Pharma Der Frust des Ex-Ratiopharm-Chefs Philipp Merckle

Er wollte Gutes tun und scheiterte. Nach seinem Rauswurf bei Ratiopharm redet der frühere Chef Philipp Merckle über seinen Frust. Und neue Projekte.

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Philipp Merckle, der ehemalige Chef von Ratiopharm

Für die einen ist er ein Gutmensch und Träumer, der zuweilen wirres Zeug redet und sich in der Realität noch ganz schön wundern wird. Anderen gilt er als der Rechthaberische, der keine Diskussion verträgt und, wie Böse berichten, nur Speichellecker um sich schare.

Wenn frühere Mitarbeiter, Konkurrenten oder Berater über Philipp Merckle reden, wirkt es so, als würden sie von einem naiven Kind reden. Oder, wahlweise, von einem absolutistischen Herrscher. Tatsächlich wollte Philipp Merckle in der rauen Wirtschaftswelt Gutes tun, ein ganzes Unternehmen vom Kopf auf die Füße stellen – und ist spektakulär gescheitert. Wahrscheinlich war er zu naiv und wollte zu viel.

Er ist 41 Jahre alt, verheiratet, hat fünf Kinder und stammt aus einer der reichsten Unternehmerfamilien des Landes. Sein Vater Adolf hat den Billigpillenhersteller Ratiopharm mit Sitz in Ulm aufgebaut, der vor einigen Jahren wegen dubioser Vertriebsmethoden in die Schlagzeilen geriet; die Staatsanwaltschaft ermittelt. Als Junior Philipp, ein promovierter Pharmazeut und geprägt durch christliche Werte, im Jahr 2005 das Unternehmen übernahm, wendete er sich gegen Barschecks und andere Aufmerksamkeiten für Ärzte. Der Sohn wollte zeigen, dass Erfolg und Ethik zusammengehen.

Ein einmaliges Experiment in einer Branche, in der raue Sitten herrschen. Leider hat es nicht funktioniert – dem moralisch motivierten Unternehmer entglitt das Geschäft. Am Ende betrieb der Vater die Ablösung des Sohnes.

Vier Monate ist das nun her. Philipp Merckle sitzt in einem Münchner Hotel und redet offen über seine Enttäuschungen und Konflikte aus der Ratiopharm-Zeit. Er ist viel unterwegs in diesen Tagen – gemeinsam mit einem Fahrer, seiner persönlichen Assistentin und deren Hund. Eigentlich ist er gekommen, um über seine künftigen Projekte zu berichten. Doch immer wieder spricht er von Ratiopharm. Seine Ablösung sei „zu früh“ gekommen, sagt er: „Ich hätte das gern noch fortgeführt.“ Mit seinem Vater hat er diskutiert, doch es nutzte nichts. Die Verantwortung für die wichtigsten Unternehmen der Gruppe, wozu neben Ratiopharm auch der Baustoffhersteller HeidelbergCement und der Pharmagroßhändler Phoenix gehören, übertrug der Senior seinem langjährigen Vertrauten Bernd Scheifele. Speziell um Ratiopharm kümmert sich nun der frühere HeidelbergCement-Manager Oliver Windholz.

Und Philipp Merckle? Er macht es künftig einige Nummern kleiner. Mit der Medikamenten-Branche, in der Merckle etwa ein Jahrzehnt lang gearbeitet hat – zunächst als Vorstandsassistent beim familieneigenen Apotheken-Großhändler Phoenix, dann in Führungspositionen bei Merckle/Ratiopharm – haben seine neuen Betätigungsfelder nichts zu tun. Seinem Vater und zwei Brüdern kaufte er für etwa zwölf Millionen Euro die Aktienmehrheit am Garn- und Faserproduzenten Gruschwitz aus Leutkirch im Allgäu ab – Merckle wird das Unternehmen jedoch nicht führen, sondern gemeinsam mit dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth aus dem Aufsichtsrat heraus kontrollieren.

An dem österreichischen Glasfliesenhersteller Villiglas hat er eine Minderheitsbeteiligung erworben. Das Kärntner Werk war Anfang des Jahres in Konkurs gegangen – zur Neueröffnung im März kam auch Landeshauptmann Jörg Haider. Philipp Merckle schwärmt von den „sehr schönen Produkten“, den Mosaiken und Ornamenten. Der Mehrheitseigentümer Hans Köstenbauer, ein erfolgreicher Unternehmer, teile seine Wertvorstellungen.

Sowohl Gruschwitz als auch Villiglas beschäftigen jeweils etwa 100 Mitarbeiter. Die Umsätze liegen im niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Bei Ratiopharm war Merckle für einen weltweiten Umsatz von 1,8 Milliarden Euro und über 5000 Mitarbeiter verantwortlich.

Seine Stiftung „World in Balance“, die unter anderem die Äthiopien-Hilfe „Menschen für Menschen“ des Ex-Schauspielers Karlheinz Böhm unterstützt, will Merckle weiter ausbauen. Sie ist ihm aus seiner Ratiopharm-Zeit geblieben. „World in Balance“ soll Merckles Engagement für eine bessere Welt nach außen sichtbar machen.

Intern wollte er die Pharma-Welt verändern – weniger Bestechung, mehr Ehrlichkeit. Gerne hätte er bei Ratiopharm mit Organisationen wie Transparency International oder Mezis kooperiert. Transparency kämpft gegen Korruption – auch gegen Pharmakonzerne, die Ärzte korrumpieren. Und Mezis steht für „Mein Essen zahl ich selbst“ – eine Ärzte-Organisation, die von Medikamenten-Herstellern weder Geld, Geschenke noch Einladungen annehmen.

Doch die gutgemeinten Kooperationen klappten nicht. „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, schrieb der Mezis-Arzt Arne Schäffler an Merckle. Schäffler monierte etwa, dass sich Ratiopharm nicht der freiwilligen Ethik-Selbstkontrolle der Branche unterwirft.

Die Kontakte zu Transparency zerschlugen sich, so sieht es Merckle, als sich Gesine Schwan, die heutige Bundespräsidenten-Kandidatin und Ehefrau des Transparency-Gründers Peter Eigen in die Gespräche drängte. Schwan regte an, dass Merckle oder Ratiopharm einen „nennenswerten Betrag“ an eine Einrichtung ihrer Viadrina-Universität zahle. Damit könne das Unternehmen beweisen, wie ernst es ihm mit dem Ethik-Wandel sei (WirtschaftsWoche 22/2008). Merckle lehnte ab. Er verstand auch nicht, dass sich das Transparency-Mitglied Peter Schönhöfer, ein renommierter Pharma-Kritiker, nicht auf einer Ratiopharm-Veranstaltung zeigen wollte.

Merckle wirkt nun, als wäre er von allen enttäuscht. Von Transparency, von Mezis. Und von seinen früheren Mitarbeitern bei Ratiopharm, die nicht mitzogen und oft weitermachten wie bisher. Er stellte damals etwa fest, dass die Ärzte immer noch reichlich kostenlose Ratiopharm-Präparate erhielten – obwohl das laut Gesetz nicht statthaft ist. „Ich kann nicht dulden, dass so etwas auf dem Papier steht und in Wirklichkeit anders läuft“, sagt Merckle. Und: „Gesetz ist Gesetz.“ Als Ratiopharm-Chef ärgerte er sich über Konkurrenten, die das Rabattverbot für den Großhandel trickreich umgingen. In der Folge sanken die Ratiopharm-Marktanteile, noch stärker als bei den Konkurrenten Hexal und Stada. Der Preiskampf nahm an Härte zu.

War er in diesem umkämpften Markt zu gutgläubig? Zu naiv? Selbstkritik ist wenig von ihm zu hören. Er sagt, 2007 – das letzte Geschäftsjahr unter seiner Führung – war das wirtschaftlich beste Jahr der Ratiopharm: „Mal abgesehen von den Marktanteilen. Doch der Gewinn vor Zinsen und Steuern war noch nie so hoch, weil wir Kosten gespart haben.“ Merckle ärgert sich, dass seine Nachfolger die positiven Zahlen nicht kommuniziert haben. Wie hoch der Gewinn ist, will er freilich nicht sagen. Ratiopharm hat noch nie Angaben zum Ertrag gemacht.

In einigen Wochen wird Philipp Merckle in den Beirat von Ratiopharm einziehen. Dort hat der neue Chef Windholz inzwischen auch die Verantwortung für Marketing und Vertrieb in Deutschland übernommen. Er will eine Marketingoffensive starten, den Außendienst neu ausrichten und seine Vertriebsmitarbeiter künftig nicht nur zu Ärzten, sondern ebenfalls zu Krankenkassen oder medizinischen Versorgungszentren schicken. Den bewährten Slogan „Gute Preise. Gute Besserung“ will er wieder in den Vorderegrund stellen. Von einer „ethischen Neuausrichtung“ ist in Windholz’ Konzept nicht die Rede.

Auf die Frage, wie er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, von einem Unternehmen zu profitieren, dessen Kurs ihm nicht so geheuer ist, hat Philipp Merckle noch keine letzte Antwort gefunden.

Er wird sich künftig wohl vor allem um seine neuen Beteiligungen, Gruschwitz und Villiglas, kümmern. Dort erwartet ihn kein Vertriebsskandal und keine politische Gängelung. Er freut sich schon drauf: „Bei den Mitarbeitern sehe ich keine Probleme. Bei Ratiopharm war das anders. Da musste ich viel an der Einstellung ändern – und konnte es letztendlich doch nicht.“

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