Expertenforum Bankberater packen aus: Täglicher Horror

Die WirtschaftsWoche hat skandalöse Zustände im Bankvertrieb enthüllt. In vielen Zuschriften berichten Berater über ihre Not und Kunden über Abzocke.

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WirtschaftsWoche-Story über skandalöse Zustände im Bankenvertrieb: Hunderte E-Mails von Beratern und Kunden als Reaktion

Die Reaktionen sind drastisch: „Es ist jetzt 5 Uhr morgens. Ich konnte nicht schlafen und habe in der aktuellen Ausgabe Ihres Magazins gelesen. Nach der Lektüre der Titelgeschichte konnte ich erst recht nicht mehr schlafen“, schreibt Hans M.* in einer E-Mail an die WirtschaftsWoche. „Zu sehr kommen Abscheu und verdrängte Gefühle wieder hoch.“

„Ihr Artikel spricht mir aus der Seele. Ich arbeite seit fast 40 Jahren bei einer Sparkasse. Die ersten 25 bis 30 Jahre sehr gerne und mit voller Überzeugung. Inzwischen aber mit vielen Krankheitstagen, Bauchweh und schlaflosen Nächten“, berichtet Claudia S.* – eine von Hunderten Bankangestellten, ehemaligen Bankern und enttäuschten Kunden, die sich zur Titelgeschichte der WirtschaftsWoche über die teils skandalösen Zustände in den Filialen vieler deutscher Banken und Sparkassen äußern.

Kunden berichten dort, wie ihnen Bankprodukte aufgedrängt wurden, die sie nicht brauchten; Mitarbeiter erzählen, wie sie der in den vergangenen Jahren stetig wachsende Vertriebsdruck zu Falschberatungen und Betrug am Kunden treibt, dass sie sich in ihrem Arbeitsalltag als Darsteller eines Horrorfilms fühlen – und das bei Banken jeglicher Couleur, von den großen Geschäftsbanken bis zu den Sparkassen.

Kein gutes Gewissen

„Sofort im Anschluss an das Ende der Bankausbildung“, so berichtet uns der Leser Hans M., „kam mit voller Wucht der Vertriebsdruck. Insbesondere im Bereich Versicherungen war mir dies extrem unangenehm, da ich über keinerlei nennenswerte Kenntnisse verfügte, die Produkte jedoch trotzdem anzupreisen hatte.

Meine spärlichen Kenntnisse über Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherungen stammten aus Produktbroschüren, die in der Form auch den Kunden an die Hand gegeben wurden.“ Schulungen hätten in fünfminütigen Kurzreferaten eines Kollegen bestanden. „Da ich diese Produkte nicht guten Gewissens verkaufen konnte, habe ich kein einziges verkauft, mich auf meine stärkeren Bereiche konzentriert und versucht, dem Kundenbedürfnis zu entsprechen. Den Ärger mit meinem Filialleiter können Sie sich vorstellen.“ Für Hans M. eine bittere Erfahrung: „Einen Nervenzusammenbruch und eine Psychotherapie später lief der auf eigenen Wunsch befristete Vertrag aus. Ich war unendlich erleichtert!“

Bloßstellungen und extremes Mobbing

Welche Folgen der individuelle Vertriebsdruck auf die einzelnen Privatkundenbetreuer für die Kunden hat, davon kann Herbert W.* ein Lied singen. Beim Besuch einer Bank „legte uns der Berater diverse Produktwünsche in den Mund. Risikolebensversicherung, Bausparvertrag, private Rentenversicherung et cetera. Unsere Argumentation, wir seien bereits versichert, dächten überhaupt nicht an ein Eigenheim und würden unsere Altersvorsorge mit Fonds selbst regeln, schien ihn nicht zu interessieren. Denn einige Tage später erhielten wir eine Art Protokoll des Gesprächs, in dem die von uns eindeutig abgelehnten Produkte als ,gemeinsam mit dem Kunden erarbeitete Strategie‘ verkauft wurden. Aus der Angabe ,selbstständig‘ – was der Berater aus der mehrjährigen Zusammenarbeit mit uns ohnehin hätte wissen müssen – wurde im Protokoll ein ,angestellt‘. Falsch geschriebener Name und Anschrift machten die Lachnummer perfekt.“

Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Berichte der Bankberater die Klagen über psychische Belastungen – ausgelöst durch immer höhere Vertriebsziele und einen zunehmend rüden Umgangston der Führungskräfte. „Ihr seid doch alle Idioten“, bekommt Bankberaterin Claudia S. regelmäßig zu hören. „So etwas will ich nicht wieder sehen“ – so reagierte der Vorgesetzte von Claudia S., als sie ihm eine Liste ihrer Überstunden vorlegte.

Ex-Banker Hartmut E.* berichtet über Bloßstellungen vor Mitarbeitern, extremem Mobbing und sogar Zwangsversetzungen in andere Filialen als Strafe für „schlechte Zielerfüllung“. Weder Personalabteilung noch Betriebsrat unterstützten ihn, da sich andere Mitarbeiter wegduckten und bei „Einzelfällen“ keine Hilfe als „nötig“ angesehen wurde. Er hat sich vor einigen Jahren „beruflich umorientiert: Dies war eine der besten Entscheidungen in meinem Leben, da ich die extrem belastende Situation nicht mehr lange ausgehalten hätte.“

Er ist möglicherweise tatsächlich noch gerade rechtzeitig ausgestiegen. Denn nun erleben viele Mitarbeiter, dass Banken und einzelne Filialen die Zielvorgaben für dieses Jahr noch einmal hochgeschraubt haben – in Extremfällen um das Vierfache. Angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise und der Schwäche der Aktienmärkte lässt sich aus den einstigen Gewinnbringern im Investmentbanking derzeit wenig herausholen. So konzentrieren sich die Institute noch stärker auf das Privatkundengeschäft. Hier wird offenbar herausgepresst, was nur irgend möglich ist. Das Problem der Vertriebsnot wird demnach noch größer.

Schicksale werden häufiger, wie sie Herbert K.* und seine Frau, Kundenbetreuerin bei einer Großbank, erlebten: „Seit ich meine Frau kenne, habe ich sie selten so aufgelöst gesehen wie im letzten Jahr. Weinend ist sie zu mir ins Auto gestiegen, machte sich am Ende eines Urlaubes immer Gedanken, ob sie am ersten Arbeitstag einen neuen Anpfiff bekommt.“

Hohe Dunkelziffer

Auch Ulrich B* „kann ein Lied davon singen, welchem Leistungsdruck wir Banker ausgesetzt sind. In unserem Arzneimittelschrank liegen neben Kopfschmerztabletten auch Schlaftabletten. Da die pflanzlichen Produkte bei mir keine Wirkung zeigten, bin ich auf chemische Schlafmittel umgestiegen. Aber auch hier waren zwei Tabletten vonnöten. Nicht selten kam es vor, dass die Nacht nur drei Stunden hatte. Damit meine Frau von meinen Schlafstörungen nicht ständig wach wurde, habe ich regelmäßig im Gästebett übernachtet.“

Die Banken sitzen auf einem Pulverfass und zündeln mit der Lunte. Der Ruf der Geldbranche ist ohnehin schon denkbar schlecht. Eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts Psychonomics für die WirtschaftsWoche weist den Banken und Versicherungen einen der hinteren Plätze im Image-Ranking aus – in der Nachbarschaft von Fast-Food-Ketten und Energiekonzernen. Und weit abgeschlagen etwa hinter Kosmetik- und Lebensmittelherstellern.

Ein Problem, das sich mit überlasteten und psychisch angeschlagenen Mitarbeitern wohl kaum lösen lässt. „Nach meinen eigenen Erfahrungen denke ich“, sagt Hans M., „dass die Dunkelziffer der psychisch stark angegriffenen Mitarbeiter in den Banken, Versicherungen und bei den Finanzdienstleistern extrem hoch ist. Und ich hoffe inständig, dass viele der Betroffenen rechtzeitig eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen haben. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass demnächst eine ganze Welle von Arbeitnehmern aus der Finanzbranche auf uns zurollt, die unter dem Druck kollabieren und den Beruf einfach nicht mehr ausüben können.“

Hans M. weiß, nachdem ihn eine überwunden geglaubte Depression wieder heimgesucht hat, „dass ich in der Finanzbranche nie wieder arbeiten kann, ohne meine Gesundheit zu gefährden“.

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