Bankenkrise Bank of America: Geschrumpft in Nullkommanichts

Die Finanzkrise hat das Vertrauen in die Bankmanager ruiniert. In den USA kämpft jetzt Ken Lewis um Reputation und Überleben an der Spitze der Bank of America. Ein Kommentar von WirtschaftWoche-Korrespondent Andreas Henry, New York.

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Der Chef der Bank of America Quelle: AP

Hallo? Haaaalloooo? Gibt es ihn noch irgendwo? Den soliden, erzkonservativen und bescheidenen Bankmanager, dem wir unser Erspartes anvertrauen können oder in dessen Aktie man beruhigt investieren kann? Es scheint nicht so. In den USA kämpft jetzt mit Ken Lewis, der vor zwei Jahren noch weltweit bewunderte Bankmanager, um Reputation und Überleben an der Spitze der Bank of America.

Als ich Ende 2006 Ken Lewis, den Chef der Bank of America, in seinem Büro hoch über den Dächern von Downtown Charlotte in North Carolina fragte, wen er gemeint habe, als er einmal gesagt hatte, in der Bankbranche gebe es „einige Desperados der  modernen Art“, machte er aus seiner Verachtung darüber, wie an der New Yorker Wall Street Geschäfte gemacht werden, kaum einen Hehl. „Niemand Bestimmten“ habe er gemeint, sagte der stets bedächtige Lewis vorsichtig, „aber in New York, mit all den Banken und Investmentbanken, gibt es schon so etwas wie eine Herdenmentalität. Und ich habe Zeiten gesehen, in denen sie Hand in Hand und fröhlich über die Klippe gesprungen sind.“

Damals stand Lewis auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Seine Bank hatte nach einer Serie erfolgreicher Akquisitionen zum ersten mal einen höheren Quartalsgewinn eingefahren als die New Yorker Citigroup und den Konkurrenten gerade auch bei der Höhe des Börsenwertes  überholt. Die Aktionäre jubelten. Charlotte, das mit dem Erfolg der Bank of America fast unbemerkt zum zweitwichtigsten Finanzzentrum in den USA aufgestiegen war, brummte vor Stolz. „Ich mag die Tatsache, dass wir hier draußen in North Carolina sind,“ sagte mir Lewis noch, „weit weg von der Wall Street. Hier haben wir einen etwas umfassenderen Blick auf die Welt.“

Einen umfassenderen Blick auf die Welt?

Bedacht und Vorsicht? Diese Prinzipien hat Lewis in der Finanzkrise wie so viele andere vor ihm sausen lassen. Er wollte die Krise nutzen, überschätzte sich dabei und muss nun selbst um Reputation und seinen Posten an der Spitze der Bank fürchten, deren Aktienkurs sich seit dem Höchststand pulverisiert hat, die Aktionäre verloren seitdem fast 90 Prozent. Lewis´ erster Fehler war die Übernahme der Hypothekenbank Countrywide, eines der größten Baufinanzierers der USA, der sich mit problematischen Subprime-Darlehen voll gesogen hatte. 

Lewis wurde bei der Countrywide-Übernahme als Retter gefeiert. Die Bank of America als Starker habe einem Schwachen die Hand gereicht und so einen Kollaps verhindert, der ungeahnte Folgen für das gesamte Bankwesen gehabt hätte, so lautete damals der Tenor der  Kommentare. Vielleicht hat sich Lewis in dieser Rolle gefallen, denn im vergangenen Herbst trat er erneut auf den Plan um Schlimmeres zu verhindern. Diesmal entschied er im Alleingang und innerhalb von 48 Stunden, die auf der Kippe stehende Investmentbank Merrill Lynch im Tausch gegen eigene Aktien zu schlucken.

Lewis verließ sich bei der Entscheidung zum Kauf vor allem auf das Urteil einer Wall-Street-Größe, dessen Reputation bis dahin ebenfalls nahezu makellos war: John Thain hatte den Posten des Vorstandschefs von Merrill Lynch erst im November 2007 übernommen. Zuvor war er CEO der New York Stock Exchange und hatte in dieser Funktion die Transformation der ehrwürdigen Institution ins elektronische Zeitalter geschafft, den Börsengang der Börse selbst erfolgreich absolviert und die transatlantische Fusion mit der Pariser Börse Euronext durchgezogen. Thains Glaubwürdigkeit als Macher beruhte auch auf der Tatsache, dass er bei seinem Wechsel zur Börse auf viel Geld verzichtete. Denn zuvor war er zweiter Mann bei der für besonders üppige Gehälter und Boni bekannten Investmentbank Goldman Sachs. Kein Gierhals also, vielmehr ein fähiger Bankmanager, der die Investmentbank wieder auf Kurs bringen würde, so dachte und hoffte man.

Verteilung von Milliarden-Boni vorgezogen

Doch spätestens seit dieser Woche ist auch Thains Ruf komplett ruiniert. Lewis, der sich vielleicht heute wieder an seine frühere implizite Mahnung erinnert, keinem Wall-Street-Desperado zu trauen, feuerte Thain am vergangenen Donnerstag. Dem vorausgegangen waren unerwartet hohe Verluste bei Merrill im letzten Quartal, die Lewis am liebsten dazu genutzt hätte, die geplante Übernahme wieder abzublasen. Doch das ließ die US-Regierung, die Milliarden in die beiden Banken gesteckt hat, nicht zu. Lewis musste Merrill schlucken und wird sich nun fragen, ob Thain ihn bei der Übernahme über den Tisch gezogen hat oder selbst keinen Durchblick hatte, wie  die wahre Situation bei Merrill aussieht. Beides wäre schlimm und sollte für den Rauswurf Grund genug sein. Thain hatte nach Milliarden-Abschreibungen oft genug wiederholt, Merrill habe das Schlimmste nun hinter sich. Bei der Bank of America war auch nicht gut angekommen, dass Thain die Verteilung von Milliarden-Boni für die Merrill-Mitarbeiter vorgezogen hatte. Anders hätte er aber seine eigene Forderung, zehn Millionen Dollar Jahresbonus für die von ihm erfolgreich vermittelte „Rettung“ von Merrill durch die Bank of America zu bekommen, auch kaum begründen können. Nach einem öffentlichen Aufschrei zog Thain diesen Vorschlag allerdings schnell  wieder zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch Merrill längst Milliardenbeträge aus Staatstöpfen erhalten.  

Retten konnte Thain seinen beschädigten Ruf dadurch nicht mehr. Denn mittlerweile berichtet der Fernsehsender CNBC genüsslich und detailreich über Renovierungsarbeiten, die Thain nach seinem Antritt bei Merrill in seinem Büro durchführen ließ. Ein Promi-Innenarchitekt, der Thain auch bei der Ausstattung seines Luxusapartments auf der Park Avenue und seiner Villa in Rye, außerhalb von New York, geholfen haben soll, stellte der Bank dafür offenbar 1,22 Millionen Dollar in Rechnung – unter anderem 35115 Dollar für eine antike Kommode, 1405 Dollar für einen Papierkorb, 87000 Dollar für einen Teppich. Thain soll alles persönlich abgezeichnet haben. Falls die Thain-Antiquitäten jetzt vom neuen Eigentümer, der Bank of America, wieder verkauft werden sollen, wird Ken Lewis noch eine unangenehme New-York-Erfahrung machen: Nicht nur die Werte von Investmentbanken können heutzutage in Nullkommanichts rapide schrumpfen.

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