Ablass-Kapitalismus Das Geschäft mit dem guten Gewissen

Der wachsende öffentliche Druck durch NGOs, Gewerkschaften und Regierungen veranlasst Unternehmen immer öfter, für viel Geld soziales Wohlverhalten zu zeigen.

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Attac-Kongress in Berlin 2001<br>(Bild: Archiv/dpa)

Wie ein Messias schwebte Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, aus Nairobi in den Frankfurter Kapitalistentempel ein. Die vielen ökologischen und sozialen Effekte ihres Handelns seien von den Unternehmen „noch nicht richtig eingepreist“, verkündete er in der Alten Börse. Dorthin hatte die renommierte European Business School (EBS) aus Oestrich-Winkel zur Konferenz „Sustainable Investment 2005“ Mitte April mehr als 250 Banker und Broker, Vertreter von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eingeladen. Es gehe „nicht nur um wishful thinking von Ökobewegten“, dröhnte der frühere Bundesumweltminister, sondern um hartes Business von „renommierten Brokerhäusern wie Merrill Lynch“. „Corporate Social Responsibility“ (CSR) war im Zentrum der deutschen Finanzwelt angekommen. Die Industrie wurde von der CSR-Welle schon vorher überrollt. Von Allianz bis Volkswagen bauen Unternehmen eigene CSR-Stäbe auf, werkeln in Netzwerken und finanzieren unter dem Dach des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) eine Plattform namens Econsense. Die Stiftung Warentest prüft Outdoor-Jacken und Waschmittel nicht nur auf Wetterfestigkeit und Waschleistung, sie kommentiert neuerdings auch das soziale Engagement der Hersteller. Wissenschaftliche Institutionen – wie die European Business School – richten Sustainability-Lehrstühle ein. Die EU-Kommission hat 2005 zum CSR-Jahr ausgerufen und arbeitet Leitlinien aus.

Im Kielwasser der anschwellenden Kapitalismuskritik hier zu Lande, die nach stärkerer Sozialbindung des Eigentums verlangt, droht CSR zu einer neuen Form der Mitbestimmung zu entarten. Die CSR-Verfechter rütteln an den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft, die Ludwig Erhard einst mit den Leitbildern Freiheit und Verantwortung formulierte. Danach setzt die Übernahme von Verantwortung die Freiheit dazu voraus. Diese wird indes durch den anschwellenden Zwang zu gesellschaftlichem Wohlverhalten, ob durch öffentlich inszenierten Druck oder Vorschriften, konterkariert. Die Verantwortungsimperialisten unterstellen, dass der ungeliebte Kapitalismus nicht dem gesellschaftlichen Interesse dient. In diesem Klima mutieren Unternehmen zu beladenen Sündern, die sich durch fremdbestimmtes gesellschaftliches Engagement erst reinwaschen müssen. Die Marktwirtschaft droht zum Ablass-Kapitalismus zu verkommen.

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