der 2005 gegründeten Agentur zählen sonst ganz andere Kaliber: das spanische Weingut Torres, der ehemalige Sommelierweltmeister Markus Del Monego oder ein Zusammenschluss von Spitzenweingütern aus dem Bordeaux.

Es sind die Details, die im Discount über den Erfolg entscheiden. Etwa an der Kasse. Früher hatte der Kunde beim Einpacken hier und da noch eine Chance, wenn eine Neue an der Kasse saß, die die Preise noch nicht so drauf hatte. Heute hat Aldi Scannerkassen. Und beim Verstauen von Plätzchen, Pizzen, Primeln oder Putenschnitzeln sind die Kunden dem Tempo der Kassiererinnen hoffnungslos unterlegen. Zwar haben alle Discounter heute Scannerkassen, Aldi war hier nicht einmal Pionier. Aber der ist Aldi ohnehin selten. Dafür hat Aldi das moderne Kassensystem perfektioniert.

Sind die Scanner bei Aldi Spezialanfertigungen, Super-Scanner für den Super-Discounter? „Nein, das sind sie nicht“, gibt Ulrich Hieber, Director Retail des US-Technologiekonzerns NCR, überraschend bereitwillig Auskunft. „Aldi hat sich seinerzeit für das High-End-Produkt entschieden, mit der wohl derzeit besten Technologie. Und es ist auch dementsprechend etwas teurer als andere Geräte.“ Alle sechs Seiten einer Verpackung könne der Scanner gleichzeitig lesen. Und da Aldi auf seinen Verpackungen auch mehr Strichcodes als bei anderen Händlern üblich aufbringen lässt, gehe der Scanvorgang entsprechend schnell.

Claudia Niemann ist am Telefon nicht so gesprächig wie NCR-Manager Hieber.

„Niemann.“

„Guten Tag, Frau Niemann. Ich würde mich gerne mit Ihnen über einen Ihrer Kunden unterhalten – Aldi.“

„Da muss ich Sie leider enttäuschen. Wir reden nicht über Aldi, das wird Sie doch sicher nicht wundern.“

„Nicht wirklich.“

„Sehen Sie, ich habe das Gespräch lediglich angenommen, um Ihnen das freundlich mitzuteilen.“

Niemann ist Chefin der Stute Nahrungsmittelwerke in Paderborn. Etwa eine Dreiviertelmilliarde Euro Jahresumsatz macht Stute und wächst kräftig mit Säften, Honig sowie Obst- und Gemüsekonserven. Das Familienunternehmen gehört seit Jahrzehnten zu den Hauptlieferanten von Aldi und hat seither von der weltweiten Expansion ihres Kunden profitiert. Denn auch das gehört zum System Aldi: Um seinen enormen Bedarf an Produkten ohne großen Markennamen zu decken, hält sich der Discounter Hunderte weitgehend unbekannter, aber florierender Unternehmen, wie den Eiskrem-Hersteller Rosen aus Heinsberg bei Aachen oder den Müsli-Produzenten De-Vau-Ge aus Lüneburg. Eine Art Subkultur der Konsumgüterindustrie.

In der allerdings raue Sitten herrschen. „Wir sind telefonisch von Aldi Süd informiert worden und haben kurze Zeit später eine Stellungnahme bekommen“, berichtet der Manager einer süddeutschen Molkereigruppe, der aber unbedingt anonym bleiben möchte. „Um es kurz zu machen: Wir sind sofort ausgelistet worden.“

Was war passiert? „Stiftung Warentest“, November-Ausgabe 2007: „Die Aldi-Vollmilch Milfina enthält wesentlich weniger Fett als die gesetzlich vorgeschrieben 3,5 Prozent, sensorisch leicht fehlerhaft. Gesamturteil: mangelhaft.“ Rums, das saß. Und nun? Aldi Süd sprach von einem „bedauerlichen Einzelfall“, „die getestete Milch stamme ausschließlich von einem unserer zahlreichen regionalen Lieferanten und wurde nur in wenigen Filialen angeboten“.

„Wir haben noch eine kurze Übergangszeit gewährt bekommen, weil Aldi sich einen neuen Lieferanten suchen musste“, sagt der Molkereimanager. Insgesamt vier Aldi-Lager habe die Molkerei beliefert, der wirtschaftliche Schaden liege im zweistelligen Millionen-Liter-Bereich.

Dennoch nimmt man es in der Molkerei gelassen: „Wir beliefern Aldi noch mit anderen Produkten. Aldi wirbt damit, dass er keine schlechten Testergebnisse akzeptiert. Und wir akzeptieren die Reaktion von Aldi.“ Bei der nächsten Ausschreibung für Milchlieferungen im Frühjahr werde er sich wieder bewerben. Auch das ist Aldi: hart, aber nicht nachtragend.

Lesen Sie weiter, wie es Aldi in seinen Expansions-Ländern ergeht:

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